Harras - der feindliche Freund. Winfried Thamm

Harras - der feindliche Freund - Winfried Thamm


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Sohn zusammen, den kleinen Karl. Danke, es geht mir gut.“ Ich sah ihn stolz an.

      „Ja, so was Ähnliches hab’ ich mir gedacht. Also doch nichts dazugelernt.“ Er lachte lauthals seine Hyänenlache und stieß mit mir an.

      „Prost, du alter Biedermann.“

      „Prost, du altes, arrogantes Arschloch.“

      Wir tranken.

      „Und wie geht es dir mit den Frauen?“, forschte ich nach.

      „Ich war und bin ein Jäger. Die Jagd an sich ist spannend. Das Balzen und Turteln und Lügen und Machen. Und das Erlegen. Der Fick. Danach ist tote Hose. Herz, nein danke. Ach, weißt du, Anna, die hatte was, was ich bei keiner wiedergefunden habe. Dass ich die habe sausen lassen, war ein großer Fehler. Der Leichtsinn der Jugend. Ansonsten, die Liebe ist ein Ideal. Und jede Frau hat nur einen kleinen Teil dieses Ideals in sich. Keine kommt da nur annähernd dran. Ich sammle diese Teile wie ein Puzzle, ich bin ein Neandertaler, wenn du verstehst. Am liebsten raube ich sie aus den Armen anderer Männer, vorzugsweise Piraten. Das ist geil und ziemlich spannend. Das mit der Kleinfamilienidylle wäre nichts für mich. Die Gattin ficken und dabei an andere heiße Teile denken, nee.“

      „Du bist und bleibst der Typ der diabolischen Nachsätze.“

      „Komm, jetzt frag schon, was ich beruflich mache, womit ich meine Brötchen verdiene. Dann haben wir’s hinter uns.“ Und wieder dieses Grinsen.

      „Genau, das wäre die nächste Frage gewesen. Jetzt sag schon.“ Ich fühlte mich durchschaut. Der alte Seher war er auch immer noch.

      „Ich verdiene mein Geld als Geier. Mit guten Drähten zu Banken, Steuerbehörden und anderen wichtigen Leuten. Auch das Internet ist da eine große Hilfe. Ich kaufe Immobilien von Leuten, die schlecht bei Kasse sind, billig auf und verhökere sie teuer an Leute, die Geld haben. Vorher lasse ich diese Objekte optisch gut durchrenovieren. Ich kenne da so ’n paar Polen, die das preiswert hinkriegen, und dann gehen sie weg wie warme Semmeln. Ich arbeite zu Hause nur mit PC, Internet und Telefon. Hier und da bin ich zu Hausbesichtigungen auch mal unterwegs. Wenn ich das nicht täte, täte es ein anderer. Tätärätätä.“ Sein Grinsen war keineswegs schuldbewusst. „Und du? Um dieses langweilige Thema abzuschließen.“

      „Du nimmst es von den Loosern, ich nehme es von den Aufstrebenden. Für Betriebsleiter mittelgroßer Firmen, Manager der mittleren Ebene und Geschäftsführer sozialer Einrichtungen führe ich Seminare durch zu Zeitmanagement, Qualitätssicherung und Personalführung. Ich habe ein kleines Büro mit fünf Mitarbeitern in der Schulung und einer Sekretärin. Das läuft ganz gut. Du bist der Leichenfledderer und ich der Geburtshelfer, siehste.“ Ich grinste hämisch.

      „Prost, du guter Mensch von Sezuan. Du machst dir doch nichts vor, oder?“

      „Nein, an unseren alten Maßstäben gemessen sind wir beide auf der falschen Seite gelandet.“

      „Nicht an unseren, an deinen Maßstäben gemessen, achte drauf. Damit bist du das Schwein.“

      „Prost, auf mich, das Schwein und auf dich, den Satan.“ Wir lachten und tranken und erzählten wieder von früher und damals. An diesem Abend war auch das Gefühl von alter, unerschütterlicher Freundschaft wieder da. Schließlich gab ich ihm meine Visitenkarte, wir bestätigten uns gegenseitig einen netten Abend und er versprach, sich bald zu melden. Als ich das Fest verließ, so gegen halb vier, war ich ziemlich betrunken.

      Kapitel 6

      13. Juli 2001

      Zwischendurch will ich wieder einmal zu mir in der Jetztzeit zurückkommen. Bisher habe ich ja nur ein „äußeres Bild“ vermittelt. Sie sollten schon etwas Geduld aufbringen, etwas über mein Innenleben und meine Einstellung zur Welt als Mann in den mittleren Jahren zu erfahren, bevor ich das schildere, was dann alles geschah, was mich schließlich aus der Bahn warf und überrollte.

