Schwarzer Honig. Harriette Van der Ham

Schwarzer Honig - Harriette Van der Ham


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       Harriette Van der Ham

       Schwarzer Honig

      © 2020 Harriette Van der Ham

Umschlagzeichnung:Barbara Poittner
Umschlagentwurf:Nathan Alsbach
Foto:Raoul Manuel Schnell
Verlag & Druck:tredition GmbHHalenreie40-44 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:978-3-7482-9880-9
e-Book:978-3-7482-9881-6

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Für

      Frans

      und

      Willy

      ohne Euren Beistand hätte ich vorzeitig aufgegeben,

      ohne Eure Hilfe wäre ich heute nicht da, wo ich jetzt bin.

       Prolog

      Als Autorin dieses Buches bin ich dankbar, dass ich es überhaupt schreiben konnte.

      Es hat fünf Jahre gedauert, bis ich den Mut fasste, noch einmal völlig in die traumatischen Geschehnisse eintauchen zu können. Meine Tagebücher und Aufzeichnungen haben es möglich gemacht, den Verlauf der Geschehnisse wahrheitsgetreu beschreiben zu können.

      Nicht alles habe ich erzählt. Vieles mehr ist geschehen, wobei ich mich als Autorin gefragt habe, ob meine Geschichte für den Leser dann überhaupt noch glaubwürdig sein könnte.

      Ich habe mich für die Romanform entschieden, weil ich feststellte, dass mir das Schreiben dann leichter fällt, mit mehr Abstand, sozusagen.

      Ich habe etwas Wichtiges erfahren und gelernt: in extremen Situationen verliert man zunächst die klare Sicht, weil Verwirrung, Zweifel und vor allem Angst diese klare Sicht trüben. Hat man dieses Stadium erst einmal überwunden, wird eine ungeheure innere Kraft frei, ein Überlebenswille und Kampfgeist, die einen antreiben und durch die Gefahr hindurchschleusen.

      Ich sah noch nie so klar wie in dieser Zeit. Ich wusste, was zu tun war – gegen vielerlei Ratschläge - und genau das tat ich.

      Harriette Van der Ham

       2010

       Sonntag 8. August

      Es wird ihr bewusst, dass diese zweistündige Autofahrt zum Moi International Airport die ersten zwei Stunden seit Monaten sind, in denen sie nichts tun muss. Nichts planen, nichts antizipieren, nichts regeln. Nichts, was sie in diesem Augenblick ändern könnte, nichts was sie ändern müsste. Sie darf sich auf dem Rücksitz von Stanleys Taxi zurücklehnen. Sie darf entspannen. Aber sie kann es nicht.

       Wird Farrah mir am Flughafen noch einen Stolperstein vor die Füße werfen? Wird es noch böse Überraschungen geben? Wird er mir am Flughafen mit Polizei aufwarten? Wird er wieder versuchen mich arrestieren zu lassen, mich hindern, dieses Land zu verlassen?

      Es wird doch nicht so sein, dass jetzt, im allerletzten Augenblick, noch etwas passiert.

       Es wird doch nicht so sein … .

      *

      Harriette sitzt verkrampft in ihrem Sitz und starrt vor sich hin. Stirnrunzeln. Fußwippen. Beide Hände umklammern die Armlehnen ihres Sitzes. Sie schaut auf die Uhr. Wird sich dieses Flugzeug wirklich in einigen Minuten auf die Startbahn begeben und sie von hier wegbringen? Wird dieses Flugzeug wirklich diesen Boden verlassen? Darf sie es glauben, dass es vorbei ist, ihr kenianisches Drama?

      Die Maschine ist bis auf den letzten Sitz belegt. Stewardessen in den Gängen kontrollieren, ob Passagiere angeschnallt, Rückenlehnen nach vorne und Tische nach oben geklappt sind.

      Das Geräusch der Turbinen gibt Harriette ein Gefühl von Sicherheit. Aber noch steht die Maschine. Es wird ein Film zum Verhalten bei Notfällen gezeigt, er interessiert sie nicht, zu viele Notfälle liegen hinter ihr.

      Und dann, diese kleine kurze Ruckbewegung, die die Maschine langsam rückwärts bewegt. Das Flugzeug dreht sich und rollt gemächlich zur Startbahn.

