Kopfkissengeschichten. Tsubaki Hime
© Copyright: bei der Autorin/Cupido Books 2020
ISBN 978-3-944490-82-3 für die gedruckte Ausgabe
ISBN 978-3-944490-76-2 für das eBook
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01 Hochzeitsfest
Max wollte nicht mitkommen. Er sagte, er müsse am Wochenende durcharbeiten, und ich wusste, dass er keine Lust hatte. Aber ich wollte unbedingt hin: zur Hochzeitsfeier von Isabelle, einer meiner ersten Freundinnen in Deutschland. Wir hatten fast ein Jahr lang zusammen in einem Klassenzimmer gesessen, um Deutsch zu lernen. Sie kommt aus Südfrankreich, eine sehr hübsche Blondine, sie war mir von Anfang an sehr sympathisch, vielleicht weil sie auch so zierlich war wie ich, im Gegensatz zu vielen Frauen hier. Damals war sie mit einem wohlhabenden, deutschen Geschäftsmann liiert, seinetwegen war sie hierher gekommen. Sie wohnte mit ihm in einer riesigen Wohnung, in der ich ab und zu eingeladen war, wenn sie mit ihrem Freund eine Party gab. Dann war sie eine perfekte Gastgeberin, sie konnte von Natur aus mit allen möglichen Leuten passende Gespräche führen, Witze erzählen und charmant flirten, und man sah, dass ihr Freund sehr in sie verliebt war. Ich wusste aber auch, dass Isabelle keine treue Partnerin war. Jedenfalls war ich ein paar Mal Zeugin ihrer „Jagd“ gewesen, wenn ihr Freund auf Geschäftsreisen war. Ich staunte, wie leicht es ihr fiel, mit fremden Männern ins Gespräch zu kommen, Männer kamen zu ihr, als würden sie buchstäblich von ihr angesogen, und wenn sie tatsächlich jemanden gefunden hatte, der ihr gefiel, dann konnte sie geschickt zugreifen. Ich bewunderte sie einerseits wegen ihrer Leichtigkeit, so frei mit der eigenen Lust und auch mit Männern umzugehen, wahrscheinlich weil ich selbst ein Gegenpol war, andererseits betrachtete ich ihre zahlreichen Affären als eine Sucht, sich zwanghaft durch Liebesabenteuer bestätigen zu müssen. Sie war in der Tat eine attraktive Frau, die sich entsprechend sexy zurechtmachte mit knallrot geschminkten Lippen, knappem Minirock und Pumps mit hohem Absatz, nach ihr drehte sich fast jeder auf der Straße um, und sie genoss es. Wenn ich mit ihr zusammen war, kam es mir oft so vor, als wäre ich dabei, um ihren starken Pheromonausstoß zu unterstreichen. Egal mit wem sie unterwegs war, sie stand so gut wie immer im Mittelpunkt. Gern wäre ich Isabelle auf die Schliche gekommen, wie sie das alles anstellte, aber ich wusste auch, dass wir von Grund auf verschieden waren. Vielleicht war dies das Geheimnis, warum wir uns gut leiden konnten. Als ich damals unter Liebeskummer litt, nahm sie mich auf eine Party mit und hat mit rührendem Eifer versucht, mich mit einem ihrer Verehrer zu verkuppeln. Es gelang ihr nicht, nicht nur weil der gute Mann sich nicht für mich interessierte, sondern auch weil mir überhaupt nicht danach war, mit irgendjemandem, der mir über den Weg lief, ins Bett zu gehen. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, meinen Kummer durch einen anderen Mann zu zerstreuen.
Später, nachdem wir die Sprachschule verlassen hatten, trafen wir uns nicht mehr häufig, aber wir blieben die ganze Zeit über in Kontakt. Ich hatte inzwischen Max kennengelernt. Isabelle besuchte mich einmal in unserer gemeinsamen Wohnung, als wir noch frisch verliebt waren. Sie hatte sich längst vom damaligen Gefährten getrennt, und jedes Mal, wenn ich von ihr hörte, hatte sie einen anderen Freund. Sie wirkte ruhelos, und obwohl sie nach wie vor eine anziehende Weiblichkeit ausstrahlte und vorgab, sie wäre mit sich zufrieden, hatte ich den Verdacht, dass sie doch unglücklich war, da sie kurz davor zum ersten Mal in ihrem Leben von einem Liebhaber verlassen worden war. Ich ahnte ihre versteckte Verzweiflung, als ich sie sagen hörte, sie wolle unbedingt heiraten, bevor sie vierzig werden würde. Damals äußerte Max, der Isabelle kennengelernt hatte, den Kommentar: Sie sei jemand, der Männer wie Kleidungsstücke sammle, sie interessiere sich gar nicht für einzelne Menschen, jeder bekomme nur einen Marktwert als Objekt, und das sei ihm unangenehm.
