Hannahs Welt. Maik Kohlbus

Hannahs Welt - Maik Kohlbus


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Mutter warf das Geschirrhandtuch, mit dem sie sich gerade die Hände abtrocknete, auf die Arbeitsplatte und strahlte Hannah mit großen Augen an. „Zeig her, das glaub ich ja nicht!“

      „Ich habe es auch nicht glauben können, ist aber wahr!“ Sofort öffnete Hannah ihr Arbeitsheft und hielt es ihrer Mutter so dicht vor die Nase, dass sie erst mal nichts erkennen konnte. „Siehst du, Frau Müller hat sogar einen großen Stern und einen Smiley unter die Eins gemalt!“

      Gemeinsam bestaunten sie das Ergebnis, das Hannahs Mutter so noch nicht gesehen hatte. „Zieh jetzt erst mal deine Jacke aus, wir können gleich essen. Und zur Belohnung gibt es nachher ein großes Eis!“

      Nachdenklich kratzte sich Hannah am Ohr und sah ihre Mutter verlegen an. „Da ist noch was.“

      „Was denn, mein Schatz?“

      Man war ihr das peinlich. Sie kniff die Augen zu und blinzelte zu ihrer Mutter hinüber. „Darf ich heute Besuch bekommen? Ich möchte gerne einen Jungen einladen.“

      Es war das erste Mal, dass Hannah so etwas fragte. Natürlich hatte sie früher schon Besuch von Jungen. Aber damals war sie noch im Kindergarten oder in der Grundschule, und da war es noch anders. „Ein Junge? Wer ist es denn?“

      Ein Lächeln der Erleichterung erschien in Hannahs Gesicht. „Er heißt Tom. Er ist neu in der Schule. Der ist total nett.“ Aus Hannah sprudelte es nur so heraus. Während ihre Mutter das Essen vorbereitete, erzählte sie ihr alles, was sie über Tom wusste. Toms Vater verlor vor einiger Zeit seine Arbeitsstelle und deswegen musste er mit seiner Familie umziehen. In ihrer Stadt hat sein Vater eine neue Anstellung gefunden: Entwicklungsleiter beim Forschungsinstitut. Tom sei auch ganz gut in der Schule. An seinem ersten Tag wurde er neben Hannah gesetzt. Der Platz war erst eine Woche vorher frei geworden, da Lisa die Schule verlassen hatte. Hannah mochte sie sowieso nicht. Was für ein Glück das doch war!

      Für einen Moment wandte sich ihre Mutter Hannah zu und sah sie ernsthaft an. „Wie alt ist Tom denn?“

      Mit viel Schwung sprang Hannah auf. „Tom ist genau zwei Wochen älter als ich. Er ist auch ein Wassermann!“

      Ihre Mutter zwinkerte sie an. „Wie schön, dann passt ihr ja zusammen.” Es war jetzt an der Zeit, das Essen fertigzumachen, aber eines wollte sie noch wissen. „Wo wohnt Tom denn?“

       MAN, FRAG NICHT SO VIEL! IST DOCH EGAL, SAG EINFACH JA! ICH BRAUCHE TOM. WAS MEINST DU WARUM LISA WEGGEHEN MUSSTE?

      Hannah tänzelte davon. „In der neuen Siedlung, hinten am Wald. Er ist mit seiner Familie in das leere Haus neben Daniel gezogen. Du kennst Daniel doch. Der aus meiner Klasse.“ Mit Schwung warf sie ihre Jacke über die Garderobe und zog ihre Schuhe aus. Mit einem zufriedenen Lächeln sah ihre Mutter ihr hinterher. Ihre Tochter, schon so groß geworden! Natürlich hatte sie nichts gegen einen Besuch von Tom und stimmte zu.

      „Was schwimmt denn da in deinem Aquarium?“ Tom schaute mit verzogenem Gesicht auf den Oktopus, der zusammengerollt am Boden des Aquariums lag. Zum Glück konnte er nicht sehen, wie Hannah hinter seinem Rücken die Augen verdrehte. Dass die Jungs auch immer so komisch nach ihrem Oktopus fragen mussten! Hannah kam näher zu ihm heran und sah ihn verlegen an. „Das ist ein Oktopus. Das ist mein kleiner grüner Oktopus! Hast du etwa noch nie einen Oktopus gesehen?“

      Als sie in das Aquarium hineingreifen wollte, um den Oktopus herauszunehmen, ging Tom angewidert ein paar Schritte zurück. „Nimmst du den etwa auf die Hand?“

      Sofort stoppte ihre Bewegung. „Magst du Oktopusse nicht? Die tun doch nichts.“

      Tom wusste nicht, was er sagen sollte. Seine erste Verabredung mit Hannah. Bisher war ja alles ganz gut verlaufen und ihre Mutter schien auch nett zu sein. Aber er wusste nicht so recht, was er von diesem komischen grünen Ding in dem Aquarium halten sollte. Lügen wollte er aber auch nicht. „Ehrlich gesagt, ich finde das ein bisschen ekelig! Sowas habe ich noch nie gesehen!“

