Lichtfisch. Arthur Witten

Lichtfisch - Arthur Witten


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      Lichtfisch

      Arthur Witten

      Für alle, die (ver)suchen, verstehen undvergessen.

      © 2020 Arthur Witten

      Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44,22359 Hamburg

      ISBN Taschenbuch: 978-3-347-06471-3

      ISBN Hardcover: 978-3-347-06472-0

      ISBN e-Book: 978-3-347-06473-7

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Kreislauf

      der Mensch wie ein Kind

      unschuldig und neugierig

      will alles versuchen

      und das Versuchen

      ist die Quelle

      der Erkenntnis

      der Mensch wie ein Mensch

      groß und stark

      will alles verstehen

      doch mit dem Verstehen

      kommt das Wissen

      kommt die Fülle

      kommt die Verantwortung

      belastend

      und schier

      erdrückend

      und das Verstehen

      ist die Quelle

      der Mühsal

      der Mensch wie ein Greis

      gebeugt und müde

      will alles vergessen

      und das Vergessen

      ist die Quelle

      der Unschuld

      Ysé Pidot

       Inhaltsverzeichnis

       I. versuchen

       II. verstehen

       III. vergessen

       Teil I.

       versuchen

       Martin Jone, 2018-10-20

      15: 33: 01

      Das Telefon klingelt.

      »Hallo?«

      »Hallo, Jonesy, ich bin’s.«

      Hari ist dran.

      »Hör zu, du musst unbedingt vorbeikommen. Ich hab’ da was, das dich interessieren wird.«

      »Okay, Zweistein, bin unterwegs. Um was geht’s denn?«

      Klick.

      Harald ›Hari‹ Stein mag es normalerweise gar nicht, wenn man ihn Zweistein nennt. Niemand kommt an Einstein heran, sagt er. Nach Einstein kommt Zweistein, sage ich.

      Manchmal ist Hari ein bisschen weltfremd. Geht wohl davon aus, dass ich jetzt gerade nichts Besseres zu tun habe, als zu ihm zu kommen.

      Hari kennt mich gut.

      15: 51: 18

      Keine zwanzig Minuten später stehe ich in seinem Zimmer. Es sieht aus wie immer. Kontinente und Gletscher bewegen sich zu langsam, als dass das menschliche Auge etwas erkennen könnte, und so ist es auch mit den Stapeln von Büchern, Fachzeitschriften und Notizen, die sich überall in Haris Arbeitszimmer auftürmen. Manchmal sogar vor und auf seinem Bett. Die untersten Papiere sind vermutlich schon im Zustand fortgeschrittener Sedimentierung, und ab und zu stürzt ein Stapel um.

      Spannender ist da schon die Frage, wo Jogi diesmal steht. Jogi ist ein Joghurtbecher (beziehungsweise mehr dessen Inhalt), der seit einem guten Monat die Entwicklung vom Urschleim zu intelligentem Leben in verkürzter Form durchläuft.

      »Hallo, Zweistein. Hallo, Jogi.«

      Der Becher steht auf einem Zeitschriftenstapel direkt neben der Tür. Er scheint meinen Gruß zu erwidern.

      »Lass den Quatsch, Jonesy. Du, ich bin da gerade einer ganz tollen Sache auf der Spur, geradezu genial. Pass auf, du kennst doch Magnete, oder?«

      »Du meinst die Teile, die am Kühlschrank halten sollen und mit irgendwelchen Lebensweisheiten oder Schimpfwörtern bedruckt sind?«

      »Ha, ha. Nein, viel grundlegender. Ein Stück Eisen zum Beispiel. Jedes Atom ist ein Elementarmagnet, aber das ganze Stück Eisen ist deshalb nicht automatisch magnetisch.«

      »Ja, klar, je nachdem wie sich die Magnete aus…«

      »…richten, ja. Du hast einzelne Bereiche, in der die Elementarmagnete in eine bestimmte Richtung ausgerichtet sind, die Weißschen Bezirke. In einem Nachbargebiet sind die Magnete unter Umständen ganz anders orientiert. Und die Gebiete sind durch Bloch-Wände voneinander getrennt.«

      »Mhmm, ich erinnere mich. Aber was ist daran neu?«

      »Jetzt warte doch mal. Bin ja noch nicht fertig. Also, wenn die Weißschen Bezirke alle in etwa die gleiche Richtung zeigen, dann ist das Eisenstück magnetisch, wenn die Richtungen kreuz und quer verlaufen, dann nicht.«

      Pause. Er sieht mich an und wartet auf ein Zeichen von mir, dass ich ihm noch folgen kann. Wir haben zwar miteinander studiert, aber das scheint er schon längst verdrängt zu haben. Okay, ist tatsächlich auch schon einige Jahre her. Trotzdem: Weißsche Bezirke, Bloch-Wände – das war Schulstoff in der Oberstufe.

      »Ja?«

      »Jetzt ersetze mal die magnetische Richtung durch die Sinnausrichtung.«

      Er grinst zufrieden und lehnt sich zurück, als ob alles gesagt wäre.

      »Bitte was?«

      Mir ist nicht klar, worauf er diesmal wieder hinaus will.

      »Komm schon. Du hast elementare Sinn-Einheiten, zum Beispiel eine Gruppe von Menschen, die den Sinn des Lebens in – sagen wir mal – der Auferstehung nach dem Tod sehen. Diese Gruppierung – «

      Er macht eine bedeutungsschwangere Pause und hebt den Zeigefinger:

      » – die nicht einmal räumlich lokalisiert sein muss, bildet einen Weißschen Bezirk. Durch Bloch-Wände getrennt, schließen sich Bezirke an, also Menschengruppen, die den Sinn in ganz anderen Dingen sehen. Laufen die Sinn-Ausrichtungen benachbarter Gruppen konträr, gibt es Spannungen.«

      »Ah, verstehe, du willst die Glaubenskriege physikalisch erklären.«

      »Nein. Das mit dem Leben nach dem Tod war ja nur ein Beispiel. Der Sinn der Lebens hat nicht zwangsläufig etwas mit Religion zu tun. Ein anderes Beispiel wäre, äh …«

      » … die Frage, ob Ordnung ein Lebensprinzip ist? Ulla lebt da in einem anderen Weißschen Bezirk als du, und die Bloch-Wand ist deine Tür.«

      Was Hari betrifft, ist Ordnung eine mehr oder weniger überflüssige Option, für Ulla ist sie Lebensinhalt. Klar, dass es da fast täglich Zoff gibt, sei es, weil Hari die Telefonrechnung verlegt, das Geschirr nicht gespült oder keinen


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