      Ich liege also jetzt im Krankenhaus und habe Zeit, Zeit für die Warum-Fragen des Lebens. Als ich zum ersten Mal wahrnahm, eben diese Zeit zu haben, nach den ersten heftigen und akuten Schmerzen in meiner neuen Lebenssituation, war ich so aufgedreht, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Woher komme ich, wohin gehe ich, wann fährt der letzte Bus. So ein Woody-Allen-Syndrom befiel mich wie ein allergischer Juckreiz. Und es wurde mir schon klar, anhand meiner Themenprioritätenliste – schließlich bin ich vom Fach – dass es mir nicht um die grundlegende Infragestellung von zivilisatorischen Werten ging. So versuchte ich zuerst, durch die Erstellung einer Negativ-Mindmap die Warum-Fragen, die mich nicht so berührten, auszuschließen:

      Die Frage, was vor dem Urknall war, finde ich immer noch interessant, hat mir aber ein Schlaukopf namens Stephen Hawking beantwortet: Vor dem „Big Bang“ existierten einfach weder Raum noch Zeit. Und wenn es damals keine Zeit gab, dann gab es auch kein „Vorher“. Dass ich mir das nicht so richtig vorstellen kann, finde ich nicht so tragisch, weil mich das bisher weder von meinem nächsten Seminar noch vom Squashspielen abgehalten hat.

      Wie und warum das Leben sich über die diversen Millionen von Jahren so entwickelte, dass der Mensch nicht das Ende der evolutionären Fahnenstange ist und wir deshalb unsere arroganten Nasen ruhig etwas weniger hoch tragen sollten – vielleicht ging es uns ja bald ähnlich wie den Dinosauriern, nur eben selbstverschuldet – das hatte ich ja schon bei Hoimar von Ditfurth gelesen und in Ansätzen auch verstanden.

      Die Frage nach dem „Lieben Gott“ christlicher Ausprägung hatte ich schon früh abgehakt. Wer Kriege, den Holocaust und all das Elend der Welt zulässt, sollte nicht noch um Hilfe gebeten werden, hatte halt keine Existenzberechtigung. Dieser Gott war nur das Produkt menschlicher Unwissenheit, Hilflosigkeit und Angst vor Leid und Tod.

      Damit war auch schon die Frage nach dem Leben nach dem Tod mitbeantwortet. Gott ist tot, es lebe das Leben. Lise Meitner, die immer unbeachtete Wissenschaftlerin neben Otto Hahn, sagte einmal, dass der Grund oder die Rechtfertigung für das Leben das Leben an sich sei. Also, was ich habe ist mein Leben, vorher war ich nicht und nachher werde ich nicht sein. Ich bleibe höchstens noch in der Erinnerung von Menschen, die mich kannten, lebendig, auf geistiger Ebene, sozusagen. So ist eben mein Leben keine physikalische Versuchsanordnung, die beliebig wiederholbar ist unter entsprechend geänderten Prämissen, damit es endlich mal besser klappt oder glücklicher wird, nein, leider nein. Ich muss mich schon auf mein Eigenes und Einziges konzentrieren. Eben dieser Gedanke macht auch mein jetziges Dilemma aus. Ich wollte das Leben pur und bin auf die Schnauze gefallen. Und Harras ist schuld. Nein, so einfach ist es leider nicht. Ich suche Klarheit darüber, wer welche Anteile an dieser Schuld trägt, Harras, ich oder der gottverdammte Zufall, diese unberechenbare Monsterkomponente, die Willkür an sich, von uns Menschen weder beeinflussbar noch vorhersehbar und von manchen mit Gott verwechselt.

      Aber jetzt erst einmal weiter mit meinem Grundsatz-Statement, damit Sie, liebe Leserinnen und Leser besser begreifen, mit wem Sie es zu tun haben:

      Ich stelle auch nicht die hehren Ziele einer demokratisch und humanistisch orientierten Gesellschaft infrage. Ich bin für Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, für Menschenwürde, Menschenrechte, soziales Engagement und Frieden. Auch die privateren Ideale von Ehe, Partnerschaft, Treue und Ehrlichkeit, Pflichterfüllung, Freundschaft und Hilfsbereitschaft unterschreibe ich im Allgemeinen. Obwohl ich da in der Konsequenz der praktischen und alltäglichen Umsetzung schon meine Probleme sehe (auch das ist mein Dilemma!). Die Bequemlichkeit und die Verdrängung der menschlichen Probleme ist mir persönlich auch nicht fremd. Ja, ein Held bin ich nicht.

      Auch wenn das alles geklärt ist, theoretisch, und ich auch in der Praxis, im Alltag, mich zumindest mehr oder weniger erfolgreich bemühe, danach zu leben, stellt sich die Frage: Tue ich das mit Freude und Spaß oder eher mühevoll bis zwanghaft und immer schlecht gelaunt.

      Meine Warum-Fragen sind also nicht die nach dem Grund der menschlichen Existenz und nach dem Grund gesellschaftlicher Werte, sondern eher die nach der Motivation. Was macht mir Spaß, so zu leben oder anders zu leben? Woher kommt das gute oder schlechte Gefühl, wenn ich dies oder das tue? Oder anders formuliert:

      Was ist das, was was hat?

      Hätte


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