Die Stadt der Sehenden. Жозе Сарамаго

Die Stadt der Sehenden - Жозе Сарамаго


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mischte sich der Justizminister ein, es erscheint mir riskant, um nicht zu sagen unzulässig, ein paar weiße Stimmzettel in den Urnen als Terrorismus und noch dazu als blanken und puren zu bezeichnen, Ein paar weiße Stimmzettel, ein paar weiße Stimmzettel, stammelte der Verteidigungsminister nahezu sprachlos vor Empörung, wie kann man dreiundachtzig von hundert Stimmen ein paar nennen, sagen Sie mir das, wo wir doch endlich begreifen und uns klar machen sollten, dass jede dieser Stimmen ein unter Wasser abgefeuerter Torpedo war, Mag sein, dass mein Wissen über den Anarchismus nicht ganz aktuell ist, das will ich gar nicht bestreiten, sagte der Kulturminister, aber soweit mir bekannt ist, auch wenn ich mich keineswegs als Spezialist für Seeschlachten bezeichnen möchte, werden Torpedos immer unter Wasser abgefeuert, was anderes bleibt ihnen gar nicht übrig, denn genau dafür wurden sie gebaut. Der Innenminister sprang wie von der Tarantel gestochen auf, wollte seinen Kollegen von der Verteidigung gegen diese scherzhafte Bemerkung verteidigen, vielleicht auch den Mangel an politischem Taktgefühl in diesem Ministerrat anprangern, doch da schlug der Regierungschef, Einhalt und Ruhe gebietend, mit der flachen Hand auf den Tisch, Die Herren Kultur- und Verteidigungsminister können den akademischen Disput, auf den sie sich offensichtlich eingelassen haben, draußen zu Ende führen, doch möchte ich daran erinnern, dass wir uns hier in diesem Saal, der nicht nur das Parlament, sondern auch das Herz der Macht und der Demokratie repräsentiert, versammelt haben, um Entscheidungen zu treffen, die unser Land aus der schwersten Krise seit Jahrhunderten führen sollen, das ist unsere Herausforderung, und deshalb meine ich, wir sollten angesichts dieser immensen Aufgabe die unsinnigen Wortklaubereien und Haarspaltereien einstellen, die unserer Verantwortung unwürdig sind. Er machte eine Pause, die niemand zu unterbrechen wagte, und fuhr fort, Dem Herrn Verteidigungsminister sei jedoch mit aller Deutlichkeit gesagt, dass die Tatsache, dass der Regierungschef sich in dieser ersten Phase der Krisenbewältigung für die Ausführung des von den zuständigen Diensten des Innenministers entworfenen Plans entschieden hat, nicht bedeutet und auch niemals bedeuten kann, dass das Mittel des Belagerungszustands endgültig verworfen wurde, alles wird vom weiteren Verlauf der Ereignisse abhängen, von den Reaktionen der Hauptstadtbevölkerung, von der Stimmung im übrigen Land, von dem nicht immer berechenbaren Verhalten der Opposition, in diesem Fall vor allem der PDL, die kaum noch etwas zu verlieren hat und daher möglicherweise das bisschen, das ihr noch bleibt, in riskanter Weise aufs Spiel setzt, Ich meine, wir müssen uns nicht groß sorgen wegen einer Partei, die gerade mal ein Prozent der Stimmen erlangt hat, bemerkte der Innenminister mit einem verächtlichen Achselzucken, Haben Sie ihr Kommuniqué gelesen, fragte der Premierminister, Selbstverständlich, politische Kommuniqués zu lesen ist Bestandteil meiner Arbeit, zählt zu meinen Pflichten, zwar gibt es Leute, die ihre Assistenten dafür bezahlen, ihnen das Essen vorgekaut auf dem Teller zu servieren, aber ich gehöre zur alten Schule, vertraue nur auf meinen eigenen Kopf, selbst wenn der sich irrt, Sie vergessen, dass die Minister letztlich die Assistenten des Regierungschefs sind, Das empfinde ich als Ehre, Herr Premierminister, doch der Unterschied, der große Unterschied besteht darin, dass wir Ihnen das Essen bereits verdaut vorsetzen, Nun denn, lassen wir das Thema Gastronomie und Verdauung beiseite und kommen wir zurück zu dem Kommuniqué der PDL, sagen Sie mir, was Sie davon halten, Es handelt sich hierbei um eine plumpe, naive Abwandlung des alten Mottos, lässt sich der Feind nicht besiegen, so verbünde man sich mit ihm, Und auf den vorliegenden Fall angewandt, Auf den vorliegenden Fall angewandt, Herr Premierminister, wenn die Stimmen nicht dir gehören, dann sieh zu, dass es wenigstens so aussieht, Trotz allem empfiehlt es sich, wachsam zu sein, der Trick kann bei der eher links gerichteten Bevölkerung durchaus Wirkung zeigen, Von der wir im Augenblick gar nicht recht wissen, wer sie eigentlich ist, sagte der Justizminister, ich stelle fest, dass wir uns nicht laut und ehrlich eingestehen wollen, dass die große Mehrheit besagter dreiundachtzig Prozent Wähler unserer Partei und der PDM sind, und eigentlich sollten wir uns fragen, warum sie weiße Stimmzettel abgegeben haben, darin liegt das Hauptproblem und nicht in der geschickten oder naiven Argumentation der PDL, In der Tat, genau genommen ist unsere Taktik nicht viel anders als die der PDL, antwortete der Premierminister, sprich, wenn du schon nicht die Mehrheit der Stimmen erlangt hast, dann tu zumindest so, als hätten deine Gegner sie auch nicht erlangt, Mit anderen Worten, sagte von einer Ecke des Tischs der Verkehrs- und Kommunikationsminister, wir haben alle dasselbe Ziel, Das ist vielleicht eine zu vorschnelle Definition unserer derzeitigen Lage, ich betrachte das Ganze wohlgemerkt gerade von einem rein politischen Standpunkt, dennoch ist sie nicht ganz von der Hand zu weisen, sagte der Premierminister und erklärte die Debatte für beendet.

