Schwarzer Honig. Harriette Van der Ham
gefragt ist. Sie durchquert ganz Malindi, bis sie an einem kleinen Platz das Büro von AirKenya erreicht.
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Sie hätte auch einen Bus nehmen können nach Lamu. Das ist eine Tagesreise und kostet so gut wie nichts. Doch davon wird strengstens abgeraten. Sogar im Reiseführer wird vor diesen Busfahrten gewarnt: Die Busse werden regelmäßig durch Somalis überfallen. Man weiß, dass in den meisten Fällen auch Mzungus an Bord sind, und auf die haben sie es abgesehen. In deren Köpfen gilt: Mzungus haben Geld - immer - auch wenn sie kein Geld haben!
Es ist Nebensaison und das macht sich überall bemerkbar: Harriette kann sofort einen Flug für den nächsten Tag buchen und das auch noch zum Sondertarif. Sie bucht und gönnt sich danach einen Cappuccino im ‘Karen Blixen Café’. Wieder befindet sich Harriette auf einem anderen Planeten: Schmuck, Parfums, lackierte Fingernägel, rotblonde Haare, große Sonnenbrillen, Design Taschen, Miniröcke und vor allem lautes Gerede. Der Cappuccino hier ist einfach köstlich, so ganz anders als der Kaffee, den sie zum Frühstück serviert bekommt. Harriette amüsiert sich beim Anblick all dieser Glittermenschen. Warum putzen die sich alle so heraus? Wir sind doch nicht bei irgendwelchen Filmpremieren!
Es wird Zeit für Subhash. Sie beschließt, den ganzen Weg zurück zu laufen. Busse und Sammeltaxi’s – sogenannte Matatus - gibt es nicht in der Stadt. Sie könnte sich ein Boda-Boda nehmen – eine Fahrt auf dem Gepäckträger eines meist klapprigen Fahrrads ‘made in China’. Nein, Harriette läuft lieber.
Subhash hat alles fertig und überreicht ihr sein Werk. Harriette liest die Absichtserklärung. Wieder dieses Spannungsgefühl in ihr. Jetzt wird’s ernst! Sie liest nochmal. Sie stellt Fragen. Sie versteht. Sie unterzeichnet. Sie ist jetzt ‘Beinah-Eigentümerin’ eines Hauses in Kenia. Subhash erzählt von Dorothy und ihrer Schwester Daisy.
“Die beiden haben ziemlich wilde Zeiten hinter sich - das war vor langer Zeit”. Subhash lächelt verschmitzt. Harriette schweigt neugierig. “Und trinken konnten die beiden wie kein anderer!”, fügt er noch hinzu. “Dorothy hat eine Tochter in England, und bei dieser Tochter und deren Mann wird sie jetzt leben. Sie haben alles vorbereitet. Dorothy wird ihren eigenen Wohnbereich haben, sie kann nicht warten - sie fühlt sich hier zu einsam”. Harriette nickt und verabschiedet sich von Subhash.
“Wenn Sie jemals Hilfe benötigen - und das werden Sie - dann rufen Sie mich an oder kommen einfach vorbei. Sie haben noch viel zu lernen hier!”, sagt Subhash und zwinkert ihr zu.
“Ja, ich habe noch viel zu lernen hier. Ich kenne nichts und niemanden. Ich weiß noch nicht einmal was ein Liter Milch hier kostet! Ich nehme Ihr Angebot gerne an! Danke, Subhash!”.
Lamu
Die kleine Propellermaschine steht auf der holprigen Piste und wartet auf die Starterlaubnis. Harriette hat Glück: sie darf ins Cockpit! Math, der Pilot, ist Brite und fliegt schon viele Jahre nach Lamu. Harriette schätzt ihn auf Anfang Vierzig. Er erzählt ihr, wie er nach Malindi gekommen ist, dort seine Frau kennengelernt hat und geblieben ist.
“Malindi liebt man oder hasst man. Ich liebe es, aber auch nur, weil ich nicht immer hier bin. Ich fliege auch andere Routen. Die Italiener hier können einem schon ganz schön auf den Geist gehen”, lacht er und zwinkert ihr zu. Dann verändert sich sein Gesichtsausdruck von Gelassenheit in Konzentration. “Ready for take-off!”
Hoch über dem Indische Ozean, der in der Sonne glitzert, erstreckt sich nach Westen eine endlose, atemberaubende Landschaft: die große Bucht der Flussmündung des Galana Rivers. Dieser majestätische Fluss, diese Hauptschlagader, schlängelt sich viele hundert Kilometer Richtung Osten und mündet in den Indischen Ozean. Entlang der Ufer schmiegen sich breite, saftig grüne Streifen, die je weiter das Auge reicht, allmählich in braun-grünen Schattierungen verlaufen. Auch das ist Kenia, denkt Harriette und empfindet in diesem Augenblick ein starkes Glücksgefühl.
