Der Abgerichtete. Maxi Magga
verschränkt. Keiner schien den Ankömmling zu bemerken, der verwirrt und zu keiner Entscheidung fähig in der Tür stand. Plötzlich hörte er die leise, sanfte Stimme seines Herrn.
„Komm endlich rein und schließ die Tür. Dann wartest du an deinem Platz“, sagte er, ohne Hände oder Augen von seiner Frau zu lassen.
Langsam und liebevoll zog der Mann Eliga aus und bedeckte ihren Körper mit seinen Küssen. Dann tauschten sie die Rollen. Schließlich liebten sie sich wild und leidenschaftlich, während Nummer Fünf an seinem Platz neben der Tür wünschte, dass sich ein Loch im Boden auftun und ihn verschlucken möge. Mit der Zeit verschwamm das großzügige Zimmer mit den wertvollen Möbeln jedoch. Vor seinem inneren Auge sah er nur noch die winzige, zugige Hütte im Nirgendwo mit dem selbst gezimmerten Bett, in dem sein Vater und seine süße, kleine Tochter schliefen, während er und seine bildhübsche, oft so traurige Frau sich auf dem Fußboden ihre Liebe bewiesen.
Viel zu schnell verblasste das Bild und er wurde mit Tränen in den Augen zurück in die Fron der Gegenwart gestoßen.
„Hörst du nicht, Nummer Fünf?“
Nummer Fünf zuckte zusammen. Er hatte wirklich nicht gehört, dass sein Namen gerufen worden war.
„Verzeihen Sie, Herr.“
„Stell doch endlich dieses alberne Tablett ab und gieß uns ein.“
„Ja, Herr.“
Seine Hände zitterten noch ein wenig, als er die Gläser füllte, aber er schaffte die Aufgabe, ohne etwas von dem schweren Rotwein zu verschütten. Als er seiner Herrschaft das Tablett entgegen hielt, stockte ihm kurz der Atem. Er fürchtete, die Gläser vielleicht zu voll gemacht oder zu wenig eingegossen zu haben. Aber nein, alles schien in Ordnung zu sein.
Warum ließ ihn die Herrin aber dann noch nicht wieder zurück auf seinen Platz? Hatte er sich etwa in der Reihenfolge geirrt, in der er den Wein zu servieren hatte? Befahl sie ihm deswegen zurückzukommen? Sie setzte sich auf ihr Bett, hieß ihn, ihr Glas abzustellen und drückte ihn vor sich auf die Knie. Dann krallten sich ihre Hände in seine Haare, sie ließ sich rückwärts auf das Lager fallen und presste seinen Kopf gegen ihren Unterleib. Gleichzeitig spürte er, wie sein Herr die Striemen auf seinem Rücken mit den Fingern verfolgte. Nicht rücksichtsvoll oder vorsichtig, sondern grob und fordernd. Plötzlich, ohne dass Nummer Fünf einen Grund hätte angeben können, begann er mit dem Gürtel auf seinen Abzurichtenden einzuschlagen. Nummer Fünf spürte sofort die Gürtelschnalle, die tief ins Fleisch einschnitt und die Luft aus den Lungen presste. Er versuchte dagegen anzugehen, wollte sich mit den Fäusten ein wenig vom Bett hochdrücken. Mit Schaudern spürte er nicht nur die Seide der Bettwäsche, sondern auch die Haut der Frau unter seinen ungeschickten Händen. Im gleichen Moment stützte der Herr sich auf seinen Schultern ab. Mit rücksichtsloser Gewalt bemächtigte er sich des vollkommen hilflosen Körpers vor sich. Sein wildes Stoßen, das Zucken des gequälten Mannes und sein abgehackter, heißer Atem erregten die Frau. Tiefer und fester krallte sie sich in den Haarschopf in ihren Händen.
Mehr als zwei Stunden lang ließen sie nicht von Nummer Fünf ab. Nichts erinnerte dabei an ihre zärtliche Vereinigung zuvor.
Verletzt, mutlos und zutiefst gedemütigt lag Nummer Fünf in dieser Nacht auf seinem Strohsack. Egal, ob er die Augen öffnete oder schloss, die Bilder der letzten Stunden schienen sich in seine Netzhaut eingebrannt zu haben. Nur ganz allmählich schob sich das Abbild seiner Frau Sora wieder in den Vordergrund. Er schämte sich vor ihr und vor sich selbst, weil er zugelassen hatte, dass sich seine Erinnerung an ihre Zweisamkeit mit der brutalen Realität vermischt hatte. Den einzigen Trost fand er darin, sich im Schutz seiner Zelle so viel wie nur möglich von Sora ins Gedächtnis zurückzurufen. Ihr sanftes Lächeln, wenn sie ihn ansah, ihr leiser Singsang, wenn sie Calla zum Schlafen bringen wollte, die winzige Narbe direkt unter dem rechten Auge, wo er sie versehentlich mit dem Pflanzstock getroffen hatte. Niemals durfte er das vergessen, aber er würde es auch nie mehr zulassen, dass ihr Andenken mit seinem jetzigen Leben verschmolz, egal welche Mühe und Anstrengungen es ihn kosten mochte.