      Der umgehend verhängte Ausnahmezustand zerschlug wie ein salomonisches, von der Vorsehung diktiertes Urteil den gordischen Knoten, den die Massenmedien und insbesondere die Zeitungen seit dem unglückseligen Ausgang der ersten Wahl und dem noch dramatischeren der zweiten mehr oder weniger geschickt, mehr oder weniger subtil, doch stets betont beiläufig zu lösen versucht hatten. Einerseits war es ihre unverkennbare, ihre elementare Pflicht, mit patriotisch gefärbter Empörung sowohl in den eigenen Leitartikeln als auch den von außen angeforderten Stellungnahmen das unerwartete, unverantwortliche Verhalten einer Wählerschaft zu verdammen, die im Zuge einer seltsamen, unheilvollen Entartung blind geworden war für die höchsten Interessen der Heimat, die das politische Leben des Landes auf nie da gewesene Weise gelähmt und in eine dunkle Gasse geführt hatte, aus der nicht einmal der Klügste mehr einen Ausweg fand. Andererseits musste jedes Wort, das geschrieben wurde, vorsichtig abgewogen, mussten Empfindlichkeiten berücksichtigt werden, man tat sozusagen stets zwei Schritte vor und einen zurück, damit die Leser nicht ihrer Zeitung, die sie wie Verräter oder Irre behandelte, nach all den Jahren perfekter Harmonie und fleißiger Lektüre die Freundschaft kündigten. Die Verhängung des Ausnahmezustands, welcher der Regierung entsprechende Machtbefugnisse einräumte und mit einem Federstreich sämtliche Verfassungsrechte aufhob, erlöste die Chefredakteure und Verwaltungsleiter schließlich von dieser unbequemen Last und finsteren Bedrohung. Die eingeschränkte Meinungs- und Kommunikationsfreiheit, die Zensur, die dem Redakteur stets über die Schulter linste, bot die perfekte Entschuldigung und beste Rechtfertigung, Natürlich würden wir unseren geschätzten Lesern liebend gern eine von missbräuchlicher Einmischung und unhaltbaren Beschneidungen freie Informations- und Meinungsbildung ermöglichen, hieß es, denn das ist ihr gutes Recht, vor allem in so heiklen Situationen wie dieser, doch die Lage ist, wie sie ist, und nur wer stets dem ehrbaren Journalistenhandwerk nachgegangen ist, weiß, wie schmerzlich es ist, wenn die eigene Arbeit praktisch rund um die Uhr überwacht wird, außerdem, und das sage ich hier ganz im Vertrauen, sind doch in erster Linie die Hauptstadtwähler für diese ganze Misere verantwortlich und nicht die anderen, die aus der Provinz, aber leider gestattet uns die Regierung trotz inständiger Bitten nicht eine zensierte Ausgabe für hier und eine freie für das übrige Land, gestern erst sagte uns ein hoher Beamter vom Ministerium, die richtige Zensur sei wie die Sonne, wenn sie aufgeht, dann geht sie für alle auf, für uns ist das nichts Neues, wussten wir doch, dass so die Welt funktioniert, dennoch zahlen immer die Gerechten für die Sünden der anderen. Trotz all dieser Vorsichtsmaßnahmen, in Bezug auf die Form wie auch den Inhalt, wurde bald deutlich, dass das Interesse an der Zeitungslektüre drastisch zurückgegangen war. Aus dem verständlichen Bedürfnis, in alle Richtungen aktiv zu werden, meinten einige Zeitungen, den Lesermangel dadurch bekämpfen zu können, dass sie ihre Seiten mit nackten Leibern in neuartigen Gärten der Lüste füllten, weiblichen und männlichen, in Gruppen oder einzeln, mit oder ohne Partner, ruhend oder in Aktion, doch die Leser, dieser farblich und ästhetisch nur minimal variierenden und zudem noch wenig stimulierenden Bilder überdrüssig, die bereits vor Urzeiten als billige Stereotypen im Geschäft mit der Libido galten, ließen durch ihre Gleichgültigkeit, durch Desinteresse und letztlich sogar Ekel die Auflagen und Verkaufszahlen immer weiter sinken. Auch das Aufspüren und Ausplaudern unschöner Geheimnisse, Skandale und Peinlichkeiten hatte keine positive Auswirkung auf die im Dauertief befindliche Bilanz von Soll und Haben der Zeitungen, vergebens drehte man am alten Rad der öffentlichen Tugenden, hinter dem sich die persönlichen Laster verbargen, jenes fröhliche Karussell der als Tugenden getarnten persönlichen Schwächen, dem es bis vor kurzem weder an Zuschauern noch an Kandidaten zum Mitfahren gemangelt hatte. In der Tat konnte man meinen, die Hauptstadtbevölkerung hätte mehrheitlich beschlossen, ihr Leben, ihre Vorlieben und ihren Stil zu ändern. Ihr großer Fehler, wie sich bald herausstellen wird, hatte darin bestanden, einen weißen Stimmzettel abzugeben. Sie hatten nach Sauberkeit verlangt, die sollten sie nun bekommen.

      So


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