Schwarzer Honig. Harriette Van der Ham
schaut schweigend vor sich hin. Die Bedienung scheint die beiden gut zu kennen.
“Guten Tag, Signore Angelo, ich bringe Ihnen gleich Ihren Espresso und Ihr Croissant”, sagt er freundlich zum Mann im Rollstuhl und schaut dann die Kaftandame an: “Signora Elena - und für Sie?”.
“Bringen Sie mir bitte dasselbe, Alfonzo!”. Alfonzo verschwindet, und die Dame sitzt schweigend neben dem alten Mann im Rollstuhl. Harriette schaut die beiden an und lächelt der eleganten Italienerin zu.
“Machen Sie Urlaub hier?”, beginnt die Dame das Gespräch. “Ja! Ich reise ein wenig durch Kenia und bin jetzt hier an der Küste angekommen”, antwortet Harriette freundlich. Die Dame nickt.
“Ja, Kenia ist ein wunderschönes Land. Mein Mann und ich leben schon sechsunddreißig Jahre hier!”. Sie schaut auf den schweigenden Mann im Rollstuhl. “Wir haben in Somalia gelebt … eine lange Geschichte … Malindi ist jetzt unsere Heimat. Leider ist mein Mann krank und hat Alzheimer und Parkinson, aber wir kommen noch jeden Tag hierher. Mein Mann besteht darauf. So kommt er wenigstens noch ein bißchen vor die Tür”. Harriette beobachtet, wie die Dame liebevoll seine Hand streichelt.
“Wie ist denn, wenn man so lange hier lebt?“ fragt Harriette neugierig.
“Für uns ist es hier herrlich. Wir leben hier mit sehr viel Freude. Wir haben unsere Freunde hier. Wir sind hier in Sicherheit - das war in Somalia doch ganz anders! Und … wir sind mitlerweile selber halbe Afrikaner. Wir könnten gar nicht mehr in Europa leben. Das ist zu schnelllebig, zu laut, zu hektisch für uns. Wir sind ja nicht mehr jung. Hier geht alles viel ruhiger vonstatten. Aber ich will Kenia nicht verherrlichen. Es gibt hier Sachen, die können einen zur Weißglut bringen! Dinge, an die man sich als Europäer einfach nicht gewöhnen kann. Das Hauspersonal, das immer wieder die gleichen Fehler begeht, die Ineffizienz der Behörden, die Umständlichkeiten im Alltag. Aber egal … man hat ja auch mehr Zeit hier … . Wissen Sie, uns tut das Klima gut. Die Wärme, die Sonne, das Meer … und was brauchen wir denn sonst noch?”. Harriette nickt. Die Dame fährt fort:
“Früher war Malindi von Deutschen und Engländern bevölkert, heute sind es die Italiener. Die Deutschen sind zur Südküste abgewandert - nach Diani, und die Engländer scheinen hier langsam auszusterben”, sagt sie lächelnd. “Seit die Italiener hier sind, hat Malindi sich verändert. Jetzt gibt es Casinos, italienische Supermärkte, nette Boutiquen und Restaurants. Malindi ist im Aufschwung und dabei, ein attraktiver Touristenort zu werden. Ich bin sicher, dass sich in den kommenden Jahren hier noch viel mehr tun wird!”.
Ich muss zurück zu Dorothy Carmels Haus! Ich muss es mir noch einmal anschauen und auf mich einwirken lassen. Ich muss mit Dorothy Carmel reden! Ich rufe Achmed an - er soll sie fragen wann ich kommen darf.
Wieder pünktlich um 9:00 Uhr wartet Achmed draußen vor Harriettes Hotel. Achmeds Kumpel ist auch wieder dabei. “Jambo mabwana!”, begrüßt sie die beiden Männer und setzt sich in Achmeds Klapperkiste. “Mama Dorothy erwartet Sie schon!”, sagt Achmed grinsend und fährt los.
Das Tor wird geöffnet. Vier freudig bellende Jack Russel Hunde begrüßen die Ankömmlinge. Dorothy hat bereits Tee gemacht.
”Mrs. Carmel, danke, dass ich nochmals kommen durfte. Ihr Haus geht mir nicht aus dem Kopf. Bitte erlauben Sie mir, es mir noch einmal anzusehen. Und dürfte ich das alleine machen?”. Dorothy Carmel schaut sie lächelnd an.
“Aber natürlich! Gehen Sie nur! Sie kennen sich ja jetzt aus hier!”.
Harriette geht sofort die Treppe hinauf. Sie setzt sich auf den Boden der großen Veranda und betrachtet die Makuti-Kuppel. Die eine Hälfte hat hellere Makuti, die müssen neu sein. Ja, so schön Makuti-Dächer auch sind, langlebig sind sie nicht! Aber diese Dächer gehören hierher und ich will nichts anderes!
Harriette steht auf und geht über die Ballustrade ins Zimmer des Nordflügels. Die Eingangstür ist im typischen Swahili-stil reich beschnitzt aus schwerem, dunklen Holz. Man muss zwei schmale Türflügel beide aufdrücken, um hinein zu können. Die Tür öffnet sich nach innen und lässt sich durch einen Querbalken an der Innenseite des Zimmers verschließen. An der Außenseite ist ein Riegel angebracht, abschließen kann man dieses Zimmer nur mit einem Vorhängeschloss.
