Schwarzer Honig. Harriette Van der Ham
sich überall verständlich machen und erden! Sie wird auch hier neue Freunde gewinnen. Was würde sie denn verlieren, wenn sie hier ein neues Leben aufbaut? Ihre Freunde waren immer schon geografisch weit verstreut. Und ihre Familie wird sie weniger oft sehen, aber verlieren wird sie sie nie!
In der Nacht hört sie aus den Nebenzimmern Geräusche, die ihr vermitteln in einem bestimmten Etablissement gelandet zu sein. Es ist nicht nur ein kleines schäbiges Hotel denkt sie, und muss darüber innerlich lachen.
2 Swahili (“Ende hier! Fertig! Macht schon voran!”).
3 Swahili (Mama = Frau [Anrede], Malindi hapa! = “hier ist Malindi!”).
4 Swahili (Mzee = höfliche, respektvolle Anrede für einen alten Mann).
Dotty’s House
Harriette sitzt frisch geduscht mit noch nassen Haaren am Frühstückstisch. Sie scheint der einzige Gast zu sein. Die schlafen natürlich alle noch! Sie ist geschmackvoll gekleidet: langes weißes Leinenhemd über khakifarbenen Bermudashorts - Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt; brauner Ledergürtel und geflochtene Sandalen, die ihre dunkelroten Zehnägel durchblitzen lassen. An ihren Ohren kleine goldene Ohrringe mit weißer Perle; am Mittelfinger ein breiter goldener Reifring, den sie immer trägt – Tag und Nacht. Harriette liebt hochqualitative aber schlichte Kleidung. Durch die vielen Reisetätigkeiten in der Modebranche hat sie gelernt mit schlauen Kombinationen und ausgefallenen Accessoires immer stilvoll auszusehen.
Pünktlich um 9:00 Uhr steht Achmed vor dem Hotel, um sie abzuholen. Harriette hat ein paar Stücke Papaya und eine Scheibe labbriges Weißbrot mit starkem Kaffee zum Frühstück gehabt - kein Wow, aber gut genug. Sie steigt fröhlich in Achmeds klappriges Auto.
“Jambo … hello, mama!”, begrüßt er sie fröhlich. Achmed ist nicht alleine. Auf dem Beifahrersitzt sitzt ein anderer Mzee,- grauhaarig, groß, hager und mit gelben Raucherfingern. Achmed stellt Harriette seinen Begleiter vor. Er sei Architekt und werde sie begleiten.
Und schon fahren sie los, quer durch Malindi in südliche Richtung. Cafés, Restaurants, Casino, Supermärkte, Kioske, Banken. Alles vorhanden in diesem Ort. Sie kommen am Marktplatz vorbei - noch immer bedeckt von einer breiigen dicken Schlammschicht. Langsam durchqueren sie den Platz, wo wie jeden Tag Hühner, Obst, Gemüse und andere Produkte verkauft werden. Ein reges Treiben.
Je weiter sie fahren, desto schöner wird die Umgebung. Weiße Häuser mit Makutidächern und farbenprächtigen Gärten an beiden Seiten der Straße. Achmed biegt nach links in Richtung ‘Marine National Park’, ein bekanntes Meeresnatur-schutzgebiet an der Ostküste Kenias. Der Weg wird schmaler und schon bald erreichen sie eine Gegend, abseits von der Hauptstraße, mit schönen Häusern, umzäunt von dicht-bewachsenen Mauern.
Achmed hält vor einem hohen Holztor an. Er hupt einige Male kräftig und schon bald wird das Tor von einem jungen Mann geöffnet. Aufgeregtes Hundegebell. Achmed fährt hinein und parkt das Auto im kleinen Innenhof. Alle drei steigen aus und werden sofort umringt von vier bellenden Jack Russels. Harriette steht vor einem symmetrisch angelegten, zweistöckigen Haus: in der Mitte ein zentraler Teil mit Haupteingang und links und rechts davon zwei Seitenflügel, Nord und Süd, die etwas versetzt nach vorne gebaut sind, sodass der Eindruck entsteht, als sei das Haus in einem Bogen angelegt. Links und rechts unterteilte Schiebefenster mit Fensterrahmen aus dunklem Holz, das stark kontrastiert mit den weiß gekalkten Wänden. Und, wie so viele Dächer in dieser Gegend, ein Makuti-Dach.
Dorothy Carmel, die Besitzerin des Hauses - Harriette schätzt sie auf Mitte siebzig – kommt ihr lächelnd entgegen.
“Good morning! How nice to meet you!”, begrüßt sie Harriette auf Englisch. “Jambo bwana Achmed, jambo bwana”, fährt sie fort in Swahili und bittet alle hinein.