Die Landebahn von Lamu, ein Feldweg auf Manda Island, verschafft eine holprige Landung. Die Maschine kommt zum Stehen und die Tür wird geöffnet. Leichter Wind weht ihr ins Gesicht. Harriette krempelt ihr khakifarbenes langes Kleid hoch und steigt aus. Sie läuft quer über die Rollbahn, auf der auch andere kleine Flugzeuge stehen, bis zum Terminal, einer winzigen Holzbaracke, versehen mit einem handbemalten Holzschild ‘Lamu Airport’. In der so genannten ‘Lounge’, unter einem Baum, sitzen ein paar Rucksacktouristen auf einfachen Holzbänken und warten auf ihren Rückflug nach Malindi. Harriettes Blick fällt auf zwei kleine, schief hängende Holzschilder, worauf geschrieben steht: ‘Duty Free Shop’ und ‘Welcome to Lamu’.
Die Passagiere, die von Malindi gekommen sind, werden von jungen Männern zum Steg begleitet. Dort wartet ein großes altes Fischerboot, eine Dhow. Eine schmale nasse, mit Algen bedeckte, rutschige Treppe führt hinunter. Unten an der Treppe helfen andere junge Männer beim Einsteigen. Die gesamte Innenseite der Dhow ist mit geflochtenen Bastmatten ausgelegt. Harriette setzt sich auf eine der kargen Holzbänke. Die Einfachheit der Dinge in diesem Land ist es, wonach sie so lange gesucht hat. Sie bindet sich ein pinkfarbenes Tuch um den Kopf und schiebt ihre Sonnenbrille darüber. Sie schließt kurz ihre Augen, mit dem Gesicht zur Sonne gerichtet und atmet die salzige Seeluft ein. Was braucht der Mensch mehr?, denkt sie glücklich und fühlt sich wie eine Prinzessin aus 1001 Nacht. Die Dhow legt ab und langsam, entlang der Mangroven, durchquert sie schwarz-blaues Gewässer in Richtung Lamu-Town, wovon die Umrisse in der Ferne schon deutlich zu erkennen sind.
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Lamu-Town, älteste und besterhaltendste Swahili-Siedlung in Ost Afrika, gebaut aus Korallgestein und Mangrovenholz. Stadt auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes, Touristenattraktion, gelegen auf der gleichnamigen Insel Lamu, direkt vor der Ostküste des Landes. Hinter ihren reichverzierten Holztüren verbergen sich die schönsten Innenhöfe, die Kühlung gegen die glühende Hitze bieten.
Lamu, Stadt der Swahili-Frauen in Buibuis – diese mantelartigen, schwarzen Gewänder, die nichts freigeben außer hennabemalte Hände und Füsse und manchmal ein schönes Gesicht, wenn nicht verborgen hinter einem Gesichtsschleier. Lamu, Stadt der streunenden Katzen und Stadt der Esel, denn Straßen und Autos gibt es nicht. Esel auf Lamu haben ein hartes Leben: gnadenlos überladen, oftmals mit Zementsäcken, die sie unter stetigen Peitschenhieben kilometerweit durch einsinkenden Sand zur Baustelle schleppen müssen.
Lamu, auch Stadt unzähliger Möbelbauer, die fast alle dasselbe produzieren: Möbel im Swahili-Stil, reichgeschnitzte Tische, Stühle und Betten mit gewebten Sitz- und Liegeflächen. Möbel mit Knochen- oder Perlmuttintarsien. Lamu, ein Mekka für exotischen Lebensstil.
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Harriette nimmt ein Zimmer im ‘Bahari Hotel’, einer kleinen, sehr einfach ausgestatteten Lodge mitten in Lamu. Sie stellt die kleine Reisetasche in ihr Zimmer und verlässt die Lodge, um Lamu zu entdecken.
Sie läuft durch enge Gassen, die so schmal sind, dass das Sonnenlicht kaum eine Chance hat, sich durch alle Ecken und Windungen hindurchzuzwängen. Und das ist angenehm, denn es ist schattig und kühl. Sie hat einen günstigen Zeitpunkt erwischt, da um die Mittagszeit nur wenige Menschen unterwegs sind. Ab und zu ein Esel mit vollgepackten Körben oder ein paar spielende Kinder. Die Geschäfte sind zum Teil geschlossen, es wird Siesta gehalten.
Lamus Gassen mit ihren unzähligen Winkeln kommen ihr wie ein großer Irrgarten vor. Sie lässt sich treiben. Wie schön diese alten schweren Türen hier sind - denkt sie, als sie vor einer reich verzierten Holztür steht. Sie berührt das Schnitzwerk und merkt, dass sich die Tür durch den Druck leicht öffnet. Harriette ist neugierig, sie schaut sich um. Sie sieht niemanden. Vorsichtig öffnet sie die Tür soweit, dass sie hineingehen kann. Sie steigt über einen Querbalken und tritt hinein. Sie befindet sich in einem Innenhof, umgeben von hohen, grauen Mauern, die zum Teil mit Kletterpflanzen bewachsen sind. Es ist schummrig hier. Eine türkisfarbene Echse mit orangefarbenem Kopf, die sich im Kegel des einfallenden Sonnenlichts aufwärmt, huscht verschreckt hinter einen großen Pflanzenkübel. Harriette würde gerne weiter hineingehen, aber sie traut sich nicht. Ist dies ein Privathaus? Es ist so still hier, so friedlich. Sie fühlt sich als Eindringling und kehrt schnell um.
Sie schlendert