      Das war natürlich ein Schock für Hannah. „Du findest den eklig?“

      Mist, warum hatte er das gesagt? Hätte er doch nur seinen Mund gehalten! Nun wusste er nicht so richtig, was er sagen sollte. Er wollte Hannah doch nicht verletzen. „Können wir vielleicht lieber nach draußen gehen?“

      Hannah sah ihren kleinen Oktopus an, der sich langsam vom Boden löste und fast wie in Zeitlupe zur Oberfläche schwamm. Mit einem traurigen Blick beobachtete er sie. Wollte er ihr etwas sagen? Natürlich nicht, denn niemals sprach der kleine grüne Oktopus, wenn jemand anderes außer Hannah anwesend war. Sie hatte noch niemandem davon erzählt, dass sie mit ihm sprechen kann. Noch nicht einmal ihrer besten Freundin. Für einen Moment überlegte sie, was sie tun könnte. Tom vergraulen wollte sie auf keinen Fall. Dann doch lieber den Oktopus links liegenlassen. „Kein Problem, wir können auch rausgehen! Wie wäre es mit einem Eis? Meine Mutter wollte mir noch ein Eis spendieren für meine Eins in Mathe!“

      Noch immer sah Tom den kleinen grünen Oktopus etwas angewidert an. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er seine Gedanken lesen kann. „Hat der eigentlich einen Namen? Dein Oktopus meine ich“.

      „Nein, hat er nicht.“ Sie kniff ihre Lippen zusammen und schüttelte ihren Kopf. Die Frage ärgerte sie.

      „Warum denn nicht?“

      „Weil…, weil mir noch kein guter Name eingefallen ist. Hannah musste sich bemühen, sich zu beherrschen. Die Fragen nach dem Namen für den Oktopus fingen wirklich an, sie zu nerven! Plötzlich zuckte Tom erschrocken zurück. Hatte der kleine grüne Oktopus ihn etwa gerade angestarrt und dabei leicht den Kopf geschüttelt? Als ob er sagen wollte ‚Hör nicht zu, Hannah lügt. Das hat einen anderen Grund‘?

       NEIN TOM, HAT SIE NICHT. GEH EINFACH EIS ESSEN!

      Ein kleiner grüner Oktopus in einem Aquarium, so was hatte Tom noch nie gesehen. Und dazu hatte er noch das Gefühl, der könnte seine Gedanken lesen! So langsam wurde ihm die ganze Angelegenheit unheimlich. Es war wirklich besser, einfach zu gehen. Eis essen mit Hannah klang vielversprechender, als sich mit dem komischen Oktopus zu beschäftigen.

      Pünktlich zum Abendessen war Hannah wieder zurück. Ihre Eltern saßen schon am gedeckten Tisch und warteten auf sie. Ihre große Tochter hatte ihre erste Verabredung mit einem Jungen. Das war natürlich das Highlight des Tages. Aufgeregt erzählte Hannah ihren Eltern über ihren Tag mit Tom. Die waren sehr froh, dass sie so ein fröhliches und offenes Mädchen war. Sie hatten immer das Gefühl, dass Hannah ihnen alles erzählte. Das war schon seit dem Kindergarten so. Ihr Vater wusste es noch ganz genau. Damals im Kindergarten kam Hannah eines Tages mit einem selbstgemalten Bild nach Hause. Es war ein kleiner grüner Oktopus. Na ja, niemand wusste so richtig, was das kleine grüne Ding auf dem Bild sein sollte. Da ihr Vater aber Biologielehrer war und sich sehr für Meerestiere interessierte, erklärte er einfach, es sei ein kleiner grüner Oktopus. So kam es, dass kurze Zeit später das kleine Aquarium mit dem Oktopus auf ihrem Schreibtisch stand, denn Hannah ließ von dem Tag an nicht mehr von dem Thema ab und wollte unbedingt einen Oktopus haben. Das war zwar ein sehr ungewöhnliches Haustier, aber wenn sie sich einmal etwas in den Kopf setzte, dann musste sie es unbedingt haben und am Ende gaben ihre Eltern nach.

      Der Oktopus, der war jetzt ein Problem. Tom mochte ihn nicht, er fand ihn sogar ziemlich eklig. Aber Hannah mochte Tom. Was sollte sie denn jetzt machen? Sie hatte sogar Angst, dass Tom nicht wiederkommen wollte, solange der Oktopus da ist.

      Ihre Mutter sah, wie Hannah verzweifelt nachdachte. „Du willst doch wohl nicht den Oktopus weggeben, oder?“ Sie lächelte ihre Tochter an. „Also ich finde, der Tom ist ganz nett. Wenn du deinem Oktopus endlich einen Namen gibst, dann hat Tom vielleicht nicht mehr so viel Angst davor. Du hast schon so lange davon gesprochen, dass er keinen Namen hat und du ihm einen geben möchtest. Vielleicht wird es jetzt wirklich Zeit, einen Namen zu finden.“

       WAS IST DENN DAS FÜR EINE IDEE?


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