Ich sah meinerseits nur, dass sie kein junges Mädchen mehr war. Sie war zwar nach wie vor attraktiv, aber wir waren schließlich nicht mehr Ende zwanzig, wie damals, als wir uns täglich sahen. Oder hatten ihre gelegentlichen alkoholischen Exzesse und zu viele Sonnenbäder ihre Haut so beansprucht? Wenn sie herzlich lachte, was ich an ihr so mochte, konnte ich kleine Lachfältchen an ihren Mundwinkeln entdecken, die deutlich zahlreicher und tiefer geworden waren als früher. Die Haut ihrer schlanken, langen Beine, die sie nach wie vor gern zeigte, unter dem Minirock war nicht mehr so straff und glänzend. Da wurde mir klar, dass ich in dieser Hinsicht deutlich von meiner asiatischen Herkunft profitierte. Es ist zwar wirklich gemein, dass Frauen, während die Männer mit zunehmendem Alter mehr Reife demonstrierten, umso mehr ihren „Marktwert“ einbüßen sollen, aber der Jugendwahn beherrscht nach wie vor die Welt, und ich fragte mich, ob Isabelle sich deshalb eines anderen besann. Ich war insofern sehr neugierig, zu erfahren, was für einen Mann sie gefunden hatte.
Die Hochzeitsfeier fand an einem Wochenende in einem Ferienhaus im Schwarzwald statt, die Gäste waren eingeladen, in Pensionen gleich nebenan zu übernachten. Isabelle arrangierte für mich sogar eine Fahrgemeinschaft.
Als ich ankam, war es erst drei Uhr. Alle hatten es sich in Freizeitbekleidung bequem gemacht, Kinder tobten auf der Wiese und spielten Tischtennis, und viele unterhielten sich einfach bei Kaffee und Kuchen auf der Terrasse. Isabelle entdeckte mich gleich und umarmte mich herzlich. Sie war sehr schön in ihrem weinroten Kleid, zeigte mir ihren goldenen Ehering mit Diamanten, führte meine Hand auf ihren Bauch und sagte leise, sie sei jetzt schwanger. Ich drückte sie noch mal an mich, gratulierte und sagte, jetzt solle sie mir endlich den glücklichen Bräutigam vorstellen. Stefan mochte um die vierzig sein, ein schlanker, sportlicher Typ, der einen gut situierten Eindruck machte, keine Schönheit, aber er sah sympathisch aus. So wie er dastand, umgeben von vielen Freunden, schätzte ich, dass er auch von geselliger Natur war. Ich bekam anschließend so viele Menschen auf einmal vorgestellt, dass ich gleich die Namen wieder vergessen hatte, ihre Eltern, ihre Geschwister und Freunde aus Frankreich und aus Deutschland. Zu meiner Überraschung waren einige aus unserer „Klasse“ gekommen, mit denen Isabelle und ich damals Deutsch gelernt hatten. Jacques, ein Schweizer Bankier aus Genf, war mit seiner Frau angereist, Julien aus Brüssel, der mittlerweile die Niederlassung seiner Firma in Deutschland leitete, und Alain aus Paris, der damals noch Student und jetzt in Deutschland als Journalist tätig war. So wurde es wie ein unerwartetes Klassentreffen. Ich staunte, dass Isabelle immer noch mit allen Kontakt pflegte. Wir bildeten damals die französische Fraktion in der Sprachschule. Obwohl wir im Klassenzimmer alle brav miteinander Deutsch sprachen, unterhielten wir uns nach Schulschluss auf Französisch. Ich war kurz zuvor mit meinem damaligen Freund Roland, den ich während des Studiums in Paris kennengelernt hatte, nach Deutschland gekommen. Roland hörte auf, mit mir Französisch zu sprechen, damit „ich mich so schnell wie möglich an seine Sprache gewöhnen könne“, wie er zu sagen pflegte. Auf diese Weise war mir zu Hause eine Art Sprachverbot auferlegt worden. Ich bin fest überzeugt, dass die Sprache, die man in der Anfangsphase einer Beziehung spricht, die Partnerschaft selbst stark prägt. Französisch war für uns beide eine Fremdsprache und damit eine Art Geheimsprache, die nur wir zwei teilten, unbelastet von jeglichen Kindheitsprägungen, Erinnerungen oder gesellschaftlichen Normen. Wir waren auf Augenhöhe. Aber sobald ich „seine“ Sprache sprechen musste, gingen diese Leichtigkeit und der spielerische Umgang mit der Sprache verloren. Roland war automatisch der Überlegene, der mich belehrte und verbesserte, und ich wurde vor ihm immer stummer, das war der Anfang vom Ende unserer Beziehung. Es hat mir in meiner Krise sehr geholfen, dass ich mich mit unserer „französischen Fraktion“ unbefangen unterhalten konnte.
Wir staunten alle gleichermaßen, dass seitdem bereits über zehn Jahre vergangen waren, und berichteten ausführlich, was aus uns geworden war. Ich hatte es immerhin geschafft, Deutsch gut genug zu beherrschen, um als Dolmetscherin arbeiten zu können, dafür hatte ich jetzt so gut wie keine Gelegenheit mehr, Französisch zu verwenden. Jacques, der wohl Karriere machte in seiner Bank, hatte Deutsch komplett verlernt. Alain sprach jetzt so gut wie akzentfrei, während Julien nach wie vor lieber Französisch sprach. Dazu kamen einige aus dem anderen Freundeskreis von Stefan und Isabelle, sodass die Runde recht gut gemischt war. Es war lustig, dass alle miteinander Kauderwelsch sprachen und dass wir uns trotzdem