Hannahs Welt. Maik Kohlbus
du, das hilft?“
Liebevoll legte ihre Mutter die Hand auf die ihres Vaters und sah ihn mit einem strahlenden Lächeln an. „Weißt du, als ich deinen Vater kennengelernt habe, hatte er einen Hund. Ich mochte damals keine Hunde, da ich als Kind einmal gebissen wurde. Dein Vater hat mir aber gezeigt, dass seiner ganz lieb war und dann habe ich mich daran gewöhnt. Er hieß Bessie, er war ein kleiner Mischling.“
Hannah hörte auf zu kauen und starrte ihre Eltern erstaunt an. „Ihr hattet einen Hund? Das wusste ich ja gar nicht!“
Ihr Vater nickte und lächelte Hannahs Mutter mit einem Zwinkern an. „Ist schon lange her. Tom wird sich sicherlich auch an den Oktopus gewöhnen. Ein Name hilft vielleicht wirklich.“
WAS IST DENN DAS FÜR EIN GEQUATSCHE? JETZT FÄNGT DER AUCH NOCH AN! OKTOPUSSE HABEN KEINEN NAMEN!
Einen Namen! Einen Namen für den kleinen grünen Oktopus! Ein Königreich für einen Namen! Der Gedanke ging Hannah nicht mehr aus dem Kopf. Tom, ihre Eins in Mathe, der Oktopus, der fehlende Name. Was war bloß los? Alles war so furchtbar durcheinander. Und wieso fiel ihr ums verrecken kein Name ein?
Nach dem Abendessen ging sie auf ihr Zimmer, setzte sich an ihren Schreibtisch und sah dem kleinen grünen Oktopus zu, wie er still am Boden des Aquariums zwischen den Seegräsern saß. Als er Hannah sah, ließ er sich zur Oberfläche treiben und streckte den Kopf aus dem Wasser. Es war für Hannah schon immer ein Rätsel, wie er es schaffte, dabei nicht die kleinste Welle zu erzeugen. Mit einer ernsten Miene sah er sich um, verharrte einen Moment nachdenklich, tauchte dann aber wieder still und leise ab, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
GUT SO!
Es war ein aufregender Tag gewesen. Morgen wollte sie extra früh zur Schule gehen, um noch vor dem Unterricht Zeit mit Tom zu verbringen. Schnell packte sie ihre Schulbücher für den nächsten Tag in ihren Rucksack und machte sich fertig fürs Bett. Eigentlich liebte sie es, vor dem Schlafen noch ein paar Seiten zu lesen, aber heute war sie viel zu müde und legte ihr Buch gleich wieder weg. So wie jeden Abend sah sie noch ein letztes Mal zu ihrem kleinen grünen Oktopus hinüber. Er lag ganz ruhig auf dem Boden des Aquariums, als sie ihm eine gute Nacht wünschte. Sie war sich ganz sicher, dass sie am nächsten Tag einen Namen für ihn finden würde.
Alles war vernebelt. Hannah stand mitten in einer Gruppe von kleinen Kindern. Ein Junge zog an ihrer Hand. Reglos ließ sich Hannah mitziehen. Kannte sie ihn? War sie in ihrer alten Kindergartengruppe? Etwas schwerfällig folgte sie dem Jungen und setzte sich mit ihm an einen langen Tisch. Eigentlich war sie viel zu groß für diese kleinen Kindergartenstühle, aber irgendwie passte es. Der Junge schob ihr ein leeres Blatt und einige Stifte zu und forderte sie auf, etwas zu malen. Umgeben von einem Gefühl der Schwerelosigkeit nahm Hannah einen blauen Stift in die Hand und kritzelte ziellos Striche auf das leere Blatt. Sie achtete aber überhaupt nicht darauf, was sie malte. Nach einigen Strichen zog der kleine Junge das Blatt zu sich hinüber, musterte für einen Augenblick Hannahs Kunstwerk und fing an, es weiter auszumalen. Dabei murmelte er etwas vor sich hin, das Hannah aber nicht verstand. All das war ihr auch gar nicht wichtig. Ruhig saß sie da und beobachtete die anderen Kinder, bis ihr Blick plötzlich auf ein besonderes Kind fiel. Auf der anderen Seite des langen Tisches saß ein kleines Mädchen, zusammen mit einer jungen Frau. Vor dem Mädchen lag ein strahlend weißes Blatt, auf dem sie etwas mit einem grünen Stift kritzelte.
