Schwarzer Honig. Harriette Van der Ham

Schwarzer Honig - Harriette Van der Ham


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hat mehrere Brüder und Schwestern. Er und sein jüngerer Bruder Jeff haben vor vielen Jahren den Kontakt zu den anderen Geschwistern und dem Vater abgebrochen, als dieser eine zweite Frau heiratete. Farrah und Jeff waren gegen die Heirat, die anderen Geschwister beugten sich dem Wunsch des Vaters, worauf Farrah und Jeff sich vom Rest der Familie trennten.

      “Jeff ist meine Familie. Ich habe nur noch sehr selten Kontakt zu meinem Vater. Ich bin nach meiner Hochzeit mit Alice bei meinem Vater gewesen, nur ein einziges mal. Heute schäme ich mich, ihn zu besuchen. Mein Vater war nie sehr angetan von Alice. Sie tue mir nicht gut, hat er gesagt. Jeff lebt mit seiner Freundin Gladys in Nairobi. Er hat eine kleine Firma, die Impfstoffe aus Israel importiert. Impfstoffe für Rinder. Er macht das gemeinsam mit einem Geschäftspartner”.

      Über Alice erfährt Harriette, dass sie eine der reichsten Frauen Australiens ist. Sie besitzt zahlreiche Häuser in Sidney und Melbourne und hat mehrere Lagerhäuser gemietet, in denen sich ihre Antiquitäten türmen. Sie wurde reich geboren. Ihr Vater schien ein Despot zu sein, ein Mensch, der unumschränkt seine eigenen Interessen verfolgte. Ein Mensch, der im Geschäftsleben seine Pläne bis zur Illegalität durchzog unter der Devise “Erst machen und durchsetzen, und später erst die Konsequenzen daraus ziehen. Sehr oft treten die nämlich garnicht ein!“ Ein Mensch, der Widerrede und Gegenmeinungen nicht duldete - nicht im Geschäftsleben, nicht zu Hause. Dementsprechend war die Atmosphäre zu Hause immer kalt. Als Kind hat Alice ihren Vater gehasst, sie hatte Angst vor ihm, aber im Laufe der Jahre wurde sie ihm immer ähnlicher. Heute hat sie nur Gutes über ihren Vater zu sagen, so ähnlich ist sie ihm geworden. Sie hat dieselben berechnenden, eiskalten Charakterzüge von ihm übernommen.

      “Alice als Feind zu haben ist kein Spaß”, fährt Farrah mit Bestimmtheit fort.

      “Alice hat einen jüngeren Bruder, der genau das Gegenteil von Alice ist: warmherzig, tolerant, geduldig, bescheiden - und trotzdem verstehen sich die beiden gut! Alice liebt ihren Bruder und er liebt seine Schwester. Wirklich ein Phänomen!”.

      “Aber wenn Alice das ist, was du mir gerade alles von ihr erzählt hast, kannst du dich ja noch auf unangenehme Überraschungen gefasst machen!”.

      Dann erzählt Harriette Farrah über ihre Kindheit - von diesem ‘warmen Nest’ mit liebevollen Eltern und Geschwistern. Sie lebte ein glückliches, sorgloses Leben, wenn da nicht der plötzliche Tod ihrer Mutter gewesen wäre. Sie war dreizehn Jahre alt, als ihre Welt zusammenstürzte und sich eine dunkle, feuchte Decke über sie legte - über alle.

      “Du warst dreizehn?”, fragt Farrah ungläubig.

      “Ja. Vater stand von einem Tag auf den anderen alleine da mit vier pubertierenden Kids - die Älteste gerade sechzehn, die Jüngste zehn Jahre alt. Das Leben musste weitergehen, der Alltag musste geregelt und die Köpfe über Wasser gehalten werden. Jeder musste für sich damit fertig werden. Vater saß nächtelang bis in die frühen Morgenstunden im Wohnzimmer mit einem Glas Whisky und weinte. Und wir Kinder, wir weinten jeder für sich im eigenen Zimmer”.

      “Zeit der Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit”, sagt Farrah leise.

      “Ja, aber auch Zeit von großer Wut – bei mir jedenfalls! Ich kehrte mich ab von Gott. Wie konnte ein Gott so etwas zulassen? Einer ganzen Familie den Dreh- und Angelpunkt entreißen? Wie sollte alles weitergehen? Ein Gott, der so etwas zulässt, kann kein guter Gott sein, war meine Schlussfolgerung und ab jenem Tag weigerte ich mich, jemals wieder eine Kirche zu betreten. Durch den Tod unserer Mutter haben wir Geschwister untereinander eine sehr starke Beziehung entwickelt, auch die Beziehung zu unserem Vater wurde viel enger, vielleicht war das die positive Seite des Dramas”. Harriette schweigt kurz und wechselt dann das Thema.

      “Komm, ich zeige dir das Haus und erzähle dir meine Ideeen, wie ich es umbauen will …”. Sie steht auf und fordert Farrah auf ihr zu folgen.

