Harras - der feindliche Freund. Winfried Thamm

Harras - der feindliche Freund - Winfried Thamm


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ich mir diese Frage höchstens theoretisch erlaubt.

      Und Harras war damals jemand, der das hatte, was was hatte. Und der was tat, was was hatte. Und der immer noch was ist und was tut, was was hat. Diese Faszination des Chaos’, vielleicht auch des Bösen und Unmoralischen, die Verlockung des Andersseins und Andersdenkens, der Reiz des Hinterfragens aller Werte und deren Negation. Harras ist frei. Und das hat was. Das ist der Kick.

      Kapitel 7

      Mitte September 2000

      Wieder zurück zu meiner Geschichte:

      Nach dem Fest erzählte ich meiner Frau von dem belebenden Abend mit alten, lange nicht gesehenen Freunden und auch von Harras, der ihr von meinen Erzählungen aus meiner Vergangenheit schon bekannt war.

      Sie hörte amüsiert zu und sagte noch ironisch, als sie meine Begeisterung in meinen Schilderungen wahrnahm: „Der Antichrist ist wohl aus der Hölle wieder auf die Erde geklettert.“

      Wie recht sie hatte. Aber alles der Reihe nach.

      Etwa vier Wochen nach diesem legendären Fest klingelte spät abends, es war schon nach zwölf, das Telefon. Ich saß im Arbeitszimmer und las einen Krimi. Unter dem Einfluss der gruseligen Lektüre und der nachtschlafenden Zeit nahm ich besorgt das Telefon ab und meldete mich.

      „Guten Abend auch. Harras hier. Herr Biedermann ist noch wach?“

      Ich sah förmlich sein ironisches Grinsen und ärgerte mich.

      „Wenn du den Herrn Biedermann so verachtest, warum rufst du ihn dann mitten in der Nacht an, du Geier?“

      „Pack das Messer wieder ein. Morgen ist Samstag, hast du abends schon was vor?“, fragte er versöhnlich. „Zufällig ist mir Reiner, der Wirt von der „Goldenen Stadt“ von damals, über den Weg gelaufen, du weißt, wen ich meine. Und der erzählte mir, dass er jetzt ein schickes Restaurant in Rüttenscheid hat. „Chez René“ hat es der alte Großkotz genannt. Da habe ich für morgen einen Tisch bestellt, für uns beide. Also bis morgen um acht, Annastraße 5.“ Und schon hatte er aufgelegt.

      „Halt, ich hab doch noch gar nicht ... So ein arrogantes Arschloch!“, ärgerte ich mich.

      „Das muss dein Teufelsfreund gewesen sein, stimmt’s?“, lästerte Helen aus dem Hintergrund. „Ich wette, du gehst hin.“

      „Ja, hast schon gewonnen.“

      Am nächsten Abend erreichte ich um fünf nach acht das „Chez René“, als jemand von innen an die Scheibe klopfte und mich herein winkte. Es war Reiner. Er sah kaum älter aus als vor zehn Jahren, als ich ihn das letzte Mal beim Kabarett in der Lichtburg getroffen hatte. Nur seine Haare waren sehr dünn und grau worden.

      „Hey, altes Haus, wir haben uns ja Ewigkeiten ...“ „... nicht mehr gesehen“, ergänzte ich, als mich Reiner in seine langen Arme nahm und an seine fette Wampe drückte, als sei ich sein vermisster und tot geglaubter Bruder. Als er mich endlich wieder freigab, sah ich mich in seinem Laden um und entdeckte Harras an der Theke, auf einem Barhocker sitzend.

      „Einen schmucken Laden hast du ja hier aufgetan. Gratuliere, so ’was Feines hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

      Dann wandte ich mich an Harras: „Grüß dich Harras, seit wann bist du denn schon hier?“

      „Seit Punkt acht. Ich pflege pünktlich zu sein“, sagte er mit der Betonung auf „Ich“.

      „Jetzt stell’ dich nicht so an, ich war um fünf nach hier, also auch quasi pünktlich.“

      „Kommt Jungs, streitet nicht. Hier, für jeden ein Glas kühlen Weißen vom Feinsten und dann zeige ich euch erst mal mein Geschäft.“

      Er winkte einer sehr jungen und sehr hübschen Kellnerin, die den Wein eingoss und die Gläser verteilte.

      „Das ist unser Azubi Sabrina von der Hotelfachschule, die heute freiwillig hier ist, um euch zu bedienen und noch was dazuzulernen. Das nennt man Einsatz, was Jungs?!“, lachte Reiner laut.