Harriette betritt das Zimmer. Rechts befindet sich ein großer eingebauter Kleiderschrank mit drei Türen. Daneben ein Sideboard mit großem Spiegel. Danach die Tür zum Badezimmer. Das reich verzierte Himmelbett steht mit dem Kopf an der linken Wand des Zimmers - romantisch - mit seinem weißen Moskitonetz, das durch die leichte Windbrise hin und her wiegt. Links und rechts vom Bett die beiden ovalen Beistelltische, an beiden Seiten Wandleuchten aus Messing. Harriette betrachtet die schweren Leinenvorhänge vor den Fenstern. Hier muss etwas Leichtes, Luftiges her. Ein kleiner Swahili-Stuhl steht am Fußende des Bettes. Mehr Möbel gibt es nicht in diesem Zimmer. Die Zimmerdecke ist kegelförmig. Vom höchsten Punkt der Decke hängt eine große achteckige, mit buntem Glas ausgestattete Swahili-Lampe. Tausendundeine Nacht.
Dorothys Küche befindet sich nicht im Haupthaus sondern - wie in vielen Häusern in Kenia - in einem separaten Gebäude. Ein etwa fünfzehn Meter langer Korridor mit hohem Makuti-Dach verbindet das Haupthaus mit dem Küchengebäude. Die Küche ist einfach ausgestattet: Galana-Boden, Galana-Arbeitsflächen, Einbauschränke, ein alter Gasherd und ein verrosteter Kühlschrank sind alles, was man hier vorfindet. Im hinteren Teil führt eine schmale Tür zu einer kleinen Vorratskammer. Vergammelte, mit großen Löchern versehene Moskitonetze an den Fenstern bestätigen, dass dieses Haus einer gründlichen Erneuerung bedarf.
Harriette läuft um das Küchengebäude herum. An der Rückseite stößt sie auf eine Tür. Vorsichtig öffnet sie sie und schaut in ein winziges Zimmer - darin ein verrostetes Bett mit blau abblätternder Farbe, durchgelegener Schaumgummimatratze und schmutziger Wolldecke. Daneben ein gammeliger Stuhl, flüchtig zusammengenagelt aus Bambusstöcken, darüber liegen alte, schmutzige Hosen und Shirts. Gleich neben der Tür ein winziges Badezimmer. Nein, Badezimmer kann man es wirklich nicht nennen, es hat einen Duschkopf, der fest an der Decke verankert ist, daneben eine WC-Schüssel ohne Brille und Deckel und ein winziges Waschbecken. So also lebt Dorothys Houseboy!
Harriette ist über so viel Primitivität entsetzt, noch nicht wissend, dass diese Art von Unterkunft in Kenia zu den besseren zählt. Wie kann Dorothy Menschen nur so armselig unterbringen? Das ist menschenunwürdig! Selber wohnt sie in diesem großen, schönen Haus … und dann so was! Nein, das muß sich ändern! Dieses Haus braucht ein ‘Makeover’. Ich kann es! Ich will es! feuert sie sich an.
Ende der Diskussion - Knoten durchgehackt! Harriette wird ins kalte Wasser springen. Sie weiß: sie kann schwimmen. Und Dorothy muss mit dem Preis runter!
*
“Mrs Carmel, wir müssen reden”, sagt sie bestimmt und gibt Dorothy Camel zu verstehen, dass sie mit ihr im Garten spazieren will, um den lauschenden Ohren von Achmed und Kumpel zu entfliehen.
Harriette erklärt Dorothy, was sie über den Zustand ihres Hauses denkt . Sie legt alle Karten auf den Tisch. Und dann macht Harriette ein Preisangebot. Ein faires Angebot, das widerspiegelt, was ihr dieses Haus wert ist. Und Dorothy willigt sofort ein, denn Dorothy will zu ihrer Tochter nach England. Dorothy will nicht länger warten. Dorothy hat keine Zeit zu verlieren.
Harriette reicht ihr die Hand. Deal! Jetzt die Details festlegen, eine Kaufabsichtserklärung unterschreiben und einen Vertrag aufsetzen lassen. Harriette kennt niemanden hier in Malindi, aber Dorothy.
“Wenn Sie einverstanden sind, rufe ich einen alten Freund von mir an. Er war früher Anwalt und ist jetzt pensioniert. Er kann die Verträge vorbereiten und dann später bei einem Notar vorlegen”, schlägt Dorothy vor.
“Wie steht’s mit der Grundbucheintragung dieses Grundstücks?”, fragt Harriette. “Ist das Haus belastungsfrei?”.
Dorothy versichert ihr, dass das der Fall ist, und dass sowieso eine Anfrage beim Katasteramt in Mombasa erfolgen muss, bevor die Akte unterzeichnet werden kann. Das klingt beruhigend.
Kurz darauf sitzen Dorothy und Harriette im Auto