      Sie hat einen Fensterplatz und schaut hinaus. Rote Ziegeldächer des Daniel Arap Moi Flughafengebäudes ziehen im Zeitlupentempo an ihr vorbei. Am Horizont eine lange Reihe von Palmen, die sich leise im Wind wiegen und Harriette daran erinnern, dass sie sie damals auch sah - vor vierzehn Jahren - als sie zum ersten Mal dieses Land besuchte. Ja, das war am Beginn ihres afrikanischen Traums - ein Traum - ein Alptraum. Die Maschine wartet auf das Signal für ‘Take-Off’.

      Erlösendes Aufheulen von Motoren. Harriette spürt, wie die Maschine mit steigendem Tempo über die Startbahn rollt und sie gegen ihre Rückenlehne gedrückt wird. Immer schneller ziehen die Palmen an ihr vorüber und dann, endlich, steigt sie auf. Harriette hat kenianischen Boden verlassen. Sie schaut hinunter und sieht Mombasa unter sich verschwinden, diese Stadt, die sie nie in ihr Herz hat schließen können. Sie sieht den Indischen Ozean in seinen schönsten Farben, ein unvergessliches Farbspiel aus Türkis, Dunkelgrün und Nachtblau - unterbrochen von vanillegelben Sandbänken. Wie schön dieses Land doch ist! Und jetzt kann sie sie nicht mehr zurückhalten, Tränen strömen über ihr Gesicht. Tränen der Erleichterung, Tränen der Trauer. Sie verlässt dieses Land, dieses Land, in dem sie anfangs so glücklich war. Dieses Land, so wunderschön - so grausam.

      Sie erkennt, das war’s! Sie hat ihren afrikanischen Traum nicht so leben können, wie sie sich das erträumt hatte.

      Alles kam anders. Gleichzeitig erkennt sie, dass sie lebt. Sie erkennt, sie ist frei. Ihre Tränen machen es unmöglich, noch deutlich sehen zu können, alles verschwimmt. Und das ist gut so. Die Maschine ändert den Kurs. Ihr geliebter Ozean liegt hinter ihr.

      Neuer Kurs in ein neues Leben.

      I

       1996

       Vorbereitungen

      Sie hat es sich sehr gut überlegt, sie wird es tun: kündigen.

      Als Enddreißigerin findet Harriette es an der Zeit, Veränderung in ihr Leben zu bringen. Seit vielen Jahren ist die erfolgreiche Managerin eines Modekonzerns mit viel Ambition und Freude in dieser schnelllebigen und gnadenlosen Modewelt zuhause. New York, Mailand, London, Paris - sie kennt sie alle, diese brausenden Städte, in denen Mode entsteht und Mode gelebt wird. Harte Arbeit mit siebzig Arbeitsstunden pro Woche lassen nur wenig Zeit übrig für ihr Privatleben und selbst ein lukratives Gehalt kann das auf Dauer nicht ausgleichen. Harriette - ambitionierter, lebensfroher Single - spürt seit geraumer Zeit ein inneres Nagen: Sind meine Prioritäten noch richtig? Will ich dies alles wirklich? Nein, nicht wirklich. Aber was will ich dann? Was ist aus ihrem Jugendtraum geworden, einmal in ihrem Leben in den Tropen zu leben? Harriette erinnert sich gut an jenen gemeinsamen Urlaub mit ihrer Schwester Stien in Indonesien - der schönste Urlaub, den sie je hatte. In diesem Urlaub wurde ihr klar, Europa ist nicht der Ort, wo sie hingehört. Ihr Platz ist in den Tropen.

      Muss sie nicht jetzt diesen langen Wunsch verwirklichen? Zermürbende Fragen, die immer wieder bei ihr aufkommen.

      Ihre Freunde und Familie empfinden ihre Entscheidung als mutig, einfach etwas loslassen, das so viel Sicherheit bietet: diesen gut bezahlten Job. Turnen am Trapez ohne Netz. Harriette hört es, aber empfindet es anders. Reine Notwendigkeit!

      “Das größte Risiko ist es keinerlei Risiken einzugehen”, sagt sie sich, und dieses Motto macht ihr die Entscheidung leichter. Sie kündigt.

      Schon einige Wochen später ist sie von ihrem Arbeitsvertrag entbunden


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