TIERE FRESSEN MENSCHEN.. Roy Koepsell

TIERE FRESSEN MENSCHEN. - Roy Koepsell


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Anspielungen seines Gastes. Aber gerade diese Reaktion ließ Thilo nicht nachgeben, sondern bestärkte ihn darin, Knuts Unterschlupf weiter madig zu machen.

      „Pass bloß auf, dass dein Haus nicht einstürzt.“

      Thilo packte seinen dunkelgrünen Rucksack aus, in dem sich drei Äpfel und zwei kleine Packungen Milchschokolade befanden.

      „Willst du was davon?“

      Knut schaute sich den Inhalt der Schultertasche an und fragte, ob er ein Stück Schokolade bekäme. Thilo lächelte mit gewissem Kalkül.

      „Nimm', kein Problem. Aber dann darf ich regelmäßig mit in dein Tipi kommen!“

      Knut rückte einige Zentimeter zurück an den Rand des Zeltes, ließ ein Dutzend Sekunden verstreichen und verneinte mit stummem Kopfschütteln.

      „Dann nicht, du Trottel!“

      Mit diesen kurzen Worten um sich werfend, schnappte sich Thilo die Lebensmittel und legte sie zurück in den Ranzen. Er stand auf und blieb bei seinem Fortgang noch absichtlich an einem Fichtenstamm hängen, der die Stabilität des Unterschlupfes gewährleistete. Die Plane gab ein raschelndes Geräusch von sich und das Zelt wackelte heftig. Doch es hielt dem Angriff stand. Das Tipi trug keinen bleibenden Schaden davon. Knut schloss die Augen und versank in seinen Gedanken. Von innen war noch zu hören, wie Thilo sich draußen Meter für Meter entfernte. Dann wurde es endlich still.

      Der Hochsommer näherte sich seinem Ende und in den Gärten roch es nach den verschiedensten Duftrosen. Die Obstbäume trugen satte Fruchtkörper, die sich inmitten ihrer Reifephase befanden. Obwohl es deutlich über zwanzig Grad warm war, wollte Knut an jenem Tag seinen selbst gebauten Kamin ausprobieren. Werner und Ingrid waren zu einem längeren Spaziergang aufgebrochen und der Moment erschien ihm passend. Knut schnappte sich etwas Zeitungspapier aus der Küche und knüllte den Zündstoff zu handlichen Ballen. Ein Feuerzeug befand sich im Wohnzimmer. Unterhalb des Fernsehers sichtete er eine Schublade, in der Metalluntersetzer für Gläser, leere Geburtstagskarten und ein Set Bowlespieße aus Lauschaer Glas lagen. Die dünnen Stäbe waren mit bunten Tierkörpern verziert und zogen sogleich Knuts Interesse auf sich. Den Weißstorch bewunderte er besonders aufmerksam, weil ihn diese Tiere begeisterten. Knut wusste, dass es sich um Zugvögel handelt, die ihren Weg nach Ostafrika ohne Landkarte bestreiten. Wie gern würde er diesen Herbst mit ihnen zusammen fortfiegen und ihr warmes Winterquartier besuchen.

      Doch nun wollte er erstmal den Kamin ausprobieren. Knut schnappte sich die benötigten Utensilien und wanderte zu seinem Unterschlupf. Dort angekommen, legte er die Zeitungsballen in den Kamin und verteilte diese geschickt im Heizraum. In den Tagen zuvor hatte er sein Projekt umgesetzt und dafür den Sandkastenkies mit etwas Regenwasser gemischt. Mit beiden Händen formte er den Kamin aus, ließ aber im oberen Bereich des Heizraumes ein Loch offen. Mit einem breiten Kupferrohr, das er in Opas Werkstatt fand, wollte er den Rauch senkrecht aus dem Tipi leiten. Knut schnappte sich das Feuerzeug und zündete etwas Papier an. Minimale Glut war zu sehen, doch ein standhaftes Feuer entwickelte sich nicht. Dafür qualmte es umso heftiger, denn der Kies besaß gewisse Restfeuchte und eine vernünftige Flammenbildung erschien unmöglich. Nach einigen Minuten brach er sein Experiment ab und erstickte das kokelnde Papier mit einem Fetzen Bettlaken, der ihm als Bodenbelag für sein Tipi diente. Etwas niedergeschlagen, beseitigte Knut die Spuren seines Heizversuches penibel und packte das Feuerzeug zurück in die Schublade. Dabei achtete er darauf, dass alles wieder so lag, wie er es vorgefunden hatte. Niemand sollte Verdacht schöpfen und etwas von seinem Geheimnis erfahren.

