Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen. Brigitte Krächan
Ein paar Kisten Bier. Und ein neuer Aufkleber an der Heizung, dass sie vor der kommenden Heizperiode dringend gereinigt werden muss. War eher ein nachlässiger Mensch, schätze ich“, schob Paule noch hinterher und setzte sich wieder neben Klaus Faas auf die Eckbank. Er schaute ihn durchdringend an, so wie nur Paule schauen konnte, zugleich vertrauenserweckend und drohend, und stellte seine Fragen: „Wie war Herr Tieck so als Kollege? Wie hat er sich mit den anderen Kollegen verstanden? Gab es manchmal Streit? Wie kam er mit seinen Vorgesetzen zurecht?“
Klaus Faas hatte sich wieder eine Zigarette angezündet und blickte nachdenklich auf die Glut. Dann nickte er zur geschlossenen Wohnzimmertür hin: „Sie meinen, ob er Feinde hatte, die zu so etwas fähig wären? Ich kann mich an keine Handgreiflichkeiten erinnern. Und die Sache mit der Frau ist jetzt schon zehn Jahre her. Im Betrieb war das kein Thema mehr. Auch am Donnerstag nicht. Obwohl die Hamburger Aktuelle die Geschichte zum zehnjährigen Todestag der Frau in allen Details wieder aufgewärmt hat. Doch sie haben Willi nicht namentlich genannt. Es sind auch nicht mehr viele in der Belegschaft, die davon wissen. Aber darüber reden Sie besser mit der Schwester. Sie hat sich heute fürchterlich über den Artikel aufgeregt. Kann ich jetzt gehen? “
Gemeinsam mit Klaus Faas verließen die Ermittler das Haus. Paule zeigte auf einen alten, rotbraunen Toyota: „Ist das der Wagen von Herrn Tieck?“
Klaus Faas nickte. „Ja. Aber der springt seit Wochen nicht mehr an. Er wollte ihn schon lange reparieren lassen. Aber die meiste Zeit ist der Willi ohnehin mit der S-Bahn zur Arbeit gefahren.“
„Dein Neuer?“
Paule stand neben dem schneeweißen Citroën DS 3. Ulli nickte stolz. Ein kleineres, stadttaugliches Auto kaufen, wenigstens diesen Teil ihrer To-do-Liste hatte sie erledigt.
„Auf zur Probefahrt“, Paule öffnete die Beifahrertür. „Die Kollegen können den Polo mit zum Präsidium bringen.“
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„Mir war der alte Mercedes deines ehrenwerten Herrn Vater lieber“, nörgelte Paule, als er sich umständlich vom Beifahrersitz des kleinen Citroën schob. „Ich dachte schon, ich müsste die Kollegen von der Feuerwehr bitten, mich aus dem Fahrzeug zu schneiden.“
Auf dem Weg zum Präsidium hatten Paule und Ulli beschlossen, zuerst ihr Ermittlungsteam zu einer Besprechung ins Präsidium zu bitten und anschließend die Schwester des Toten zu befragen.
Emma Franke, Sekretärin und gute Seele des Kommissariats, begrüßte die beiden als erste. Selbst für einen Sonntag war es ungewöhnlich ruhig im Polizeipräsidium.
„Dirk und Kai sind schon oben. Kleines Besprechungszimmer. Ich mache nur noch schnell Kaffee. Dirk hat Kuchen mitgebracht. Seine Frau feiert heute Geburtstag. Jana und Oskar sind mit dem Toten beschäftigt. Oskar denkt, dass er heute Abend so weit ist. Er lädt euch herzlich zur Leichenöffnung ein. Zwanzig Uhr in der Uniklinik. Polizeipräsident Dr. Seidel habe ich auf die Mailbox gesprochen. Soweit ich weiß, ist er übers Wochenende zum Golfen gefahren.“
Als Ulli und Paule das Besprechungszimmer betraten, verteilte Dirk Wälder gerade den Geburtstagskuchen. Paule sicherte sich einen Teller und langte herzhaft zu. Ulli informierte die Kollegen, was sie bisher im Todesfall Wilhelm Tieck in Erfahrung gebracht hatten.
