ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer. Klaus Schafmeister
Schweinetreiber, die sich vor drei Jahrzehnten Verdienste zugunsten der herrschenden Plutokratie erworben hatten und nun unter El Sprizz zum neuen Adel zählen. Neben den Charakteren der Hausherrschaften hat auch das blaublütige Mauerwerk gelitten an den Jahren, doch das Gebäu besitzt selbst heute noch in seinem zerschrammten Habitus jene traurige Anmut, die geschändeten transsylvanischen Prinzessinnen zu eigen ist. Die unfreiwilligen Gäste im Stallannex würden sofort dahin umziehen mögen.
Das Herrenhaus zeigt jedoch nur vorn heraus Reste ehrwürdiger Vergangenheit. Rückwärtig kleben am Bauwerk zwei unverschämte Auswüchse aus Palisaden und Bretterverschalungen, eine davon mit gewaltigem Doppeltor, hinter dem es metertief abfällt ins gefräßige Kaktus-Bunkermaul, der Vorratshaltung für die Ziegenherden; daneben der Verschlag des obligatorischen Gasverdichters. In die zweite Schwellung kommst du durch ein massives Eisentor und dahinter treppab ins Kellergewölbe. Vor diese Pforte nagelte man einen hölzernen Aufgang mit Fußrosten und Flechtmatten, dass die ein- und ausverkehrenden Domestiken - jetzt auch die Regulares - nicht den Scheißstaub (winters: Scheißschlamm) in den Scheißkeller trampeln mit ihren Scheißstiefeln.
Über diesen Aufgang, hinein ins Gebäude und die Stiege hinab ins Gewölbe wird der Legionär geführt in einen beleuchteten Gang, der sich hinten in Dunkelheit verliert. Rechts und links münden düstere Koben - kein Vergleich mit Hanns Strengs Arbeitszimmer darüber, wo dieser gerade letzte Hand an sich legt. Ein Verschlag steht dem Palisander offen Hier rein und warten! Ein aufmunternder Stoß, die Pforte kracht ins Schloss, genagelte Stiefel entfernen sich. Der Legionär bewegt sich Minuten lang nicht von der Stelle, bemerkt oben in der Decke ein vergittertes Luftloch, in das ein Wasserspeier herabschielt vom Dachrand, ein scheußlicher Drachenwurm, der aber zu Tode erschrickt, als er Palisanders Augenblick begegnet. Die Zelle schwach befunzelt, nachlässig gekälkt, quadratisch drei auf drei Meter, die Möblierung rudimentär: ein Bettgestell, das weder Matratze noch Laken, sondern nur einen Maschengitterrahmen bietet, dazu ein einfacher Holzstuhl, Holztisch - die Noblesse hält sich in Grenzen. Der Legionär setzt sich auf den knarrenden Stuhl, sicher hatte der schon Hübscheres ertragen. Oben verschwimmt der Drache im Dämmerlicht, unten tut es ihm Palisander gleich.
Vom gasbeleuchteten Hauptportal fällt der Putz. Das Dach weist Löcher auf mit provisorisch dichtenden Blechstreifen. Die Glasgalerien rechts und links hält man wegen der gelegentlich herumlungernden Partisanentrupps vernagelt. Doch heute Abend geben sich hier GOTT und die Welt die Ehre, und Gute und Schöne, Honorige und Gerissene haben sich im Empfangssaal versammelt.
In der kerzenerhellten Bibliothek nebenan befinden sich Punkt Fünfvoracht nur wenige Erlesene, Teniente diStronzo ist einer davon. Er scheint noch ein wenig melancholisiert von seiner tragischen Leidenschaft für funktionierende Rüden, ist aber auf gutem Wege, den Frust vom Nachmittag zu verwinden; überlegt, ob man sich einen neuen Gefährten anschaffen sollte, einen Schäferhund vielleicht, und ob man ihn Blondie nennen darf.
Für den HERRN ist stellvertretend anwesend Don Filizio Bonsacco, vor Zeiten Prediger und Wohltäter der Armen; im weiteren Kriegsverlauf und nach strengtönender Gehirnwäsche mit EL SUPREMOs Wunderhorn ist ihm dies dumme Mitleid abhanden-, dafür das Saufen und das Bohnenkraut-Rauchen eingekommen. Wobei ihm zu Gute gehalten werden soll, dass die edleren Funken seiner gewesenen Persönlichkeit ab und an nochmal aufglimmen, nur werden diese regelmäßig überwölkt von exzessiv genossenem Bohnenqualm im Kampfverband mit dem Pirazzo, welche den Priester handzahm, weil meistens komatös machen.
Der weibliche Part der örtlichen Prominenz wird ausgefüllt durch die mit allerlei Edelmetall an der üppigen Heldinnenbrust abgetanen Comandantina der hiesigen Bürgerwehr; die gesetzte Amazone darf die aus örtlichen Halsabschneidern und Wegelagerern zusammensetzte Bewachungstruppe des internierten Schmarotzentums befehligen. Dona Porfiria Pufago ist ein schroffes Mannweib und die Schwester des Estancieros, dazu ausgemachte Hunnenfreundin, und wenn sie spricht, was oft vorkommt, redet sie fast ausschließlich in Stammtischkompatiblen hunnischen Worthülsen und Sinnsprüchen, das findet sie janz witzisch! Nach ihrer alsbaldigen Demobilisierung wird sie trotz aller Vorbehalte ins wilde ELDORADO übersiedeln, um ihren Hunnen nahe zu sein; wird sich am Rande proPatrias niederlassen und nach morgendlichem Stechschritt in die anliegenden Wirtschaften ihre kleine Pension verzehren. Teilen muss sie mit niemandem, einen Gatten hat es nie gegeben, die Comandantina ist sich selbst Manns genug und lebt offen ihren Hang zum weiblichen Personal.
