Schwarzer Honig. Harriette Van der Ham

Schwarzer Honig - Harriette Van der Ham


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durchquert die Lounge mit den geblümten Leinensofas, hinaus zur Veranda, die zum Garten führt. Diese Veranda hat eine ganz andere Atmosphäre als oben. Hier wird gelebt: einladende Swahili-Sitzbänke mit großen bunten Kissen, großer Esstisch mit zahlreichen Stühlen. Ja, dieses Haus lädt Menschen ein.

      Von der offenen Veranda führen vier breite Galana-Stufen hinunter in den Garten. Harriette geht die Stufen hinunter und wandelt quer durch dieses kleine Paradies bis zur Mauer, die an das Nachbargrundstück grenzt, und dreht sich um. Nun kann sie das Haus in voller Größe und Ausstrahlung betrachten. Es ist verwohnt und muss dringend renoviert werden, aber welch einen Charme strahlt dieses Haus aus! Es kommen Assoziationen in ihr auf. Dieses Haus erinnert sie an das Haus ihrer Großmutter in Holland und gleichzeitig auch an das elterliche Ferienhaus in Süd-Frankreich. Es ist, als ob sie dieses Haus schon kennt. Es ist als ob dieses Haus auf sie gewartet hat. Es ist, als ob sie nach Hause kommt.

      Sie ist verzaubert. Sie ist verwirrt.

      Was wäre wenn … ? Zahllose Gedanken in ihrem Kopf. Spielst du denn tatsächlich jetzt mit dem Gedanken, dieses Haus zu kaufen? Was willst du denn mit diesem Haus? Und warum ausgerechnet dieses Haus? Warum denn gleich kaufen? Kannst du nicht besser erst irgendetwas mieten, wenn du meinst hier leben zu wollen? Was um alles in der Welt willst du denn hier in Kenia? Du kennst das Land nicht, du kennst keinen Menschen hier. Was ist los mit dir?

      Dorothy hat Tee gemacht und so sitzen sie auf der Veranda und trinken kenianischen Tee aus diesen geblümten Porzellantassen mit Goldrand, serviert mit köstlichen englischen Butterkeksen: ‘High Tea’.

      Die vier Jack Russels sind immer in Dorothys Nähe und haben es sich auf der großen Swahili-Bank bequem gemacht. Bis auf einen. Einer der Vier setzt sich direkt zu Harriettes Füssen und will von ihr gestreichelt werden.

      “Das ist Harry”, sagt Dorothy, “der Anhänglichste”.

      Dorothy Carmel, eine schöne Frau. Zarte Statur, feingeschnittenes Gesicht, schlanke, ebenmäßige Nase, braune, sanfte Augen. In ihrem langen, weich fließendem Blümchenkleid sieht sie zerbrechlich aus. Ihr langes, mit grauen Strähnen durchzogenes mittelbraunes Haar nonchalant mit einem Hornkamm hochgesteckt - eine Frau mit Stil. Sie trägt antike Silberohrhänger mit Bernstein, die ihren Stil unterstreichen und perfekt zu ihrem feinen Gesicht passen. Sie hat eher asiatische Züge, nicht die einer Britin, schon gar nicht einer Kenianerin. Wie schön muss sie gewesen sein, als sie jung war!

      “Madam, darf ich Sie etwas fragen?”, eröffnet Harriette das Gespräch, “warum wollen Sie dieses Haus verkaufen?”, Harriette nippt an ihrer Tasse und stellt sie auf den Beistelltisch.

      “Wissen Sie”, Dorothy legt eine kurze Atempause ein und schlägt ein Bein über das andere, “ich bin müde geworden. Ich bin fast achtzig Jahre alt und lebe seit einigen Monaten alleine hier. Ich habe viele Jahre hier mit meiner lieben Schwester Daisy und ihrem Mann zusammengelebt. Wir hatten eine gute Zeit. Aber Daisy ist wegen ihrer Krankheit zurück nach England gezogen. Malindi ist kein Ort für ernsthaft erkrankte Menschen, da ist man doch besser in England aufgehoben. Ich habe ihr versprochen nachzukommen, sobald ich das Haus verkauft und alles für meine vier ’kids’ geregelt habe”. Dorothy schaut dabei ihre Hunde an.

      “Ich fühle mich hier jetzt doch sehr alleine. Ich möchte zurück nach England. Meine Tochter und mein Schwiegersohn haben bereits ein nettes Cottage für mich entdeckt, wo ich leben könnte. Ich bin dann in ihrer Nähe und auch in der Nähe meiner Schwester”.

      Dorothy erzählt von ihrem Leben in Kenia. Vater Brite, Mutter Kenianerin, aufgewachsen zunächst in England, dann zurück nach Kenia, wo sie in Nairobi lebte. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie mit Schwester und Schwager nach Malindi.

      “Wissen Sie, Kenia ist ein wunderschönes, aber auch wildes Land”, fährt sie fort. “Ich war glücklich hier, aber ich bin müde von den hier immer wiederkehrenden täglichen Problemen, die nie aufhören. Ob es sich nun um ständig unterbrochene Stromversorgung handelt, keine Telefon-verbindung oder eine gebrochene Wasserleitung - diese Dinge sind immer wieder an der Tagesordnung. Als ich jünger war, machte mir das alles nichts aus, ich war wohl viel flexibler als heute. Aber jetzt suche ich Ruhe und will mich die letzten Jahre meines Lebens nicht mehr um solche Dinge kümmern müssen”.