„Raubmord können wir wohl ausschließen. Es sah eher wie eine Hinrichtung aus. Aber da möchte ich Oskar nicht vorgreifen. Ein zweiter Stuhl, der vor dem Toten stand, lässt außerdem vermuten, dass sich der Täter längere Zeit mit dem Opfer unterhalten hat. Über was? Der Zeuge Faas, ein Arbeitskollege, hat mehrmals den Mord an einer jungen Frau vor zehn Jahren erwähnt. Wir müssen herausfinden, was dieser Fall mit dem Opfer zu tun hat.“
Paule spülte den letzten Bissen Kuchen mit einem Schluck Kaffee hinunter. „Ich erinnere mich an den Fall. Aber ich war damals noch bei der Sitte und hatte nicht direkt damit zu tun. Eine junge Frau wurde vergewaltigt und ermordet. Die Ermittler hatten schnell einen Verdächtigen. Es kam zur Verhandlung und der mutmaßliche Täter wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Kollegen waren ziemlich angefressen von dem Urteil. Sie waren überzeugt, dass sie den Richtigen hatten. Walter hat in dem Fall ermittelt. Mit ihm sollten wir gleich am Montag reden. Die Tote wurde damals am Ziegelteich gefunden, das ist keine fünf Minuten vom Haus unseres Opfers entfernt.“
„Wir werden uns nachher mit der Schwester des Toten unterhalten“, informierte Ulli die Anwesenden und wandte sich an Dirk. „Klaus Faas hat außerdem einen Artikel in der Hamburger Aktuellen erwähnt, der letzten Donnerstag zum zehnten Jahrestag der Ermordung der Frau erschienen ist. Kannst du den Artikel besorgen und überprüfen, ob es irgendwelche Reaktionen dazu in den sozialen Medien gab? Und lass dir von Jana Tiecks Handy geben, wenn die Spurensicherung damit fertig ist. Wir müssen mehr über den Bekanntenkreis des Toten erfahren. Sein Arbeitskollege konnte uns dabei nicht weiterhelfen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Ulli dem jungen Kai Klose zu.
„Sobald wir von Oskar den genauen Todeszeitpunkt haben, fährst du in die Torstraße und befragst die Nachbarn. Bis dahin könntest du die Pizzerien in der Umgebung abtelefonieren und fragen, ob sich jemand erinnern kann, zwischen Donnerstagnachmittag und Samstag eine Pizza in die Torstraße geliefert zu haben.“
An Emma gerichtet, fuhr Ulli fort: „Versuche bitte, Walter zu erreichen. Falls er heute noch Zeit für uns hat, könntet ihr die Akten im alten Mordfall durcharbeiten. Vielleicht ergeben sich daraus irgendwelche Verdächtige.“
„Glaubst du wirklich, der Mord hat mit dem alten Fall zu tun?“, warf Dirk zweifelnd ein.
Ulli zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Aber solange wir keine andere Spur haben, ist das besser als nichts.“
„Vielleicht ist bei unserem Mörder durch den Bericht zum zehnten Todestag der Frau die alte Geschichte wieder hochgekommen“, gab Emma zu bedenken.
Ulli nickte. „Wir sollten überprüfen, wer damals vom Tod der jungen Frau besonders betroffen war. Eltern, Geschwister, Freunde. Der gewaltsame Tod eines geliebten Menschen ist auch nach zehn Jahren noch ein starkes Motiv für einen Mord.“
„Wenn unser Mord tatsächlich am Todestag der Frau begangen wurde, wäre das ein auffälliger Zufall“, ergänzte Paule. „Vielleicht gab es Drohungen, vielleicht weiß die Schwester etwas.“
Ulli stand auf: „Dann sollten wir jetzt mit der Schwester beginnen.“
***
Als Ulli den Citroën im Schatten einer Eiche vor dem Einfamilienhaus mit der Nummer 129 in der Großen Bahnstraße parkte, waren kaum dreißig Minuten vergangen. Am Sonntagnachmittag war wenig Verkehr in der Stadt.
„Sieht aus wie eine Kopie des Hauses von Tieck“, Paule deutete auf das kleine Einfamilienhaus. Ulli nickte. Die Häuser hatten offensichtlich den gleichen Grundriss. Aber durch den hellblauen Anstrich wirkte dieses Haus freundlicher. Ein niedriger Zaun trennte den Vorgarten von der Straße. Die Blumenrabatten folgten strengen, geometrischen Mustern. Stiefmütterchen, fleißige Lieschen und Nelken waren farblich aufeinander abgestimmt, der Boden dazwischen sorgfältig gejätet und gehackt. Paule betrachtete die Beete: „Wie ein Familiengrab auf dem Friedhof. Da traut sich keiner, aus der Reihe zu tanzen.“
Er öffnete die kleine Pforte, und die beiden betraten den rechteckigen, gepflasterten Hof, der zur Garage und zur Haustür führte. Ein imposanter Türkranz hieß die Besucher willkommen. Noch ehe Paule den Klingelknopf drücken konnte, wurde die Haustür von innen geöffnet.
„Ich habe Sie von der Küche aus gesehen“, begrüßte Frau Burger die beiden Ermittler.
„Ich habe mir schon gedacht, dass Sie heute noch vorbeikommen. Kommen Sie herein. Wenn Sie eben noch …“, der Blick der Frau streifte kurz die Schuhe der Kommissare, dann schüttelte sie den Kopf, „…ist ja trockenes Wetter. Kommen Sie einfach mit ins hintere Zimmer. Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Oder ist es dafür schon zu spät? Lieber ein Wasser? Ich hätte noch selbstgebackenen Obstkuchen, der Willi wollte eigentlich ….“
Frau Burger schluckte und zuckte dann mit den Schultern.