Wie tief kann ein Engel fallen? Teil 1 und 2: Zwei Romane: Redlight Street 64/65 Doppelband. G. S. Friebel

Wie tief kann ein Engel fallen? Teil 1 und 2: Zwei Romane: Redlight Street 64/65 Doppelband - G. S. Friebel


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bestimmt nicht glauben. Zugleich sagte sie sich aber, dass sie sich im Augenblick gar nicht melden durfte, denn dann würden die Eltern wissen, wo sie steckte und würden sie heimholen. Und zurück wollte sie nicht mehr. Nein, sie wollte in diesem Leben nicht vermuffen. Zurück ging sie erst, wenn sie eine ganz große Dame geworden war. Vielleicht würde sie bald eine kleine Rolle bekommen und im Fernsehen auftreten, dann würden sie aber dumm schauen.

      »So, wir sind da«, sagte ihr Begleiter, fuhr in eine schmale Einfahrt und stellte den Wagen auf einem schmutzigen Hinterhof ab. Hier sah es einfach grässlich aus.

      Helga war schwer enttäuscht. Sie hatte geglaubt, er würde in einer tollen Villa wohnen.

      »Hier wohnen Sie?«, rief sie darum ganz entsetzt. »Hier sieht es ja scheußlich aus!«

      »Du meinst den Hof?«, sagte er verächtlich. »Aber darauf kommt es doch nicht an! Nachts sind sowieso alle Katzen grau.«

      Das verstand sie nicht.

      »Wenn Sie so reich und berühmt sind, warum leben Sie da nicht in einer Villa?«, fragte sie ihn naiv.

      Er drehte sich erstaunt um. »Berühmt? Woher weißt du denn, dass ich bekannt bin?« Damit meinte er natürlich ein ganz anderes Bekanntsein.

      »Ja, sind Sie denn nicht beim Film?«, rief Helga.

      Er lachte gurgelnd. O du meine Güte, die war ja noch viel dümmer, als er gedacht hatte.

      »Wieso soll ich denn beim Film sein?«, fragte er neugierig.

      »Aber Sie sehen doch so todschick aus und so berühmt – und der tolle Wagen und Ihr Name und alles.«

      Sie brachte ihn tatsächlich zum Lachen, und außerdem fühlte er sich auch etwas geschmeichelt. Sie himmelte ihn so intensiv an, dass er ihr nicht widerstehen konnte. Und so schwächte er alles ab und sagte, um ihr einen Gefallen zu tun: »Natürlich bin ich das alles. Aber weißt du, ich möchte nicht, dass man es erfährt, hörst du? Dann kommen alle gelaufen und wollen Autogramme, und das hasse ich nun mal. Ich will nicht auffallen, ich will so leben wie die anderen Menschen. Darum auch meine Wohnung hier. Du wirst aber nicht enttäuscht sein. Das verspreche ich dir, Helga.«

      Sie lächelte ihn an und stieg aus.

      »Ich will mich auch bemühen, alles zu Ihrer Zufriedenheit auszuführen«, sagte sie selig.

      »Wenn das kein Versprechen ist«, murmelte er vor sich hin.

      Durch den kleinen Hinterausgang betraten sie das Haus. Es war vor dem Kriege erbaut worden, und von außen sah es wirklich nicht mehr schön aus. Etwas Farbe hätte alles viel freundlicher gemacht. Aber Sinn für Schönheit hatte man in dieser Stadt nicht. Am Tage schlief man meistens, und nachts sah man doch nicht, ob die Häuser gestrichen waren oder nicht. Das wollten die Leute auch gar nicht wissen, die hierherkamen. Also, warum Geld für eine Sache verplempern, die sich nicht lohnte und nichts einbrachte?

      Die Wohnung des Zuhälters lag im zweiten Stock. Und er hatte wirklich nicht zu viel versprochen. Die ganze Vorderfront hatte er gemietet. Und das sollte wirklich etwas heißen. Weil sie noch von früher stammte, waren die Räume sehr groß und auch sehr hoch, aber er hatte sie wirklich todschick und sehr teuer einrichten lassen. Hier gab es einfach alles.

      Als er die Tür aufschloss und Helga in die Diele eintreten ließ, verschlug es ihr die Sprache. Sie wusste gar nicht, wohin sie zuerst sehen sollte. Vielleicht den venezianischen Spiegel bewundern? Die kostbaren Brücken? Die Samtportieren? Die alten, kostbaren Bilder?

      »Oooh!«, hauchte sie nur.

      »Komm weiter«, sagte der Zuhälter und grinste.

      Der Salon hätte jedem gräflichen Haushalt Ehre eingelegt. Er aber kam aus einer ganz niedrigen, gemeinen Schicht. Die Mutter war eine miese Dirne und der Vater Säufer gewesen. Er aber hatte sich mit Brutalität an die Spitze der Zuhälter dieser Stadt gesetzt und sich mit allem umgeben, das anzeigte, wie wertvoll und groß er war. Ein düsterer Rahmen für so einen Mann. Ein Rahmen, der trog und die Opfer sprachlos werden ließ.