Harriette begibt sich in Dorothy Carmels Haus. Sie betritt sogleich den zentralen Raum – eine symmetrisch angelegte Lounge - ausgestattet mit zwei großgeblümten, etwas verschlissenen Leinensitzbänken, die schon mal bessere Zeiten gesehen haben. Kleine, ovale Beistelltische aus dunklem Holz mit Rokokobeinchen stehen etwas verloren im Raum verteilt. Hinter den Rückenlehnen der beiden Sofas prunken zwei Sideboards, auf denen verschiedene kitschige Porzellanfiguren und geblümtes englisches Teeservice mit Goldrand bestätigen, dass es sich um eine Britin handelt, die dieses Haus bewohnt, sollte ihr Name dies nicht bereits nachweisen. Harriette fällt wieder eine Szene aus ’Out of Africa’ ein, in der Blixen Besuch bekommt von einer jungen Dame aus der High Society, mit der sie auf ihrer Veranda Tee trinkt aus diesen typisch englischen Teetassen.
Links und rechts des Raums befinden sich zwei Türen, die Zugang gewähren zu dem nördlichen und südlichen Seitenflügel. Harriette durchquert die Lounge, an deren Ende sich eine weit geöffnete, breite, mit Schnitzereien reich verzierte Flügeltür befindet. Sie betritt eine großzügig angelegte Veranda mit Blick auf einen tropischen Garten mit Pool. Atemberaubend!
Das nachher. Jetzt erst das Haus!, denkt Harriette und dreht sich um, um wieder zur Lounge zurück zu kehren, wo Dorothy Carmel auf sie wartet. Jetzt bemerkt Harriette, dass direkt beim Hauseingang eine Treppe in einem Bogen nach oben führt, eine Steintreppe mit klobig-massivem Holzgeländer.
Harriette betrachtet den Fußboden. “Ja, das ganze Haus und auch die Veranda haben Galana-Steinböden”, erklärt Dorothy, die Harriettes interessierten Blick haarscharf beobachtet. “Dieser Galana wird gewonnen aus dem Athi-Galana-Sabaki-Fluß, dem zweitlängsten Fluß Kenias. Es ist eine Art Schiefergestein und ist sehr beliebt hier. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Haus”, fährt sie fort und zeigt Harriette die beiden angrenzenden Zimmer. Diese sind als Schlafzimmer ausgestattet mit großen, für diese Gegend so charakteristische Himmelbetten mit hochbeinigen gedrechselten Bettpfosten, die das Moskitonetz über das gesamte Bett spannen. An beiden Seiten der Himmelbetten stehen ovale Beistelltische mit kleinen Tischlampen. Die unterteilten Schiebefenster der Zimmer, die an Gartenseite und an Innenhofseite eingelassen sind, werden von schweren Leinenvorhängen umrahmt. Beide Zimmer haben direkten Zugang zum Garten.
Die angrenzenden Badezimmer sind komplett ausgelegt mit Galana: Fußboden, Dusche, Waschtisch. Über dem Waschtisch ein großer, quadratischer Spiegel mit dunklem Holzrahmen. Auch WCDeckel und Badetuch-Holzständer sind aus dunklem Holz. Ganz schön rustikal, aber mit den weißen Wänden sieht’s gut aus!, stellt Harriette fest. Die Einfachheit und Authentizität gefallen ihr.
Dorothy führt Harriette über die Treppe nach oben. Dort erstreckt sich eine Veranda, die flächenmäßig die Lounge im Erdgeschoß und auch deren angrenzende Veranda zum Garten vollständig überdeckt. Diese obere Veranda ist gigantisch! Die bogenförmige Balustrade zur Gartenseite läßt sie nicht nur noch größer erscheinen, sondern verleiht ihr auch eine gewisse Grandeur.
Harriette schaut hinunter auf den farbenfrohen, tropischen Garten mit seinen zahlreichen Hibiscussträuchern, Zitronenbäumchen, grünen Agaven, blühenden Bougainvillea-Sträuchern, Franchipanis und einem majestätischen, schattenspendenden Flammenbaum, von dem sie jetzt noch nicht weiß, welche Bedeutung er für sie bekommen wird. Und inmitten dieser Farbenpracht erstreckt sich dieses blaugestrichene, nierenförmige Schwimmbad, dem man ansehen kann, dass es einer gründlichen Renovierung bedarf. Sie findet es großartig hier! Sie schließt ihre Augen und atmet tief durch.
Was wäre wenn … .
Harriettes Blick schweift langsam nach oben. Ein riesiges, wohl zehn Meter hohes Makuti-Dach überkuppelt die gesamte obere Etage. Die Konstruktion dieses Daches, mit all ihren Holzverstrebungen, verleiht dem Ganzen etwas Monumentales und Majestätisches. Refugium, Pyramide, Beduinenzelt, sind Harriettes Assoziationen beim Anblick dieser Dachkonstruktion.
Links und rechts von der Veranda führt je ein zur Gartenseite offener Gang zu den Zimmern, die sich genau über den beiden Schlafzimmern im Untergeschoß befinden. Auch diese beiden Zimmer sind mit Himmelbett und eigenem Badezimmer ausgestattet. Auch diese Zimmer haben, genau wie die beiden unteren, je zwei Schiebefenster, je eines mit Blick auf den Garten und ein anderes mit Blick auf Innenhof und Einfahrt.
Vier Schlafzimmer und vier Badezimmer