5 lange und 7 kurze Krimis. A. F. Morland
Reporterin Helen Teflin wurde von zwei Amtsärzten für verrückt erklärt und in die staatliche Anstalt für Geisteskranke eingewiesen. Proteste halfen nichts. Auch der Anstaltsleiter Dr. Hamilton behauptete, die Frau sei geistesgestört und müsse sogar in der geschlossenen Abteilung „verwahrt“ werden. Wie wir erfuhren, hat sich die Journalistin, die bisher mehrere Geschichten aufgeklärt hat, die das Tageslicht scheuen, mit einer Sache befasst, die sich um den Tod des mexikanischen Arbeiters Zamrico dreht, der von einer Blechpresse erschlagen wurde. Wie es heißt, sollen an diesem Fabrikat der Presse schwere Konstruktionsmängel nachzuweisen sein. Henry Wallace, der Vorgesetzte von Helen Teflin, behauptet, man habe seine junge Kollegin mundtot machen wollen. Die Einweisung in eine Heilanstalt gleiche einem Begräbnis. Er aber werde Mittel und Wege finden, sie dort herauszuholen ...
1
Es begann an Charlys Arbeitsplatz und endete dicht vor der Hölle. Aber für Charly, den olivfarbenen Einwanderer aus Mexiko, waren es nur noch ein paar Sekunden, die er an allem teilnahm. Und er ahnte nichts.
Niemand in der Fabrikhalle ahnte etwas. Sie schoben mattsilbern blinkende Bleche unter die riesigen Pressen, zweiundzwanzig Stück in fünf Minuten war der genormte Akkord. Mindestleistung nannten das die REFA-Experten und -Zeitnehmer. Charly schaffte bis zu sechsundzwanzig. Aber damit war er auch nicht über einen gebrauchten Chevrolet, eine gemietete Bruchbude in Oaks und einen auf Raten laufenden Farbfernseher hinausgekommen. Schulden hatte er nach wie vor mehr, als er verkraften konnte.
Charly fühlte sich, gegen seinen früheren „Wohlstand“ in Mexiko, hier als Fürst. Und Charly schuftete wie besessen. Vor ihm die fast haushohe Deburo Presse, die aus einem glatten Stück Blech zweiundzwanzig bis sechsundzwanzig mal alle fünf Minuten eine Motorhaube für den Harrison-Traktor machte. Ein Zischen, ein sanftes Fauchen, fertig. Dreißig Tonnen Gewicht standen darüber, Bleche von einem Millimeter und mehr formten sich in der Presse wie Nudelteig.
Rechts von Charly gab es eine ganze Straße solcher Pressen, die vollautomatisch arbeiteten und bis zu neunhundert verarbeitete Bleche pro Stunde ausstießen. Charly aber hatte nun vier Monate an dieser Einzelpresse gearbeitet, in die bestimmte Stückteile von Hand eingelegt werden mussten. Ein von ihm beim Vorbeugen durchbrochener Lichtstrahl sorgte dafür und sollte dafür sorgen, dass die Presse sich nicht senken konnte, wenn der Arbeiter gerade unter ihr mit Kopf und Oberkörper war, um das Blech einzurichten. Vier Monate lang hatte das so geklappt. Tausende und Abertausende von Malen. Und es würde noch genau drei Sekunden lang so sein.
Das Blech flog auf der anderen Seite auf dem Schlitten weg, die Presse ging zischend hoch, Charly schob das flache, ungeprägte Blech vor, rechts in die Passer, links in die Passer und ...
Da geschah es! Obgleich der Lichtstrahl unterbrochen und die Presse davon gestoppt sein musste, klickte es oben, wie es immer der Fall war, bevor sie sich senkte.
Aber der Lärm in der Halle überdeckte dieses Geräusch, und Charly hörte es nicht. Er hatte bloß plötzlich das Gefühl, etwas könnte nicht in Ordnung sein. Er hielt inne, wandte sich um, aber da war es schon zu spät. Es kam viel zu schnell, und er konnte nichts dagegen tun. Und er spürte kaum noch etwas.
Als sich die Presse wieder gehoben hatte und sie ihn fanden, war das, was von ihm übrig war, grauenhaft anzusehen. Der Vorarbeiter Higgins bekam einen Nervenschock. Der hinzugeeilte Ingenieur Kurtz musste sich übergeben und war nicht mehr imstande, seinen Dienst fortzusetzen.
Die beiden Werkssanitäter, die später geholt wurden, konnten ebensowenig helfen wie Dr. Fitzsimmons, der Betriebsarzt.