Plötzlich zuckte Hannah zusammen. Sie erkannte das Mädchen, das jetzt langsam ihren Kopf hob und sich zu ihr drehte. Mit den langen blonden Haaren sah das Mädchen aus wie sie selbst! Ja, sie sah nicht nur so aus, sie war es selbst! Das Mädchen wandte sich wieder ab, nahm ihr Bild hoch und richtete ihre Aufmerksamkeit der jungen Frau zu, die immer noch geduldig neben ihr saß. „Fertig! Mein Bild ist fertig!“ Mit beiden Händen nahm die junge Frau das Blatt entgegen und drehte es ein paarmal hin und her. Sie versuchte zu erraten, was es sein sollte, konnte aber nichts erkennen. War es eine Seegurke? Für einen Augenblick musste die junge Frau lachen bei dem Gedanken, was man für schöne Geschichten erzählen könnte mit dieser Seegurke. „Sehr schön, Hannah. Was hast du denn da für mich gemalt?“
Mit einem bösen Blick starrte das Mädchen die Frau an. „Na, ein kleines grünes Ding habe ich gemalt!“
Die junge Frau nickte so zustimmend, wie es Erwachsene halt tun, wenn sie eigentlich keine Ahnung haben, was ein kleines Kind ihnen sagen oder zeigen will. „Und, hat dein kleines grünes Ding auch einen Namen?“
„Natürlich hat das Ding einen Namen, alle Dinger haben doch einen Namen! Das Ding… das Ding ist meine…“ Für einen kurzen Moment dachte das Mädchen nach, setzte sich aufrecht hin und stemmte ihre geballten Fäuste in ihre Seiten. „Das Ding ist meine kleine Mathilda!“
Die junge Frau drehte das Bild noch einmal langsam hin und her und runzelte die Stirn. „Mathilda, das ist aber ein schöner Name für das kleine grüne Ding!“ Vorsichtig legte sie das Blatt wieder auf den Tisch. Für einen Moment saßen beide schweigend da, bis das kleine Mädchen ihren Kopf erneut zu Hannah drehte. Ihre Blicke trafen sich wie zwei Blitze inmitten eines Gewitters.
Plötzlich wurde es ganz still. Es kam Hannah vor, als ob die Zeit stehen geblieben sei. Obwohl die Kinder um sie herum immer noch wild tobten, hörte sie nichts. Sogar das Ticken der Uhr an der Wand verstummte.
Stille. Nichts als Stille.
Ohne eine große Bewegung zu machen, nickte das kleine Mädchen Hannah plötzlich mit einem selbstbewussten Lächeln zu. Ganz langsam öffnete es ihren Mund, ihre Lippen bewegten sich wie in Zeitlupe und Hannah hörte es. Inmitten der Stille war es das Einzige, was sie wahrnahm. Es war der Name, den sie so lange gesucht hatte: Mathilda.
NEIN! WAS IST DENN HIER LOS? DAS KANN DOCH NICHT WAHR SEIN!
Im Dunkeln des Zimmers schreckte Hannah hoch und suchte nach dem Schalter ihrer Nachttischlampe. Ohne zu zögern sprang sie aus ihrem Bett, rannte zum Schreibtisch hinüber und setzte sich vor das Aquarium. Der kleine grüne Oktopus trieb an der Oberfläche, als ob er auf Hannah gewartet hatte. Für einen Moment wunderte Hannah sich, ob Oktopusse nie schlafen würden. Sie war so vertraut mit ihm, aber das wusste sie nicht. Ganz nah kam sie an ihn heran und der kleine grüne Oktopus erwiderte ihren Blick. „Du hast geträumt, oder?“
„Woher weißt du das?“
„Ich habe dir doch schon mal erzählt, dass ich alles weiß.“
Hannah konnte ihre verschlafenen Augen kaum offen halten und nickte. Voller Erwartung sah der Oktopus sie an. „Wovon hast du denn geträumt, erzähl es mir.“
„Ich habe von mir selber geträumt. Von damals im Kindergarten, als ich das Bild von dir gemalt habe. Na ja, nicht von dir, aber von einem grünen Ding. Mein Vater meinte damals, es sei ein Oktopus und kurze Zeit später haben wir dich in der Zoohandlung gekauft.“
Der Oktopus wandte sich ab, drehte eine kleine Runde durch das Aquarium, tauchte wieder auf und sah Hannah dann neugierig an. „Und, was hast du noch geträumt? Was war da noch?“
Die Bilder des Traumes hatte Hannah noch klar vor ihren Augen. Sie wunderte sich für einen Moment, woher der Oktopus so viel wusste. Müde rieb sie sich die Augen. „Du weißt doch immer alles. Dann weißt du es doch sowieso schon, oder?“
„Nein, das weiß ich nicht. Träume kenne ich nicht. Die kennt niemand! Also, erzähle es mir bitte! Was hast du geträumt?“
Hannah kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Im Traum habe ich erfahren, wie dein Name ist. Ich weiß jetzt, wie du heißt!“
Aufgeregt plätscherte der Oktopus mit seinen Armen im Wasser. „Wie denn? Wie ist mein Name? Erzähl es mir bitte!“
Für einen kurzen Moment dachte Hannah nach und ließ den Traum noch einmal vor ihrem geistigen Auge ablaufen. „Dein Name ist…“ Sie ließ den Traum noch einmal vor ihrem geistigen Auge ablaufen. „Dein Name ist Mathilda!“
Das erfreute den kleinen