4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018. Christoph-Maria Liegener

4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener


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Sie haben… was getan? In dieser Situation?

      -Wie ich sagte…

      -Was?

      -Ich habe … gebetet.

       Günter Vollmer

       Abschiedsbrief

      1

      Nennen wir zunächst ‚Abschiedsbrief‘, was ich Ihnen hiermit zukommen lasse. Fremd, wie Sie mir geworden sind, ziehe ich es vor, Sie zu siezen.

      Worum es geht? Um Sie, um Ihre Kinder, auch um mich. Und darum, wie unvereinbar unsere Schicksale sind und wie eng wir gleichzeitig darin verklammert sind. Um es auf den Punkt zu bringen: Sie werden sterben, das ist sicher, und das sehen Sie als Ihr Problem, ich nicht, wahrscheinlich nie, das ist mein Problem.

      Es ist ein früher Abschiedsbrief, absurd früh, vor allem nach Ihren Maßstäben. Ich selbst habe gerade erst meinen Zenit hinter mir, komme ein wenig zur Ruhe. ‚Abschiedsbrief’ trifft also nicht, was es in Wirklichkeit ist, ich erwähnte es schon, nennen wir ihn besser Abwendebrief, ich werde mich von Ihnen abwenden, will es nicht länger mit ansehen.

      Damit Sie mich verstehen, komme ich zunächst zu Ihnen. Auch Sie haben Ihren Zenit erreicht, die Evolution geht ihrer unseligen Erfüllung entgegen, vor Ihnen liegt…was? Eine schier endlose Zukunft? So möchten Sie es sehen. Unsere Skalen könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie wissen nicht, wollen nicht wissen, wie moribund Sie sind, so gut wie schon verstorben - meine Skala.

      So werden Sie mich also nur noch kurz begleiten. Ihre Zeit wurde begrenzt, als Einzelwesen und als Art, darin sind Sie unschuldige Schöpfung. Gleich zu Beginn der mir verbleibenden Ewigkeit wird Ihr Fixstern aufkochen, er wird Ihre Meere eindampfen, Ihren ehemals schönen Planeten austrocknen und einschmelzen, ihn schließlich verschlingen - Sie wissen darum. Natürlich werden sie weit vorher in aller Verzweiflung zu fliehen versucht haben, in der Hoffnung, eine neue Heimat im All zu finden. Wie sinnlos! Wenn Ihr Planet in das Inferno der Sonne eintaucht, werden Ihre Pioniere mitsamt der Illusionen, unter denen sie aufgebrochen sind, längst im Ozean der Endlosigkeit verschollen sein. Keine Chance auf ein irgendwie geartetes Weiterleben, nicht in ihrer Heimat, noch irgendwo anders im mitleidlosen All. Nicht Ihre Schuld, das. Auch nicht die meine.

      So wäre es im günstigsten Fall. Der nicht eintreten wird. Damit komme ich zu dem Grund, weshalb ich Ihnen mein ‚Du‘ entziehe: egozentrisch, ignorant und aggressiv, wie Sie sind, gegen jeden und gegen alles. So werden Sie das bisschen Zeit, das Ihnen bleibt, leichtsinnig verspielen. In unzähligen Galaxien habe ich Milliarden von Zivilisationen aufkommen sehen. Unterschiedlich erfolgreich, was das Miteinander und was die Pflege ihrer Planeten betrifft. Sie gehören zu den Schlusslichtern.

      Warum ich dies sage? Lange bevor Ihre Sonne dem Leben die Existenzgrundlage entzieht, werden Sie Ihr eigenes Inferno entfacht haben. Sie haben den ‚Fortschritt‘ als heilige Monstranz vor sich hergetragen, das Besser, Größer, Mächtiger zu Ihrer Religion erhoben und die Kreationen, um nicht zu sagen ‚Kreaturen‘ ihrer Intelligenz, ins Unbeherrschbare sich entwickeln lassen. Diese Geschöpfe werden sich von Ihnen, ihren Erzeuger befreien, werden Sie bedrängen und schließlich vernichten. Mit Ihrer nicht enden wollenden Gier, gepaart mit lauem Humanismus der Einen, Dumpfheit der Anderen, Fanatismus der Dritten werden Sie den Abzweig verfehlen, haben ihn längst schon verpasst, so werden Sie vor der Zeit vergehen.