      Helga schwamm auf rosaroten Wolken. Alles musste sie sehen. Als er ihr auch noch das Bad mit den goldenen Kränen zeigte, musste sie unwillkürlich wieder an zu Hause denken. Wie spießig und mickrig war dort alles zugegangen, wie trist war die Einrichtung, wie billig der Teppich im Wohnzimmer, die blöden Blumen vor den Fenstern.

      Überall wo sie hinblickte, sah sie Samt und nochmals Samt. Er hing vor den Fenstern, und damit war die Bar ausgeschlagen. Ganz in Schwarz und Gold war sie gehalten.

      Hier also würde sie jetzt leben, zwar nur als kleine Reinemachefrau, aber sie würde Tag für Tag in diesen schönen Räumen sein! Dabei konnte sie dann träumen und sich vorstellen, sie wäre die Eigentümerin. Vielleicht, dachte sie und sah ihn heimlich von der Seite an, vielleicht liebt er mich auch eines Tages, und dann bin ich wirklich die Herrin hier.

      Im Geiste sah sie sich in einem tollen Abendkleid mit Schleppe. Der Pelz durfte nicht fehlen. Sie würde ganz blasiert sein und mit ihren wertvollen Ketten klimpern. Natürlich mussten die Eltern, Egon und die blöde Eva sie einmal besuchen kommen. Dann würde sie ihnen alles mit gleichgültiger Miene zeigen, und dann nach dem Mädchen klingeln und den Tee servieren lassen. Vornehme Leute tranken immer Tee, nie Kaffee. Im Fernsehen hörte und sah man doch immer, wie sie Tee servierten.

      »Das ist einfach toll!«, sagte sie überwältigt.

      »Und jetzt zeige ich dir dein Zimmer«, sagte der Zuhälter.

      Helga zitterte und ging mit. Als er ihr aber dann das Zimmer am Ende des Ganges zeigte, war sie abermals sprachlos. Es war genauso, wie es sich junge Mädchen erträumen. Ein Traum, ganz weiß, mit Gold und duftigen Gardinen, einem hellblauen Teppich und kleinen, niedlichen Nischen mit einem lustigen Sofa und einem Sessel. Teure Flakons standen auf dem Frisiertischchen, und einen Schreibtisch gab es da auch.

      Der Zuhälter verschwieg sehr wohl, dass hier all seine Pferdchen am Anfang einmal gelebt hatten – als sie das ganz große Geld einbrachten, manchmal pro Freier tausend Mark. Hier durften die Jungfrauen nächtigen, wie er es bei sich nannte – so lange, bis sie es nicht mehr waren und er sie auch nicht mehr als solche verkaufen konnte. Dann wurden sie brutal aus diesem Reich geworfen und landeten im Eroscenter, wo es längst nicht mehr so wundervoll und schön war.

      Er hatte da einen ganz raffinierten und gemeinen Trick, um die unschuldige Brut richtig an den Mann zu bringen. Andere Zuhälter waren gleich brutal und gemein. Damit verschreckte man sie nur und hatte seinen Ärger. Nein, er machte das ganz anders. Er zwang sie in ein Schuldgefühl, ein Abhängigkeitsverhältnis. So taten sie es dann wirklich freiwillig, und die reichen Kunden waren von diesen Mädchen begeistert und hingerissen und konnten nicht genug davon haben.

      »Gefällt es dir?«

      »Hier soll ich wirklich leben?«, jauchzte Helga überwältigt.

      »Ja!«

      »Aber«, stammelte sie, brachte aber dann vorläufig kein Wort über die Lippen. Ihr war, als träume sie, als würde sie irgendwo liegen und dies alles träumen.

      Gleich würde sie unsanft geweckt werden, und dann war der Traum verschwunden.

      »Komm, jetzt suchen wir erst einmal Elvira. Sie wird sich um dich kümmern, ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich muss fort.«

      Erschrocken blickte sie Roger an.

      »Wer ist Elvira?«

      Er lächelte spöttisch. »Du hast wohl Angst, dass es meine Frau ist, wie? Und sie dir jetzt den Kopf wäscht?«

      So etwas hatte sie in der Tat gedacht.

      »Elvira kümmert sich um alles. Du kannst ihr vertrauen.«

      Er ging in den großen Salon zurück und rief laut ihren Namen. Irgendwo in den Hinterräumen, die er ihr noch nicht gezeigt hatte, hörte sie, wie eine Tür zugeschlagen wurde. Dann kamen Schritte näher, und wenige Augenblicke später stand eine atemberaubende Schönheit auf der Schwelle. Sie hatte wundervolles rotes Haar! Es sah herrlich


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