Drei Stunden später, als Männer des Werkschutzes den Toten bereits in den Zinksarg gebracht hatten und die Pressen der Automatic-Straße längst wieder arbeiteten, erschien Inspektor Wyan von der Polizei, brachte zwei weitere Beamte mit und klebte nach kurzer Untersuchung und Zeugenbefragung das Dienstsiegel an die Presse, womit sie als behördlich stillgelegt galt. Anschließend aufgeregte Debatte im Büro des Chefingenieurs, dann beim Betriebsleiter und schließlich die Verkündung des Untersuchungsresultates durch Inspektor Wyan: „Meine Herren, ich habe von einem anderen und ähnlichen Fall bei Dodge gehört. Ich verständige den staatlichen Untersuchungsausschuss und erkläre die Presse bis zum Abschluss und zur Entscheidung des Ausschusses als stillgelegt.“
„Aber das kostet uns täglich Tausende von Dollars. Diese Maschine gibt es hier nur einmal, Inspektor“, protestierte Betriebsleiter Seeger.
„Keine Debatte, Sir“, sagte Wyan. „Der Untersuchungsausschuss wird entscheiden. Bis dahin gilt meine Anweisung. Sollten Sie die Presse dennoch in Betrieb setzen, kennen Sie ja die Folgen. Unter zwei Jahren Gefängnis kommen Sie oder derjenige, der das verantwortet, nicht weg. Guten Tag, meine Herren!“
2
Oaks war keine Großstadt mit seinen siebzigtausend Einwohnern, aber groß genug, um hier das Büro der „Time“ einzurichten. Es war allerdings nur ein „Ein-Mann-Betrieb“ oder, noch besser gesagt: Ein Ein-Frau-Betrieb, in dem Miss Helen Teflin nicht nur die Artikel und Meldungen schrieb, sondern sie auch durch den Fernschreiber an die Zentrale meldete, die Korrespondenz führte, als lokale Reporterin fungierte und sich hier in der Provinz die Sporen verdienen sollte.
Helen Teflin hatte dafür zwei wesentliche Voraussetzungen mitgebracht, dazu sogar noch eine dritte, die allerdings nicht in den Personalpapieren vermerkt war, trotzdem mitunter eine ziemlich große Rolle spielte, Voraussetzung eins: sie war sehr intelligent und gut gebildet. Voraussetzung zwei: sie war eine passionierte Journalistin und hatte bei der New York Times volontiert, dazu noch unter Michel de Coboulier, einem der aggressivsten Journalisten im politischen Fach, Spezialgebiet Innenpolitik und Rechtsfragen. Auch Helen hatte Jura studiert. Die dritte, nicht vermerkte Voraussetzung war: Helen war hübsch, und das war sie von solcher Ausstrahlung, dass der bullbeißige Inspektor Wyan, dem sie gerade gegenübersaß, wie Schnee in der Sonne schmolz, als sie ihn nur scharf ansah. Scharf ansehen, das war vielleicht der falsche Begriff. Sie machte Augen, die wie ein Versprechen wirkten, auf den, der sie ansah. Und Wyan sah sehr genau hin.
„Also, Inspektor, wie war das denn nun?“, fragte sie, und dabei lächelte sie. „Hat er nun einen Fehler in der Bedienung gemacht oder liegt es an der Maschine? Dass Sie die Maschine stillgelegt haben und die Betriebsleitung dagegen eine einstweilige Verfügung beim Gericht beantragt hat, beweist mir eigentlich, dass es kein menschliches Versagen gewesen sein kann. Oder irre ich mich?“
Wyan, den so viel Schönheit ein wenig verwirrt hat, meinte spontan: „Stimmt.“ Er lächelte entschuldigend und fügte ergänzend hinzu: „Ich meine, es stimmt, dass menschliches Versagen auszuschließen ist. Weil…“ Er sah sie forschend an und fragte: „Kennen Sie die technischen Zusammenhänge?“
Er unterschätzte Helen Teflin bei weitem. Dieses sechsundzwanzigjährige blonde Wesen war nicht nur wegen des Zahltages Journalistin geworden. An ihr hätte ein Staatsanwalt — oder ein Kriminalbeamter — einiges absehen können. Wyan zwar nicht, der war selbst sehr gründlich. Und darum ging es. Helen Teflin hatte sich indessen mit diesen Pressen und wie sie funktionierten so befasst, dass sie in der Lage gewesen wäre, mit sachverständigen Ingenieuren darüber zu diskutieren.
„Ich weiß Bescheid“, sagte sie. „Die Presse fährt hoch, der hydraulische Doppelkeil blockiert sie, die Druckhydraulik der Kolben wird durch das Ventil abgeleitet, und alles geschieht, solange der Lichtstrahl, der auf die Photozelle fällt und sonst quer über die Zugangsfläche zum Pressenboden fällt, unterbrochen wird. Der Arbeiter, der da umgekommen ist, hat sich vorgebeugt, wie die Zeugen sagen, damit den Lichtstrahl unterbrochen.“
„Ja, aber nun sagt die Betriebsleitung“, erklärte Wyan, „dass dieser Charly, wie sie den Mexikaner Zamrico genannt haben, die Blockierung ausgeschaltet haben könnte. Nach unseren Feststellungen war das nicht der Fall, aber bei diesem Maschinentyp ist das immerhin möglich, obgleich es unzulässig ist, diese Sache überhaupt einzubauen.“
„Was geschieht dann?“
„Ist das Ventil, das den Ölstrom ableitet, so geschaltet, dass es geschlossen