4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018. Christoph-Maria Liegener

4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener


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jagen Schmetterlinge, folgen Spechten,

      Bis ich mich atemlos an Bäume lehne

      Und mich nach deiner warmen Nähe sehne.

      Du suchst nach Schlüsselblumen, nur den echten,

      Die bloß an diesem Hang gefunden werden.

      Ich eile mit dir, folge deiner Suche

      Und muss mir meine losen Bänder binden.

      Ich bücke mich trotz meiner Kreuzbeschwerden,

      Die ich zum vielzuvielten Mal verfluche,

      Und kann das Mädchen nachher nicht mehr finden.

      Kommentar: Ein Sonett von Walther, der ein Meister dieses Faches ist. Diesmal ganz fröhlich – bis zum überraschenden Schluss. Der Autor spendet seinen Preis wieder dem Projekt zugetextet.com.

       Vierter Platz: Barbara Gase

       Zerrissenes Buch

      Die Kindertasse schepperte über den Terrazzoboden. Die verschüttete Milch roch schwach säuerlich und nach Unheil. Ein kleines Mädchen presste ihre Hand auf den Mund.

      „Das war aber laut!“, rief sie.

      Zaghaft lächelnd tänzelte sie von einem Bein auf das andere und zupfte sich am Pferdeschwanz.

      Ein schmaler Sonnenstrahl wanderte über die Wand und erweckte Staubpartikel zum Leben.

      Der Vater saß am Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Er runzelte die Stirn, die trotzdem steinern wirkte. Seine Augen waren blau. Gletscherblau.

      „Ich mach es ja weg“, bemerkte sie, „später! Aber jetzt lese ich weiter, es ist so spannend.“

      Sie schob trotzig die Unterlippe vor und ging zum Tisch, um das Buch zu holen.

      Der Vater stand langsam auf. Er war nicht groß, aber breitschultrig und hatte ein Grinsen im Gesicht, das keines war. Er griff nach dem abgelesenen Schmöker und hielt ihn über den Kopf.

      Die Küche vibrierte. Ein LKW fuhr in der engen Straße am Mietshaus vorbei. Gläser zitterten und klirrten leise im Schrank. Sonst war es still.

      „Gib mir mein Buch zurück!“, schrie das Kind, stieß mit dem Fuß gegen das Schienbein des Vaters und sprang an ihm hoch. Dessen Augen waren in die Ferne gerichtet. Sein breiter Mund zuckte.

      Er stand regungslos da und hielt die Lektüre fest in den Händen. Er sprach dabei nicht.

      Seine behaarten großen Hände fanden Worte. Lautstarke Worte. Er riss das Buch in der Mitte durch, aus einem Impuls heraus. Und noch einmal, einzelne Seiten. Und noch einmal. Das Geräusch zerschnitt den Raum. Es hätte die Haut aufritzen können.

      Der Vater ließ sich Zeit.

      Sie jammerte und brüllte. Einzelne Tränen flossen an ihren Wangen hinab. Sie stampfte mit den Füssen auf.

      Er legte das verletzte Geschriebene und Geliebte auf den Tisch und verließ die Küche.

      Das Kind streichelte über den zerstörten Einband und sammelte die Seiten ein. Das Mädchen weinte nicht mehr. Sie starrte vor sich hin und zog sich zurück in eine innere Kammer, ging zu einem unsichtbaren Ort, zu dem keiner Zutritt haben würde.

      Tage später saß der Vater abends am Tisch und klebte die Seiten zusammen. Der Buchrücken wurde notdürftig mit Pappe verstärkt.

      Schweigen dehnte sich in der Wohnung aus wie Bauschaum. Es dauerte sechs Wochen. Beharrlich blieb er stumm, tagein, tagaus.

      Unbeholfen plapperte das Mädchen drauflos. Morgens nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafengehen. Meistens verkroch sie sich in ihre Spielecke. Das Buch versteckte sie unter dem Bett.

      Nach den vielen Tagen mit finsterer Miene und einem strengen Tagesrhythmus, fing er plötzlich wieder zu sprechen an:

      „Gibt es heute keinen Kaffee? Es ist doch schon halb vier!“

      Er schaute seine Tochter dabei an und nicht seine Frau.

