Lichtfisch. Arthur Witten

Lichtfisch - Arthur Witten


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sie liebt Kühlschrankmagnete. Vermute ich. Am besten welche mit irgendwelchen positiven Lebensweisheiten. Oder der Aufschrift ›wichtig‹, gefolgt von mindestens zwei Ausrufezeichen. Damit werden Zettel mit Informationen für Hari fixiert, wie zum Beispiel:

      ›Die Mülltonne wird morgen geleert‹

      ›Es ist keine Milch mehr da‹

      ›Gestern war die Müllabfuhr da …!‹

      ›Milch kaufen!!!‹

      Die Zahl der Ausrufezeichen ist ein exponentieller Gradmesser für die Dringlichkeit der Botschaft, das ist allerdings noch nie zu Hari durchgedrungen.

      »Ulla? Sehr witzig. Da fällt mir ein, ich sollte noch Kaffee …«

      »Ich hab’ aus einer Vorahnung heraus Kaffee besorgt und den Zettel schon vom Kühlschrank weg.«

      »Oh, danke!«

      Er scheint ernsthaft überrascht, aber auch verwirrt, weil ihn der Kaffee aus dem Konzept gebracht hat.

      »Vier Ausrufezeichen sind dein neuer Rekord, Hari.«

      »Ja, schon gut, ich weiß. Was bin ich dir schuldig?«

      »Passt schon. Das regeln wir beim nächsten Mal.«

      »Soll ich uns ’nen Kaffee machen, jetzt, wo wieder einer da ist?«

      Typisch Hari. Unverbesserlich.

      »Immer.«

      Hari schlurft nach draußen, um Kaffee zu kochen. Ich bleibe in seinem Zimmer und sehe mir seine Aufzeichnungen auf dem Schreibtisch an. Er hat ein Rechteck auf ein Blatt Papier gemalt, in kleine, unregelmäßige Bereiche unterteilt und kleine Pfeile in alle Richtungen eingetragen. Darunter dasselbe Bild, nur dass die Pfeile in mehr oder weniger dieselbe Richtung zeigen. Darunter steht in Haris Handschrift: Hat das Universum einen Sinn?

      Ich gehe zu Jogi. Eine grünliche Schimmelschicht überzieht mittlerweile das untere Drittel des Bechers. Bei meinem letzten Besuch konnte man noch die Reste des Himbeerjoghurts erkennen, was einen guten Kontrast zu dem grüngrauen Pelz abgab, aber mittlerweile ist alles zugewuchert. Mal sehen, wann das Ding da drin Augen oder Beine entwickelt … in Haris Zimmer ist alles möglich.

      Hari kommt mit zwei Tassen Kaffee wieder zurück.

      »Hier ist deiner. Schwarz und verbittert, wie immer. Milch ist, äh, gerade aus.«

      Er grinst verlegen.

      »Danke.«

      »Wo war ich? Ach ja, die Sinnpfeile in den Weißschen Bezirken des Universums.« Er zieht die Tür hinter sich zu. »Die Frage ist doch: ist das Universum magnetisch, also im übertragenen Sinne – gibt es einen globalen, einen universellen Sinn? Oder ist alles sinnlos?«

      Ich nippe vom Kaffee, bevor ich antworte. Die Theorie hat was, zugegeben. Bezirke, in denen irgendwas sinnvoll ist, andere Bereiche, in denen gerade jenes Verhalten sinnlos erscheint. Ergibt Haris Theorie Sinn? Hat das Leben einen Sinn?

      In diesem Moment klopft es an der Tür, und fast zeitgleich fliegt sie auf, bevor Hari reagieren kann. Ulla stürmt herein, ihre graublonden Haare wie immer streng nach hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden.

      »Jetzt reicht es aber langsam, Harald. Seit drei Tagen ist keine Milch mehr im Kühlschrank, und du hältst es nicht für notwendig, neue zu besorgen. Dafür steht seit zwei Wochen dein blöder O-Saft offen drin herum, obwohl der seit einem halben Jahr abgelaufen ist. Mir steht es bis hier!«

      Ulla deutet mit der flachen Hand über ihren Kopf.

      »Kümmere dich gefälligst mal drum und lies mal die Notizen am Kühlschrank, steht ja alles dran.«

      Erst jetzt scheint sie mich zu bemerken.