Selbstredend darf auch der offizielle Hausherr nicht vergessen werden: der greise Estanciero und Comandantinenbruder Don Andalucio Pufago, von Gesichtsausdruck und Minenspiel einer trockenen Bohnenschote nicht unähnlich und, nebenbei gesagt, verschuldet bis über beide Ohren.
Die vier Geladenen treten von einem Bein aufs andere, haben den Champagner, den die schwarzgewandete Bedienung gerade anreichte, kelchmäßig aufgenommen. Teniente und Comandantina dörren schon eine Weile im Stillgestanden, denn als wichtiger militärischer Funktionsträger wird man bzw. frau mit einer Reitpeitsche statt eines Rückgrates und einem Stundenglas anstatt eines Herzens geboren (die Comandantina zackig: Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit!); außerdem vergrätzt niemand mutwillig den Gastgeber durch schnödes Zuspätgekomme, besonders nicht, wenn er mit Vornamen Herr und mit Zunamen Sonderagent Streng heißt und ein hohes Tier ist bei proPatria und somit auch bei EL SUPREMO.
Der Priester ist zwischenzeitlich halstrocken auf einen Stuhl gesunken, doch auch ihn reißt es auf, als das Schreibtischührchen (zwei Minuten zu früh) die Stunde schlägt und der Gastgeber und derzeitige Estancia-Hauptmieter, der smarte Herr Streng, durch eine Tapetentür hereinfedert und an den Tisch tritt, wo er ebenfalls zum perlenden Glase greift. Im Gegensatz zu den anderen Anwesenden bedeutet der Gastgeber mit seinem leuchtenden Teint und dem sinnlichen Mund wahrlich eine Lichtgestalt.
Das nunmehrige Quintett führt also aufs vorlaute Uhrenkommando die Gläser an die Lippen, gießt den Schampus abrupt hinunter mit militärisch entschlossenem Zug, Dona Porfiria mit weiterer hunnischer Lebensweisheit wie nich lang schnacken, Kopp in’n Nacken! Streng weiß, was sich gehört, winkt der Serviererin, lässt nachgießen. „Wohlsein!“ - „Saluto!“ – „Prosit!“ - „Echante’“ und auch „GOTT will es!“; wieder fünfmal zugleich geschossen. Weiteres ertönt nicht … es hätte ohne Zweifel gepasst, aber ein HEIL! lässt man doch stecken.
Streng geht zum Portal, sieht durch den Türspion: nebenan ist der Spiegelsaal von bunt Uniformierten kerzenhell verzaubert worden; weils muffig riecht, haben die Muschkoten die äußeren Vernagelungen entfernt, die Flügel geöffnet fürs frische Abendlüftchen - Cimarronesballons? Stoßtrupps? Pah! Gepfiffen auf die Mistböcke! Der schwarzweißrote Radkreisstander der ProPatria und die gelb-zinnober'sche LaPelargonia an der Stirnwand des Sälchens werden wach und regen sich im Hauch. Leise dringen gelegentliche Schreie herüber aus den Scheunen, was hier jedoch niemand übermäßig stört.
Nach dem Ausguss kommen die Pokale aufs Tablett, welches vorgenanntes Servierfrollein Darota, eine wohlgebaute polnischstämmige Maid (Dona Porfiria: Polenmädchen = heiße Mädchen!) still und stumm hinter den Lederchaiselongues bereit hält zum gefälligen Behältnisabwurf. Die Offizialen schreiten jetzt knarrend in Richtung vorgenannter Saaltür, als beschürzte Nachhut Darota hinter sich, welche hinten herum auch wieder in die Gedanken Dona Porfirias schleicht die stramme Hafermastgans! Ob Darota etwas hält von solchen Offerten, egal, ob von Herren oder Herrinnen, ist fraglich … warte ab, Porfiria! Vielleicht ist Polen doch noch nicht verloren!
Kaliber 12 - Sonne über LaCita
Drei Jahre nach Baubeginn im Sommer 1871 war die Isla durch die Bahntrasse von Nombredelrio über La-Cita hin zum Seehafen Vayacondios quasi halbiert und die Guano-Transporte nicht mehr nur wie in den ersten Jahren des beginnenden Guano-Booms auf langsame Eselskarawanen angewiesen oder auf schwankende Frachtboote auf dem mit Sandbänken durchsetzten Rio Zinnober. Endlich konnte der Guano großvolumig und kontinuierlich mit gasbefeuerten Zügen nach Vayacondios gebracht und von dort mit schnellen Guano-Clippern in die Welt geschippert werden.
Das große Geld haben jedoch nur wenige verdient. Von den 1.000 Abenteurern aus aller Welt, die LaPelargo mit süßen Gewinnversprechungen ins Land gelockt hatte,