Was mich während meiner Zeit als Abzurichtender und danach als Abgerichteter am meisten verletzt hat, waren nicht die harte Arbeit in glühender Hitze oder Eiseskälte oder Hunger und Durst, nicht mal die Schläge oder der Hass und die Verachtung. Daran war ich ein Leben lang gewöhnt. Das galt nicht eigentlich mir, sondern der ganzen Kaste, der ich angehörte. Viel schlimmer waren die gewalttätigen, hemmungslosen Demütigungen und der Missbrauch, denn das galt wirklich mir.
„Wehe dir, wenn du Mist baust und das Haus deines Besitzers in Verlegenheit bringst! Ich werde dir genau auf die Finger sehen. Verlass dich darauf!“
„Ja, Master Kovit.“
Als ob Nummer Fünf sich nicht selbst genug vor diesem Abend fürchtete! Seine Abrichtung hatte erst vor wenigen Wochen begonnen. Immer noch tauchten Gerichte auf, deren Namen er bis dahin noch nie gehört oder die er wieder vergessen hatte, und bei denen er nicht sicher war, wie sie serviert werden mussten. Kaum ein Abrichtungstermin im Speisesaal war bisher ohne den Einsatz von Kovits Peitsche abgegangen. Und nun sollte er nicht nur vor den Augen seiner Herrin und seines Herrn bei Tisch bedienen, sondern auch vor denen ihrer Gäste! Er wagte nicht, an die Folgen zu denken, sollte er dabei versagen.
Frühzeitig wurde er in den Küchenhof befohlen. Dort stand die Pumpe, an der Nummer Fünf sich im Sommer wie im kältesten Winter jeden Morgen und zusätzlich vor jedem Dienst bei Tisch einfinden musste. Es war eine Sache sich in aller Öffentlichkeit von Kopf bis Fuß einseifen zu müssen, aber es war zutiefst entwürdigend, derart zur Schau gestellt, auch noch gezwungen zu sein zu warten, bis Kovit seine Musterung abgeschlossen hatte und die Erlaubnis zum Abwaschen und Abschaben der Barthaare gab. Und all das geschah nur, damit die empfindlichen Nasen der höheren Kastenmitglieder nicht von seinem Eigengeruch beleidigt würden.
Erst als man ihm nach dem Waschen zum ersten Mal den Schurz aus Goldstoff hinwarf, den er von nun an stets tragen sollte, wenn Gäste anwesend waren, wurde ihm bewusst, dass er so gut wie nackt würde vor ihnen stehen müssen. Das Blut schoss ihm in den Kopf. Nie würde er sich daran gewöhnen. Niemals! Zu seiner Versagensangst gesellte sich die erneut siedend heiß aufflammende Scham.
Der Abend wurde für Nummer Fünf zu einer furchtbaren Katastrophe. Nicht nur, dass er mehrfach öffentlich geschlagen wurde, sein Dienst wurde auch zu einem Spießrutenlauf, wie er es sich nicht schlimmer hätte ausmalen können. Er war der neue Abzurichtende, die Gäste entsprechend neugierig. Sie begafften ihn unverfroren, ließen ihn unnötige Wege laufen oder schlugen ihn ganz unbekümmert auf das nackte Gesäß. Während sich die beiden geladenen Paare das Hummeromelette auf der Zunge genüsslich zergehen ließen, grabschten ihm sowohl die Männer wie auch die Frauen lachend in den Schritt, und beim letzten Gang, dem Frozen Haute Chocolate-Eisbecher mit seltenem Kakao und Trüffeln als Dessert, zwangen sie ihn sogar, selbst den Schurz anzuheben. Sie schlürften genüsslich ihren Espresso und unterhielten sich unterdessen ganz zwanglos darüber, was sie alles in der Nacht mit ihm anstellen könnten. Nummer Fünf wurde weiß wie der Tod. Er sollte sehenden Auges in die Hölle geschickt werden und konnte nichts dagegen tun.
Zufällig bemerkte der Herr, dass sich sein neuer Abzurichtender unverhältnismäßig lange neben dem Stuhl einer der Damen aufhielt. Das Tablett in seinen Händen zitterte merklich. Seine Lippen waren hart zusammengepresst und blutleer, die eigenen Zähne zerbissen die eingesogenen Wangen. Dicke Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn.
„Nummer Fünf“, rief er, „wo bleibt mein Wein?“
„Sofort, Herr.“
Nummer Fünf hatte den Ausweg gleich erkannt. Steif verbeugte er sich vor der Frau und näherte sich merklich hinkend dem Hausherrn. Auf dem Weg hinterließ er eine Spur aus Bluttropfen.
Die Schmerzen waren grauenhaft. Dennoch musste er seinen Tischdienst bis zum Ende des Gastmahls fortsetzen. Erst danach sah sein Besitzer sich den Schaden an. Die vornehme Dame hatte seinem Eigentum mit ihren langen, extrem spitz zugefeilten Fingernägeln einen Hoden regelrecht zerfetzt, den anderen geschädigt.
Die Herrin war außer sich, als sie dazu geholt wurde.