      „Doch, doch, Mutti hat Kuchen gebacken“, antwortete sie erleichtert.

      Er schaute auf die Uhr. „Dann lass uns den Tisch decken“, sagte er, betont leicht.

      Sie holte die Tischsets aus dem Schrank, die statt einer Decke das empfindliche Holz schützen sollten. Dann die zwei Becher mit dem Aufdruck ‚Sie‘ und ‚Er‘ und ein Glas für ihren Kakao.

      Er trank seinen Kaffee mit Dosenmilch, immer zwei Becher. Danach ging er ins Badezimmer und wusch sich ausgiebig die rissigen roten Hände. Er strich sich über die längliche raue Narbe am Kopf.

      *

      Der Vater saß im Lehnstuhl und rieb die Altersflecken seiner Hand. Einzelne Finger waren gekrümmt. Seine Tochter reichte ihm die Tasse mit Milch. Er zitterte. Sie saßen lange schweigend nebeneinander. Vor dem Fenster war es dunkel geworden.

      Die Frau sah auf die Staubflocken unter dem Tisch, die sich sanft hin und her bewegten. Sie sagte:

      „Nachher werde ich staubsaugen, da liegt schon wieder etwas. Wo kommt es bloß her?“

      Der Vater nickte und fragte:

      „Liest du mir wieder vor?“

      Sie nahm das alte Exemplar ‚Ronja Räubertochter‘ aus der Tasche.

      „Warum ist das Buch so ramponiert?“, erkundigte er sich.

      Die Frau zögerte.

      „Weißt du es nicht mehr?“

      „Nein, was soll ich wissen?“

      Sie stand auf und scharrte mit den Füßen. Sie lief unschlüssig zum Fenster und schaute hinaus. Ein Kind lief über den Gehsteig, es trug ein grünes Kleid und zog einen Hund hinter sich her. Ein Mann ging mit großen Schritten neben ihr, gestikulierte beim Sprechen und lachte so laut, dass es bis in die Wohnung schallte.

      Die Tochter setzte sich, ganz vorne auf den Rand des Stuhls und zog den Pullover über die dünnen Narben an den Armen. Sie sagte leise:

      „Du weißt doch, ich war ein wildes Kind. Ich hab es zerrissen.“

      „Du warst so wild wie eine richtige Räubertochter, aber ich hab alles wieder heil gemacht.“ Der Vater lächelte und schaute sie an. Sein Blick war trüb.

      „Ja, Vater, das hast du“, sagte sie und tätschelte seine Schulter.

      Er schloss die Augen.

      „Fang an zu lesen, es ist so spannend.“

      Kommentar: Das ist Liebe.

       Fünfter Platz: Armgard Dohmel

       Der große Tag

      Schon beim Aufwachen durchzuckte sie wie ein Blitz der Gedanke: Heute ist ein besonderer Tag! Doch sie musste erst überlegen, warum das so war. Es fiel ihr in letzter Zeit immer schwerer, sich richtig zu konzentrieren und beim Nachdenken nicht in diese vage Zeitlosigkeit abzudriften, die wie zäher Nebel alle Konturen verschwimmen ließ.

      Ach ja, nun wusste sie es wieder: Heute war Sonntag und sie hatte sich vorgenommen, das neu eröffnete Café im Erdgeschoss des Pflegeheims zu besuchen – und sich dort ein richtig schönes Stück Sahnetorte zu leisten! Auf dieses „Abenteuer“ musste sie sich gut vorbereiten: Chic anziehen wollte sie sich dafür und ihre Handtasche mit etwas Geld im Portemonnaie mitnehmen.

      Es würde anstrengend werden, sich mit dem Rollator den langen Flur im ersten Stock entlang bis zum Aufzug zu schleppen, einzusteigen, ins Erdgeschoss zu fahren, wieder auszusteigen und sich dort unten zu orientieren. Sie musste gut aufpassen, um nicht zu stolpern oder in die falsche Richtung zu gehen.

      Das war ihr sogar in ihrem Stockwerk schon einmal passiert: Ganz in Gedanken hatte sie das Wägelchen nicht zum nahen Speisesaal,


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