Hilflos den Erpressern ausgeliefert. G. S. Friebel
Sie haben mir gesagt, ich solle meine interessante Freundin mitbringen. Und jetzt warten die doch auf dich. Und wie soll ich hinkommen, wenn du nicht mitkommst? Das liegt doch weit draußen auf dem Land, und dorthin fährt kein Bus. Wenn wir nicht Muckelchen nehmen, dann kann ich gar nicht hin.«
»Du hast also mal wieder mit mir angegeben, Emilie. Wie oft habe ich dir nun schon gesagt, dass mein Posten nicht so wichtig ist. Ich bin doch keine Beamtin.«
»Lass doch jetzt deine Strafpredigten, Meta, sag lieber, dass du mitkommst.«
»Ich habe Kopfschmerzen und möchte mich zu Hause eigentlich hinlegen.«
»Du wirst noch ganz sauertöpfisch, wenn du nie mitkommst, und außerdem verdirbst du mir den ganzen Spaß, Meta. Ich hab mich so darauf gefreut. Du hast doch nichts zu tun. Wenn wir nicht gehen, sitzen wir doch nur blöd zu Hause herum. Komm, sei doch kein Frosch! Wenn du wieder Kopfschmerzen hast, nimm doch eine Tablette. Die wirkt bald, und dann kannst du doch mitkommen.«
Sie hatte ja schon eine genommen, und sie verspürte schon langsam die Wirkung.
»Wenn du willst, kann ich dich ja hinfahren und auch später wieder abholen.«
Emilie blickte sie groß an. Zuerst wollte sie wieder aufmucken, aber dann sagte sie sich: Wenn sie erst mal dabei ist und das alles sieht, dann bleibt sie bestimmt. Und wenn nicht, ist das nicht meine Sorge. Gitti kann dann mit eigenen Augen sehen, welch komischer Mensch sie ist.
»Herrlich, ich wusste ja, dass du nicht so bist. Komm, jetzt müssen wir uns aber beeilen!«
Sie verließen das riesige Glasgebäude. Draußen auf dem Parkplatz stand das kleine Auto mit Namen Muckelchen. Meta hatte es gebraucht gekauft und pflegte es nun mit viel Liebe. Das war das einzige Vergnügen, das sie sich gönnte. In der Wohnung angekommen, wirbelte Emilie gleich herum, denn sie wusste nicht, was sie anziehen sollte. Sie wollte doch nicht als spießbürgerlich gelten.
Sie besaßen eine kleine Dreizimmerwohnung. Jeder hatte ein eigenes Schlafzimmer, das Wohnzimmer gehörte ihnen gemeinsam, ebenso das Bad und die Kochnische. Die meiste Arbeit verrichtete Meta, denn Emilie war nicht sehr ordnungsliebend. In ihrem Zimmer sah es meistens wie in einer Räuberhöhle aus. Meta hatte aufgehört, sie zu ermahnen. Es fruchtete doch nichts.
Emilie hatte sich inzwischen für ein Paar alte verwaschene Jeans entschieden, und dazu trug sie einen nicht mehr ganz sauberen Pulli.
»Damit willst du zur Einladung gehen? Aber Emilie, du machst uns ja Schande.«
»Nein, nein, Gitti kommt auch immer so ins Geschäft. So was trägt man heute, glaub mir. Du wirst schon sehen.«
»Aber ich habe dir doch gesagt, dass ich dich nur hinbringe, mehr nicht.«
»Du wirst doch nicht so unhöflich sein und gleich wieder abdampfen?«, maulte sie.
Meta dachte: Eigentlich hat Emilie recht. Ich bin wirklich sauertöpfisch. Aber man kann nun mal nicht über seinen eigenen Schatten springen.
»Na schön, wir werden ja sehen.«
2
Victor Decelle stand gegen den Kamin gelehnt und rauchte. Um ihn herum räkelten sich in alten Sesseln seine Kumpane, oder wie er sie bei sich nannte, seine Untergebenen. Sein Gesichtsausdruck war hochmütig und arrogant. Obgleich er sie von oben herab behandelte, sie alle wissen ließ, dass sie im Grunde genommen nur Dreck für ihn waren, bewunderten sie ihn, ja, beteten ihn an und lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab. Sein Blick schweifte jetzt zu Gitti und durchbohrte sie. Errötend senkte sie den Kopf.
»Nun?«, sagte er mit ziemlich scharfer Stimme. »Was ist jetzt los? Hast du mir nichts zu sagen?«
»Doch«, stotterte sie verlegen. »Ich hab alles so gemacht, wie du es gesagt hast, Victor.«
»Sie werden also kommen?«
»Ich glaube schon.«
»Was heißt, ich glaube schon. Ich will eine präzise Antwort, verdammt noch mal.«
»Die Kleine ist ganz wild darauf, uns kennenzulernen, aber sie sagt, ihre Freundin sei eine komische Nulpe, und sie wüsste nicht genau, ob sie mitkäme.«
Victor starrte ins Weite. Er knackte mit den Fingerknöcheln. O nein, dachte er wütend, von dieser kleinen Hure lass ich mir nichts kaputtmachen. Das ist meine größte Chance, und ich will sie haben, ich will, will, will. Ich, Victor Decelle, werde dann der Größte sein.