      Als Knut einige Zeit später den Stau auf seiner Sandkastenautobahn aufösen wollte, weil durch den Zusammenprall zweier Fahrzeuge ein Krankenwageneinsatz notwendig wurde, bemerkte er, dass er nicht mehr allein war. Thilo stand am Maschendrahtzaun und beobachtete das Geschehen in der Sandkiste. Die helle Iris seiner Augen spiegelte die Metallautos in Form, Farbe und Detailreichtum exakt wider. Nachdem Thilo wortlos einen kurzen Zeitabschnitt verstreichen ließ, sprach er Knut direkt und unverblümt an:

      „Trottel, ich hab’ mitbekommen, was du gemacht hast. Der Qualm war überall.“

      Knut schien irritiert, schließlich hatte er nicht damit gerechnet, dass er beobachtet wurde. Er äußerte sich nicht zu Thilos Anspielung, sondern kümmerte sich stoisch darum, dass der Verkehr nach dem Unfall wieder ins Rollen kommt. Der ungebetene Gast ließ jedoch nicht locker:

      „Ich werd’ deinem Opa erzählen, dass du hier den halben Garten abgefackelt hast. Der wird sich freuen. Aber wer so blöd ist, hat das eben verdient.“

      Knut wirkte innerlich schockiert. Thilo wusste also von seinem Geheimnis und drohte ihm damit, es seinem Opa unter die Nase zu reiben. Die Situation entwickelte sich in eine beunruhigende Richtung. Was wollte Thilo von ihm? Warum ließ er ihn nicht einfach in Ruhe? Plötzlich stand Knut ruckartig auf und packte Thilo am Hals. Mit seiner rechten Hand drückte er ihm den Kehlkopf zu und für Sekundenbruchteile verwehrte Knuts Daumen jedes weitere schäbige Wort, das Thilo hätte äußern können. Knut war bis zu diesem Nachmittag nie handgreifich geworden. Es platzte deshalb so heftig aus ihm heraus, weil die stechende Ungerechtigkeit Knuts Luftzufuhr abrupt unterbrach. Es handelte sich defnitiv um Notwehr. Thilo rannte winselnd davon, nachdem Knut ihn losgelassen hatte. Doch die Dohle formulierte bereits im fiehenden Modus ihre Rache: „Dich mach‘ ich platt.“

      Als Ingrid und Werner von ihrem Spaziergang zurückkehrten, war es kurz nach achtzehn Uhr. Knut plagte seit dem Nachmittag die splitternde Angst, dass Thilo ihn tatsächlich verraten könnte. Was war zu tun? Sollte er seinen Großeltern beichten, was heute Nachmittag geschah? Doch wie würden Oma und Opa reagieren? Würden sie ihn für sein Fehlverhalten tadeln? Knut fühlte sich wie ein Regenwurm, der im Schnabel einer Dohle gefangen war und sich nicht ausmalen konnte, wo er am Ende landen wird. Sicher war nur eines – lebend kommt er hier schwerlich heraus.

      Knut schwieg. Zu groß war die Angst, dass es Ärger mit seinen Großeltern geben würde. Nichts wäre schlimmer, als dass sein Opi böse auf ihn ist und fortan nicht mehr mit ihm im Garten bastelt. Und auch Omi sollte so lieb zu Knut bleiben, wie sie es immer war. Die Kinderseele schien spürbar angegriffen zu sein. Knut war sich nicht mehr sicher, ob er Thilo zu grob anfasste. Und ob es der Nachbarjunge infolge seines fesen Verhaltens tatsächlich verdiente, eine schmerzhafte Lektion zu erfahren. Gedanken über Gedanken, die selbst an Kindern rütteln und wanken.

      Werner wies seinen Enkel darauf hin, dass es bald Abendbrot gäbe und fragte ihn, ob er seiner Oma bei der Vorbereitung helfen würde. Knut nickte in seiner gewohnten Bewegung und begab sich eifrig in die Küche, um Ingrid unter die Arme zu greifen. Knuts Omi schälte Kartoffeln und bereite nebenher die süßsaure Soße vor, die ihre Senfeier so köstlich machten.

      „Oh, Knut, schön dass du kommst. Du willst mich bestimmt unterstützen. Wenn du magst, kannst du die Eier pellen. Pass’ aber bitte ein wenig auf, die Hühner haben sie frisch gelegt. Dann geht die Schale schlechter ab.“

      Knut hatte schon einige Male beim Kochen mitgeholfen, doch die Senfeier machte seine Omi am liebsten allein. Sie schätze die Ruhe am Herd, aber auch die Möglichkeit, ohne beobachtet zu werden, ihre Soße nach Herzenslust und wechselndem Gusto verfeinern zu können. Ingrid war eine patente Köchin und ehrbare Ehefrau. Und obendrein eine tolle Omi, von der Knut viel lernte. Ihr Dasein wird ihm zeigen, dass nichts auf dieser Welt ohne Grund geschieht.

      An diesem Abend im August war Knut sieben Jahre und siebenundzwanzig Tage alt. Die süßsauren Eier schmeckten wie immer hervorragend – getragen von einer leichten Senfnote und dem liebevollen Abschmecken mit Zucker, passten sie perfekt in die Abendstimmung. Alle drei griffen beherzt zu und Knut nahm seinen Zeigefnger zu Hilfe, um den letzten Klecks Soße vom Teller wischen zu können.

      Der Schatten verweilt nur dort,

      wo das Licht nicht hingelangt.

      KAPITEL VIER.

      Mit Ende zwanzig war Knut ein geselliger und aufgeschlossener Kerl. Fast wäre er als extrovertiert durchgegangen, so hätten es zumindest seine Freunde, Bekannten und Kollegen geschildert. Nach dem Abitur und seiner Ausbildung zum Uhrmacher wurde Knut im Vertrieb einer berühmten sächsischen Uhrenmanufaktur angestellt. Der Kundenkontakt


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