      *

      Mosi hat das Frühstück vorbereitet. Harriette kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er irgendwie innerlich grinst. Blödmann. Es ist nicht so, wie du denkst - versucht sie sich gedanklich zu rechtfertigen. Wahrscheinlich hat Mosi heute morgen schon Jengo und Furaha ein schönes Märchen erzählt, denkt sie.

      Harriette ist froh, Farrah zum Arbeitsamt fahren zu können, denn Villa Waridi ist seit Wochen ein hektischer und chaotischer Ort. Alessio hat mit den Umbaumaßnahmen begonnen und seitdem laufen tagtäglich seine Handwerker durch Haus und Garten – jeder mit seiner eigenen Hilfskraft, der Eimer oder Kellen festhalten muss. Diese sogenannten Kibaruas sind ihr ein Dorn im Auge, weil sie nichts tun, außer Zigarettenkippen verstreuen und ihren Garten ‘wässern’. Sie spricht Alessio auf ihre Nutzlosigkeit an, aber er meint, ohne diese Männer würde die Arbeit wesentlich langsamer verlaufen.

      Noch langsamer! Ein Witz! Wenn ich sehe, in welch einem Schlafmützentempo hier gearbeitet wird, es ist nicht zu glauben! Aber ich bin neu in diesem Land. Ich werde mich nicht in Alessios Arbeitsmethoden einmischen. Es scheint so üblich zu sein, versucht sie sich zu beruhigen.

      Beim Arbeitsamt angekommen, neigt Farrah sich zu ihr, küsst ihre Wange und sagt:

      “Danke, Harriette, für das schöne Gespräch von gestern Abend und für deine Gastfreundschaft. Ich melde mich, wenn ich wieder in Lamu bin”.

      Er nimmt seine Laptoptasche und steigt aus. Er lächelt ihr zu und verschwindet in dieses Gebäude mit abgeblätterter Farbe und rostigen Fenstergittern.

      Harriette sitzt bewegungslos und stocksteif im Auto. Farrah hat sie soeben auf die Wange geküsst! Farrah macht Avancen! Was ist Farrahs Plan? Was hat er für Absichten? Und ich? Was soll ich hierüber denken? Wo begebe ich mich hinein? Was geschieht hier?

      Vier Stunden später kommt ein Fax aus Lamu von Farrah. Das Treffen verlief diesmal besser, man hat sich einigen können. Er hat viel Arbeit auf seinem Schreibtisch, aber zum ersten Mal seit Wochen steht ihm der Kopf nicht danach. Eigentlich will er jetzt gar nicht in Lamu sein. Das gestrige Gespräch mit Harriette hat ihm gutgetan. Die Tatsache, dass jemand da ist und ihm zuhört … die Tatsache, dass es ihm möglich war, einer ihm fremden Person Geheimnisse seines Privatlebens erzählen zu können, ohne das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass diese Person diese Informationen missbrauchen könnte. Die Tatsache, dass er gestern Abend so etwas wie Güte empfand. Güte, die ihm gegeben wurde. Verständnis. Die Tatsache, dass er sich dieser fremden Person vollkommen vertraut fühlt. Tatsache ist, dass er eigentlich gleich wieder nach Malindi fliegen will.

      Was geschieht hier? Ist das alles nicht etwas schnell? Bin ich ein willkommener Zufluchtsort für ihn? Bin ich vielleicht seine Ausstiegmöglichkeit aus einer für ihn aussichtslosen Ehe? Welche Konsequenzen wird dies haben? Alice in Australien und Farrah, ihr Mann, tausende Kilometer von ihr entfernt, plant seinen ehelichen Abgang? Und was will ich eigentlich?

      Viele Fragen. Panik macht sich breit.

      Am nächsten Tag ist er zurück. Er steht vor ihrem Tor. Hundegebell draußen und kurz darauf kommt Mosi und sagt:

      ”Mama, bwana Farrah ist hier!”.

      Harriette geht selber zum Tor um es zu öffnen. Sie bleibt am Tor stehen.

      “Du kommst unangemeldet. Dein Fax von gestern hat mich ziemlich überrumpelt und jetzt überrumpelst du mich wieder. Ich weiß nicht, was ich von alledem halten soll und in welche Situation ich mich hineinbegebe. Ich möchte nicht zwischen dich und Alice geraten. Ich freue mich zwar, dass du hier bist, aber ich bin beunruhigt. Jetzt komm erstmal herein. Ich habe ein volles Programm heute und fahre jetzt gleich in die Stadt, um noch Verschiedenes im Hardwarestore zu besorgen, sodass die Arbeiten hier zügig fortgesetzt werden können. Ich muss auch noch Rechnungen bezahlen bei KP&L7 und Telcom. Also, wenn du willst, kannst du mitkommen!”.

      “Ich begleite dich gerne”, antwortet Farrah kleinlaut und steigt in Harriettes Pajero ein. Sie fahren los. Mosi schließt das Tor.

      Während der Fahrt versucht Harriette nochmals ihre Verwirrung über Farrahs Fax und die Entwicklungen der letzten Tage zum Ausdruck zu bringen.

      “Harriette, es tut mir leid.


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