      Dann führte er uns vom staubigen Keller voller Weine über Vorratskammern und Kühlräume durch sein chaotisches Büro in das Herzstück seines Stolzes, die Restaurantküche. Alles glänzte aus Edelstahl und sah großzügig und sehr professionell aus. Er stellte uns seinen Chefkoch August vor und sprach seinen Namen französisch aus. Wir begutachteten alles kritisch, auch den Koch, als wären wir von der Gewerbeaufsicht und lobten schließlich den ganzen Laden über den grünen Klee.

      „Meine Crew könnt ihr heute nicht kennenlernen, schließlich ist ja mein Ruhetag, aber August hat eh noch was für morgen vorzubereiten, und wenn er schon mal da ist, wird er euch dann was Leckeres zaubern.“

      „Und du, isst du nicht mit uns?“, fragte ich erstaunt.

      „Nee, lass man, hab noch hinten mit der Buchhaltung zu tun“, kam es etwas verlegen mit einem Seitenblick zu Harras. „Jetzt lasst es euch schmecken. August und Sabrina sind ganz allein für euch da. Übrigens, ich habe euch eingeladen, versteht sich.“

      Dann verzog er sich in sein Büro. Wir setzten uns in eine gemütliche Nische und tranken unseren Weißen.

      „Was war das denn gerade? Reiner hat extra für uns an seinem Ruhetag seinen Laden aufgemacht und seinen Koch samt Kellnerin bestellt? Was soll das?“, fragte ich skeptisch. Eine Alarmglocke klingelte deutlich in meinem Hinterkopf.

      „Ich wollte mal in Ruhe mit dir reden, ohne Ablenkung durch andere Gäste, Lärm und Hektik. Das brauche ich manchmal“, antwortete er mit schiefem Lächeln.

      „Und deswegen reservierst du gleich ein ganzes Lokal, lässt den Chef die Rechnung übernehmen und nötigst das Personal zu unbezahlten Überstunden?“

      „Jetzt hör mir mal zu!“, befahl er schmallippig. „Ja, so was mache ich manchmal, wenn mir danach ist. Ich kann mir das leisten. Aber in diesem Fall hatte ich bei Reiner noch einen Gefallen gut, weil ich ihm diesen Laden extrem billig besorgt habe. Da kann er ruhig mal für uns den Kochlöffel schwingen. Alles klar?“ Seine Stimme hatte Biss bekommen.

      „Ja, ist ja schon gut. Geht mich auch nichts an. Frieden?“

      Ich hielt ihm mein Glas hin, zum Anstoßen. Er nahm an.

      Der Wein war geleert und der Aperitif gerade gekommen, da kam Harras schon zur Sache:

      „Weißt du eigentlich noch, dass wir uns einmal ewige Freundschaft geschworen haben? Kennst du den Spruch noch:

      Über Frauen, Geld und Ruhm steht das, was wir zusammen tun.“

      Dabei hielt er mich mit seinem Blick fest und wartete.

      Ich hielt ihm nicht länger stand und schaute auf mein Glas, als ich ergänzte:

      „Freundschaft, die uns Freude schafft, H & H. Ja, ja, ich weiß es noch. Das hat jetzt im Nachhinein ein bisschen was von Indianerschwur. So was macht man, wenn man jung ist.“

      Mir war das Thema peinlich.

      „So etwas tue ich nur selten und nehme es sehr ernst.“ Das klang wie eine Drohung.

      „Was willst du eigentlich?“

      „Ich will, dass du diesen Schwur nicht so leichtfertig abtust. Das war ein Versprechen, eines der wenigen, die überhaupt zählen.“ Sein Ton wurde hart.

      „Was soll das?“ Auch ich wurde bissig. Jetzt war er wieder mein alter Feind. „Du tauchst nach fünfundzwanzig Jahren plötzlich aus der Versenkung auf, spendierst mir ein erpresstes Gratismenü und meinst, eine alte Freundschaft bei mir einklagen zu können wie eine unbezahlte Mietschuld, eine Freundschaft, die du selbst zerstört hast. Hast du das vergessen? Mach dich doch nicht lächerlich.“

      Seine Augen waren schmale Schlitze und seine Lippen ein dünner Strich.

      „Bezeichne mich nie wieder als lächerlich, nie wieder. Merk dir das“, fauchte er.

      Schweigen, nur wieder dieser


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