4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018. Christoph-Maria Liegener

4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener


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erfahren, dass ich Hannes töten hätte können, mit dem Messer aus der Gemeinschaftsküche, am Jungscharlager. Denn Mutter war in den Tagen, als wir nach langen Abenden – Vater hatte diese fern von uns mit Chantal zugebracht – das honigsüße Land gegen die bitter-staubigen Hochhäuser der Stadt getauscht hatten, mit viel süßsaurem Weichsellikör so sehr beschäftigt gewesen, dass ihr rundum und vor allem im Gehirn der Sinn für meine Fragen zur Sinnlosigkeit gefehlt hatte.

      Chantal. So heißen alle blonden Huren, die, getarnt als Sekretärinnen, gelangweilten Vätern und Ehemännern lauwarmen Prosecco als Stimulans in den Hosenschlitz gießen.

      Ich HASSE Vater. Ich HASSE Prosecco. Ich HASSE Chantal. Ich HASSE Huren.

      „Du sollst …“ – und ich sollte mir kein Bild machen. Nicht in Schwarz, wie ich es liebe, und nicht in Honiggelb. Nicht von Vätern, nicht von Huren, nicht von Gott, oder Allah, oder Jehova – und auch nicht von unserem schönen, friedlichen Hügelland. „Verschwende nicht deine Zeit mit dieser stumpfsinnigen Malerei!“, waren Mutters Worte durch öligen Likör über geschwollene Lippen geflossen.

      Aylin hat meine Bilder schön gefunden. „Du brauchst sie nicht mehr“, hat sie durch Schwarz hindurch gemurmelt. Aylin braucht keine Farbe. Aylin ist keine Hure.

      Bilder, die der Welt erklären…

      „Bilder erklären nichts! Bilder ändern nichts! Bilder machen die Welt nicht besser. Taten sind es, die Heil schaffen.“ Das hatte Mahmud gesagt, Aylins Bruder. Male nicht! Handle!

      Ich HASSE meine Bilder.

      Mahmud hat große Ohren – und einen Glauben. Er hört mir zu – und er glaubt an mich. Seine Idee, meine Idee, sind eins. Wenn alle gut sind, wird alles gut werden. Mahmud, Aylin, ich – wir werden zusammen in das Honigland ziehen.

      Aylin ist keine Hure. Aylin hat mich – mich allein – unter die Burka gelassen.

      Diese andere Frau – sie steht JETZT in der Tür – spricht Worte ohne Sinn: „Christian, willst du heute mit mir zum Konzert auf den Weihnachtsmarkt gehen?“ Christian bin nicht ich. Ich bin Yasin. Das bedeutet ‚Herz des Korans‘. Mein Name hat mir Bedeutung geschenkt. Diese andere Frau ist nicht meine Mutter. Die Antwort ist: „Nein.“ Sie ist eine Ungläubige. Sie ist eine Hure.

      Mahmud ist mein Prophet. Mahmud hat das Auto geholt. Wir werden die Welt von den Ungläubigen befreien. Mahmud hat das Komplizierte einfach gemacht. Sie werden uns erschießen. Heute. Wenn wir mit dem großen Auto kommen. Auf den Platz, den die Ungläubigen „Weihnachtsmarkt“ nennen.

      Aylin, Mahmud, ich. Ich LIEBE Aylins festen Honig. Wir werden zusammen in das Honigland gehen.

      Allahu akbar. Das ist JETZT. Am Ende, der mein Anfang ist:

      Ich, Yasin, ein Terrorist.

      Kommentar: Erschreckend.

       Roland Rothfuß

       Liebevolle Zweisamkeit.

      Wenn die Liebe feurig knospet

      in des Lebens junger Zeit,

      schaut ein jeder, dass er kostet

      von der Lust der Zweisamkeit.

      Wie zerbrechlich ist die Pflanze,

      flüchtig doch das Liebesglück,

      drängt der Alltag oft das Ganze

      zur Gewohnheit dann zurück.

      Doch die Schwester der Gewohnheit

      ist der Ehe hohes Gut,

      sie ist die Beständigkeit,

      und bewahrt der Liebe Glut.

      Achten muß man diese Werte:

      Treu’, Vertrauen, Ehrlichkeit,

      dann bekommt man das Begehrte:

      Liebevolle Zweisamkeit.

      Kommentar: Das Thema ist zwar bekannt, aber ein Evergreen. So eine schöne Bearbeitung erfreut immer wieder.

       Raoul Eisele

       in der Abwesenheit von Frischluft

      lass mich in dir wohnen

      nur für kurz

      in deinen Kammern wühlen

      in jeder Falte deines Körpers

      Geschichten fühlen

      die dir Lebenskreise malten

      und zwischendurch

      darfst auch du in meinem lüften

      was noch nicht zu Tage trat.

      //

      im Sommer entspringt Seljalandsfoss

      aus den Höhen Islands

      und in der Höhle dunkelrotes Moos

      das an den Rändern grüngeflickte Stellen lässt

      sie sind wie Herden in der roten Wüste

      füllen Steppen

      setzen den Stich an beiden Seiten

      lückenlos

      und saugen an den Tropfen

      die der Wasserfall verliert.

      //

      Kalinin blüht auf

      sie ist ein Schneeball zur Sommerzeit

      ein ungewöhnliches Phänomen

      der Natur – mit ihren weißen fingerkuppengroßen Blüten

      stülpt sie sich samten über deine Haut

      und schmilzt.

      //

      bei leichtem Wind

      trägt das Meer Musselin

      es wirft sich in dunkles Türkis

      raut sich an gewebten Stellen

      auf und rückt ihre wellige Krempe

      bei Ebbe wieder zurecht.

      //

      in den Feldern der Sprache

      setzt du die Verortung außer Kraft

      jegliche Naturgesetze heben sich auf;

      du setzt Wortsamen in vertrocknete Erde

      öffnest Brüche

      deren Ausbruch nie bestimmt war

      sezierst die Knospen noch nicht erblühter

      schneidest ihre Lungen auf – und beatmest sie.

       Alexandra Anvari

       Winternacht

      Im Winter

      Im Dunkeln

      Wandeln

      Ich weiß nicht

      Weshalb mich das

      Derart berührt

      Da ist Kälte

      Die mich wärmt

      Einsamkeit

      Die mich

      Mit der Welt

      Verbindet

      Paradox

      Schritt für Schritt

      Schreite ich

      Durch die Nacht

      Um mich

      Stille und Schweigen

      Dunkelheit

      Und Lichtpunkte

      Eine


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