ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer. Klaus Schafmeister
dass Miss Darlings Asche unter der Erde war – ihre Begräbnisstätte ziert ein menschengroßer, griechisch anmutender Frauentorso aus kunstvoll geschmiegtem Kupferblech, den damals Doras Vertrauter und Leibwächter, der Große Ashanti, hünenhafter Kämpfer und Künstler aus dem finsteren Herzen Afrikas, angeblich über Nacht gedengelt hatte - setzte ein emsiges Rechnen, Spitzen und Wühlen ein nach ihren finanziellen Hinterlassenschaften. Es musste eine gewaltige Summe sein, welche die kinderlose Dora trotz ihres großen soziales Engagements und ihrer baulichen Prachtveranstaltungen in den Jahren erwirtschaftet und beiseite gebracht hatte, doch fand sich kein einziger Peso.
So kam bald das Gerücht auf vom Schatz der DORA DOLLAR: ein Hort, unermesslich groß und versteckt in LaCita, in Pelargonien oder im restlichen Universum; bereit, den glücklichen Finder und seine Nachkommen für alle Zeiten zu reichen Menschenkindern zu machen. Aber so viel und oft die Insel und besonders LaCita ELDORADO in den folgenden Jahren auch durchschnüffelt und umgegraben wurde: keine Spur fand sich von Doras Schätzen - was der allgemeinen Gier keinen Abbruch tat, im Gegenteil: in den Legenden wuchs die Hinterlassenschaft zu astronomischer Größe. Selbst Präsidentin Pelargo beschäftigte eine professionelle Suchtruppe aus Kartenlegern, Rutengängern, Priestern und anderen finsteren Elementen, aber auch die pendelnden Astrologen und kreuzschlagenden Schwarzröcke versagten kläglich - der Schatz blieb nebulös, doch zementiert in Herzen und Hirnen.
Nicht erst nach 40 Jahren, sondern schon um die Jahrhundertwende war der Krater des Comeddo Zentral nahezu ausgeräumt - pünktlich zum Zeitpunkt, an dem die Herren Haber und Bosch im fernen Europa die Kunstdünger-Herstellung fabrikationsreif hatten und die Guano-Preise in den Keller (besser: Abtritt) stürzten. Der Run war so schnell vorbei wie er begonnen hatte; diejenigen Digger, die ihn überstanden, verzogen sich nach Klondike und Nome im amerikanischen Norden und strichen Pelargonien fluchend aus ihren Erinnerungen.
La Pelargo, mittlerweile 67 Jahre alt, saß lustlos im heruntergekommenen ELDORADO, das nie ihre Stadt hatte sein mögen. Als einzige Kitzel blieben ihr die abstruse Schatzsuche nebst Sichtung ihrer Bankkonten, deren Inhalt Sohn Episcopao jedoch schon mit vollen Händen wieder hinaus warf.
Undankbarkeit und Dummheit des Nachwuchses war auch das Thema, dass Mahagonia in gelegentlicher Korrespondenz mit ihrer prominenten Brieffreundin, der britischen Queen Victoria - die sich ebenfalls als geschlagen mit einem Stall schwachsinniger Brut! bezeichnete - bis zum Ableben der Englischen im Jahr 1901 bitterlich mit Tinte beweinte. Die beiden hatten sich zufällig kennengelernt, als Mahagonia im Frühjahr 1887 als hochherrschaftliche Touristin ihre alte Heimat Mallorca besuchte, wo sie im königlichen Almudaina-Palast auf Her Royal Highness traf, die heimlich in Palma weilte, um eingedenk ihres kommenden goldenen Thronjubiläums eine lipide Schrumpfkur zu absolvieren. Die Staatenlenkerinnen waren sich gleich sympathisch und in ihrer Abneigung gegen dumme Blagen - und Prostituierte - hochwohlgeboren einig.
Dann kam der Tag, an dem Mahagonia Tiberia Pelargo aller sonstiger Korrespondenz, Schatzsuche und hauptstädtischer Repräsentationsgebaren überdrüssig wurde. Sie besann sich nicht zuletzt auch wegen der zwischenzeitlich in und um ELDORADO herum unerträglich gewordenen Wüstenluft ihres komfortablen Zugabteils und dampfte im Herbst 1904 davon in Richtung Vayacondios. Hier hatte sie eine kleine Villa am Hafen erworben, die sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1919 nur noch selten verließ.
Professor Nimrod, Guano-Finder und Kraftwerkserbauer, ist übrigens auch nicht ganz leer ausgegangen: von den Kompanien mittellosen Prospektoren, deren Knochen einträchtig mit denen der alten Kaktusfresser in der Wüste bleichen, kennt niemand die Namen; der Wissenschaftler ist zwar ebenfalls nicht reich geworden und schon Ende der 80er an der Lungenpest verstorben, aber dafür in die Unsterblichkeit eingegangen, denn Präsidentin Pelargo geruhten gnädig, das prähistorische Federvieh mit dem phänomenalen Verdauungstrakt Praeaptenochytes Nimrodus Mega benennen zu lassen. Und das ist doch auch schon was!
Nach einigen Jahren der Totenstarre regte sich der Bienenkorb LaCita, jetzt nur noch ELDORADO genannt, von Neuem. Er begann erst unmerklich, dann immer hastiger auseinander zu quellen. In jeder Nacht wandelte er sich in einen neuen Aggregatszustand – woran finstere Mächte wohl genauso schuld waren wie die Sage von DORA DOLLAR und ihrem gigantischen Nachlass. Stockwerke, die morgens von Maurern und Mineuren auf Gralssuche in Schutt und Asche gelegt wurden, waren schon mittags neu ausgebläht; unter der allabendlich sterbenden Sonne vaporisierten sich Zimmerfluchten und Lagerhallen und verrieselten in dunkle Schächte, um am nächsten Morgen an anderer Stelle unter den Pranken roher Baumeister wieder aus der Kubatur zu brechen. Der gesamte Stadtkörper vibrierte und wand sich in metamorphen Wehen, und schon fünf Jahre nach dem Auszug der Präsidentin krallte sich eine gewaltige schillernde Geschwulst an die Südseite des Vulkans: ein Hornissennest aus Gestacheltem und Geflirrtem, das man besser nicht reizte. Über Dora, Mahagonia, den Guano-Run und alles, was sonst noch so vorgegangen war am Comeddo Zentral, senkten Zeit und LaRotonda vorsorgliche Schleier aus Vergessen, Verklärung und Vogeldreck.
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