      Dann wechselt sie das Thema und erzählt Harriette von ihren Jack Russel Hunden. Mutter Molly - eine Mischung aus Jack Russel und Chihuahua und die kleinste von den Vieren - mit ihren drei Söhnen Tom, Dick und Harry. Alle Vier von Geburt an bei ihr, alle jetzt nicht mehr ganz so jung, aber noch sehr lebhaft. “Sie sind meine vierbeinigen Kinder. Ich liebe sie über alles, aber kann sie nicht mitnehmen nach England. Dort müssten sie nämlich sechs Monate in Quarantäne verbleiben und das kann ich ihnen nicht antun! Wenn ich keine Lösung finde, werde ich sie einschläfern lassen müssen”. Dorothy streichelt Molly, die neben ihr liegt, mit ihrem Kopf auf Dorothys Schoß.

      Es stört Harriette, dass Achmed und sein Architektenfreund in unmittelbarer Nähe auf einer anderen Swahili-Bank sitzend alles mithören können, was hier erzählt und besprochen wird und fragt Dorothy daher, ob sie mit ihr im Garten spazieren möchte.

      Sie willigt ein und so schlendern die beiden durch Dorothys Garten. Harriette erzählt Dorothy offen und ehrlich wie sie hier hergekommen ist, wie sie sich durch spontane Gedanken hat überrumpeln lassen und jetzt sehr verwirrt ist. Sie erzählt ihr von ihrem langjährigen Wunsch, einmal in ihrem Leben in den Tropen zu leben und sie nun das Gefühl bekommt, dass das Schicksal zuschlägt.

      “Ich weiß eigentlich nicht, warum ich Achmed nach einem Makler gefragt habe. Mich mal umschauen, was der Häusermarkt hier bietet, ja … eigentlich rein aus Neugierde! Achmed hat mich hierhergeführt, ohne dass ich konkret weiß, was ich suche, ob ich was suche und was ich eigentlich hier will. Aber ich gestehe, dass dieses Haus etwas in mir auslöst. Ich kann es noch nicht erklären - alles geht so schnell - aber es fühlt sich für mich so an, als ob ich nach Hause komme”. Dorothy schaut Harriette lächelnd an und schweigt. Und Harriette fährt fort, “Ich möchte Ihnen keine falschen Hoffnungen machen und verschwende wahrscheinlich Ihre Zeit, denn ich weiß gar nicht was ich mit diesem Haus anfangen sollte … und trotzdem … darf ich Sie fragen welchen Preis Sie für dieses Haus im Kopf haben?”.

      Dorothy nennt ohne Zögern ihren Preis. Ein Preis in kenianischer Währung, alles inklusive Inventar. Und blitzschnell rattern die Gedanken durch Harriettes Kopf: was ist das in DM? Kann sie das finanziell tragen? Übertragungskosten, Umbaukosten, Kosten, von denen sie keine Ahnung hat - keinen Überblick. Unruhe macht sich bei ihr breit. Harriette, jetzt mach mal halblang! Du machst hier Urlaub und sonst garnichts! Sie gehen zurück zur Veranda, wo Achmed und sein Architekt noch immer sitzen. Harriette trinkt noch eine Tasse Tee und verabschiedet sich.

      “Danke, Mrs. Carmel, für Ihre Gastfreundschaft und dass ich Ihr Haus besichtigen durfte. Es ist wirklich ein besonderes Haus! Ich muß jetzt alles erst mal auf mich einwirken lassen”. Dorothy lächelt freundlich.

      “Gern geschehen! Wer weiß, sehen wir uns ja mal in Malindi”.

      Harriette, Achmed und der Architekt fahren zurück in die Stadt. Achmed versucht Harriette von den Vorzügen von ‘mama Dorothys’ Haus zu überzeugen. Wieviel bekommt der Kerl wohl an Kommission für seine Bemühungen? Aber was will ich?? Will ich ein Leben in diesem Land? Will ich ins kalte Wasser springen, in hundertprozentige Ungewissheit? Und alleine? Traue ich mir das zu? Panik steigt in ihr auf.

      “Achmed, bitte halten Sie an! Ich möchte ein Stück laufen”. Sie drückt Achmed das Fahrgeld in die Hand und steigt aus.

      “Watamu morgen?”, fragt er. Was hat der Kerl doch mit Watamu?

      “Nein, Achmed, kein Watamu. Aber geben Sie mir bitte ihre Telefonnummer”. Harriette notiert mit Kugelschreiber seine Nummer auf der Innenseite ihres Unterarms. “Wer weiß -in den kommenden Tagen Watamu!”. sagt sie freundlich und Achmed antwortet mit einem breiten Grinsen und verschwindet.

      Es ist ein sonniger Tag. Es ist warm. Es ist schwül. Na, daran könntest du dich gewöhnen, sagt sie sich und macht sich zu Fuß auf den Weg.

      Ursprünglich


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