      »Hallo Martin, hast du den Kaffee besorgt?«

      Ich nicke. »Hallo, Ulla.«

      »Danke – wobei ich nicht verstehe, warum du ihn« – sie macht eine Kopfbewegung zu Hari – »auch noch in seiner Faulheit unterstützt. Rede du mal mit ihm, das kann doch so nicht weiter gehen.”

      Ich nicke wieder. Diese Aufforderung kommt so ungefähr jedes Mal, wenn sie mich sieht.

      Sie wendet sich wieder Hari zu. »Kümmer’ dich drum!«, faucht sie noch einmal, dann stürmt sie aus Haris Zimmer und donnert die Tür hinter sich zu.

      Das gibt dem Zeitschriftenstapel den Todesstoß. Langsam, fast in Zeitlupe kippt er zur Seite und begräbt Jogi unter sich. Mach’s gut, kleiner Freund. Hier endet die Evolution für dich, denke ich und ertappe mich dabei, ernsthaft über die Möglichkeit zu grübeln, in ein paar Jahren einen versteinerten Joghurtbecher aus Haris sedimentierten Unterlagen zu meißeln.

      Ich trinke den Kaffee aus und halte die Tasse fest. Wenn ich sie hier abstellen würde, würde sie vielleicht demnächst Jogis Schicksal teilen. Nach Ullas Standpauke ist Haris Stimmung für Theorien und Hirngespinste aber erst einmal dahin.

      »Ich muss dann mal wieder. Ich denk’ drüber nach – klingt vielversprechend, aber ergibt deine Theorie auch wirklich Sinn?«

      Ich zwinkere Hari zu, aber der ist gedanklich momentan in seinem eigenen Universum. Er betrachtet sinnierend den umgefallenen Stapel.

      »Ja, ich muss dann auch mal in die Stadt, Kaffee kaufen.«

      »Milch.«

      »Was? Ach ja, Milch.«

      »Mach’s gut, Hari, bis die Tage.«

      »Du auch, Martin. Bis bald.«

      Martin. So nennt er mich nur, wenn die Hütte brennt. Armer Hari.

      16: 07: 43

      Kaum bin ich die Treppe aus dem fünften Stock runter und auf der Straße, klingelt das Telefon.

      »Hi Hanna, was gibt’s?«

      »Hi Martin. Zwei Sachen: erstens ist der Geburtstagsgig jetzt fix, die haben gerade zurückgerufen.«

      »Das war der sechzigste, oder? Hm.«

      Motivation klingt anders, sorry.

      »Hey, komm schon. Der letzte war blöd, ich weiß, aber müssen ja nicht alle gleich ablaufen. Das Geburtstagskind hat uns schon mal gehört und will uns unbedingt haben. Also bitte Klappe halten, nett lächeln und den Termin auf die Homepage setzen.«

      »Ja, schon gut.«

      Der letzte Geburtstagsgig war ebenfalls ein sechzigster, und da war den Gästen das Gitarrestimmen schon zu laut, außerdem standen wir strategisch ungünstig zwischen der Feier und dem Buffet. Wenn Blicke töten könnten …

      »Der zweite Punkt: die Probe heute abend. Meine Schwiegermama ist krank und muss das Bett hüten, und Andi ist ja nicht da. Ich hab also niemanden für Laura. Wenn es okay ist für dich, nehme ich halt das Babyfon in den Keller, normalerweise schläft sie ja durch.”

      »Ja, einverstanden. Ansonsten kann sie gerne mitsingen oder ein bisschen den Shaker schwingen.«

      »Ja, klar, du Spinner.«

      Hanna kann einen so nett beschimpfen, dass man ihr nicht böse sein kann.

      »Schreib mich aber bitte an, nicht klingeln, sonst …«

      »Schon klar.«

      »Also dann, bis heute abend!«

      »Bis denne!«

      19: 08: 11

      Nach dem Abendessen wird es langsam Zeit, die Sachen für die Probe zusammenzupacken. Ich stöpsle die Gitarre aus, packe sie ein und wickle die Kabel zusammen. Die kommen mit dem restlichen Equipment in die Sporttasche und – halt, der Ordner mit den Songs! Beim Gig läuft alles auswendig, aber so schnell wie früher wollen die Songs und die Texte nicht mehr in den Kopf.

      Ich öffne die Schranktür und hole den Ordner. Mein


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