Wenn er daran dachte, wie alles angefangen hatte, und jetzt dies? Er lachte lautlos. Zuerst hatten sie in Paris in einer Dachwohnung gehaust, eine ganze Menge verlauster junger Leute, und sie hatten Rauschgift genossen wie andere Kartoffeln. Einige waren auch daran gestorben. Kein Wunder bei dem Konsum. Anfangs hatte er auch mitgetan, aber dann sehr schnell festgestellt, dass das nicht das Wahre war. Man zerstörte sich selbst und landete später entweder in einer Anstalt oder auf dem Friedhof. Er, Victor, wollte das aber nicht, er hatte etwas anderes vor, und zwar wollte er reich werden. Aber das ahnten die anderen nicht mal. Sie hielten ihn alle für edel. Pah, wie dumm sie doch alle waren.
In Paris hatte die Polizei schon ein Auge auf ihn geworfen, und der Boden war ihm zu heiß geworden. Er hatte sich deshalb abgesetzt und war dann hierher gekommen. Für wenig Geld hatte er diesen alten Bauernhof erstanden. Damit war seine Barschaft auch aufgebraucht. Es dauerte nicht lange, bis er labile und haltlose Jugendliche um sich geschart hatte. Sie vertrauten ihm, zogen mit ihm und taten alles, was er von ihnen verlangte.
Sie stahlen, gingen auf den Strich, schufteten sich ab, nur damit er, Victor, gut leben konnte. Und was gab er ihnen dafür? LSD oder Haschischzigaretten. Natürlich immer nur so viel, dass sie sich im Himmel wähnten. Aber wenn er wollte, holte er sie von dort immer wieder zurück, damit sie auch ja nicht vergaßen zu arbeiten. Natürlich waren sie bald der Sucht verfallen und so von ihm abhängig. Aber das störte ihn kein bisschen. Und wenn einer zu faul wurde, also nur noch auf die Reise gehen wollte, dem half er ab, indem er sich von diesem löste. Und damit er nie von ihrem Nest erzählen konnte, bekam er einfach eine Überdosis, die meistens tödlich war. Selbstverständlich war er so schlau und verabreichte sie nicht hier, sondern er nahm sein Opfer immer auf eine Fahrt mit, und später fand man die Leiche irgendwo. Immer sehr weit von diesem Ort entfernt. Und wenn die anderen dann nach dem Verschwundenen fragten, stellte er sich wütend und sagte ihnen, er habe sich abgesetzt, wolle von ihrer Gemeinschaft nichts mehr wissen.
Die Jugendlichen blieben auch schon deshalb, weil sie hier das Gefühl hatten, verstanden zu werden. Man hatte Zeit, und sie konnten sich ihren Kummer von der Seele reden. Dass der andere, mit dem sie sich unterhielten, im Haschrausch war und nur die Hälfte von den Problemen begriff, störte sie gar nicht, denn sie waren ja auch immer auf Reise.
Durch kleine Diebereien und Einbrüche verschafften sie sich Kapital, um ihre Bedürfnisse befriedigen zu können und um das Rauschgift zu kaufen. Aber Victor war damit nicht zufrieden. Das ging ihm alles viel zu langsam. Er wollte schneller reich werden, viel schneller. Aber bis jetzt hatte er noch nicht die richtigen Leute dazu bekommen.
Als vor einigen Tagen diese kleine Hure von einer Freundin erzählt hatte, die wiederum eine Freundin bei der Polizei hatte, da hatte er sofort aufgemerkt und sich näher mit Gitti beschäftigt. Diese war selig, dass Victor sich um sie kümmerte. Ja, er nahm sie sogar mit und schlief mit ihr, was für sie das höchste Glück bedeutete. Dass er sie nebenbei wie eine Zitrone ausquetschte, störte sie kein bisschen.
Am nächsten Tag stand sein Plan fest. Er musste dieses Mädchen in die Hand bekommen, unbedingt. Dann war alles gelaufen. Himmel, so ein Glück, das durfte man sich wirklich nicht entgehen lassen. Dann hatte er die Bullen in der Hand und noch etwas anderes, aber das würde man sehen. So weit war er mit seinen Betrachtungen gekommen, als er bemerkte, dass die anderen um den großen Tisch herumsaßen und aßen. Im Augenblick waren sie zu acht hier. Gleichmäßig vier männliche und vier weibliche Wesen. Zu viele von einer Sorte, das gab immer Streit, hatte Victor festgestellt.
Man tat alles zusammen, essen, sprechen und auf Reise gehen. Und schwebte man erst einmal in höheren Regionen,