      2

      Kommen wir jetzt zu mir. Auch wenn ich alles umfasse, bin ich nicht Herr der Dinge. In mir liegt, was mich treibt, was mit mir entstanden ist und was zu ändern nicht in meiner Macht liegt. Da bin ich nun, der Bigbang ist ferne Geschichte, die großen Spektakel werden seltener, mein Schaffensrausch erlahmt, und ich werde zu erschreckender Ruhe kommen, erschreckend, weil darin der Keim einer Endzeit liegt, der ich gefasst entgegensehen muss.

      Sie sehnen sich nach Ewigkeit, nach einer Existenz ohne Ende und wissen nicht, auf was Sie sich einlassen würden, wenn ein Licht nach dem anderen ausgeht, der Raum nicht aufhört, sich ins ewige Dunkel zu blähen, Galaxien, Sterne und schließlich die Atome zu einem Nichts zerfallen, das sich in meine nicht enden wollende Langeweile ergießt. Wie gern würde ich mit Ihnen tauschen.

      Seien Sie froh, dass Ihnen Tod und Untergang beschieden sind.

      Gezeichnet

      Ihr Universum

       Barbara Blume

       Finissage am Sonntag

      Wartend auf meine Begleitung

      Ist die Kaffeebox geschlossen

      Dann gehe ich – einfach

      Ohne weitere Umstände abzuwarten.

      Die Räumlichkeiten füllen das Bekannte

      Mit neuen eindrücklichen Sichtweisen

      Manch eine ist schick

      Manch eine leger

      Manch eine sitzt

      Eine andere staunt

      Stühle fordern bereitwillig zum Sitzen auf

      Die Zukunft bringt eine Lesung zu einem Buch

      Das lockend auf dem runden Beistelltisch

      Liegt – kostendeckend

      Eine Frau – eine die bald lesen wird

      Ist auffällig präsent

      Ich sitze

      Beteiligt umherblickend und freue mich

      Über den schönen Frühlingsnovembertag

      Das Neue lässt sich ein –

      Auf mich

      Auf eben dieser Finissage

      War ein Rahmen!

      Tampons hingen von oben herab

      Mit der Aufschrift:

      Coca Cola!

      In Rot

      Das war

      Zuerst sehr beklemmend

      Dann immer gewöhnlicher wirkend

      Tampons sind Helfer

      Sie unterstreichen die weibliche Note

      Kommentar: Die Vita der Autorin zeugt von einem schweren Schicksal. Das Schreiben hilft ihr. Sie schreibt nicht für die Leser, sondern für sich selbst. Eine interessante Einstellung.

       Oliver Bruskolini

       Urschrei

      Es erwacht. Ich spüre es in mir, merke wie es sich hochkämpft. Seine Regung schnürt mir die Luft ab. Es fällt mir schwer, zu atmen. Langsam hebt sich meine Brust auf und ab. Eine schwerfällige Bewegung. Ich balle meine Fäuste, sodass Krampfadern an den Handgelenken hervortreten. Alle Versuche, meine Atmung zu kontrollieren, scheitern. Auf zittrigen Beinen stehe ich an der Haltestelle. Ich lehne mich zurück, merke das kühle Glas der Scheibe durch mein T-Shirt. Meine Augen sind geschlossen. Oder nicht? Ich weiß es nicht, denn im Moment sehe ich gar nichts. Am liebsten würde ich schreien. Ein lauter, tiefer Urschrei. Ein Schrei, wie ihn die Schotten in „Highlander“ ausstoßen, um ihre Feinde in die Flucht zu schlagen.

      Dieser Feind wird nicht flüchten. Zumindest nicht so schnell. Gedanken schießen durch meinen Kopf. Dinge, die ich dem Fahrer nur zu gerne ins Gesicht brüllen würde, falls er endlich an dieser Haltestelle ankommt. Falls. Es sind über dreißig Grad und die Wut in mir verdoppelt diese Hitze. Es ist ein Wunder, dass ich noch nicht koche. Äußerlich. Innerlich koche ich über. Ich bin wie ein Schnellkochtopf, der völlig überhitzt darauf wartet, dass der Deckel gelöst wird, damit ich ihn einmal quer durch die Luft schleudern kann. Am liebsten gegen den Fahrer. Oder gegen irgendeinen anderen Bürohengst des Verkehrsunternehmens.

      Immer wieder überkommen mich solche Ausbrüche und ich bin ihnen widerstandslos ausgesetzt.


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