Seine schönsten Erzählungen und Biografien. Stefan Zweig
nicht die schönste dieser Kirchen ist die Kathedrale, die sich an das alte Kolleg der Jesuiten lehnt, die Kirche der großen Erinnerungen, unter deren Fliesen Mem de Sá, der erste Gouverneur, begraben liegt, und von deren Kanzeln Padre António Vieira gepredigt. Sie ist die erste Brasiliens und wohl auch Südamerikas, deren Eingang mit echtem Marmor bedeckt ist; dieselben Schiffe, die Zucker aus Bahia frachteten, brachten auf der Rückreise den kostbaren Stein zurück. Denn nichts war diesen Männern des Glaubens zu kostbar für ihre Kirchen. Eng und düster, nieder und schmutzig starrten die Straßen, neun Zehntel der dunklen Bevölkerung hauste in Hütten und Mocambos. Aber die Kirche in diesem fernen Land, das keinen Luxus kannte, sollte alle Pracht haben; so brachte man die blauen Terrakotten, die azulejos, um die Wände zu schmücken, das Gold aus Minas Gerais hüllte das dunkle Holz in blendendes Licht. Und dann kam der Wettstreit der Orden. Hatten die Jesuiten eine weiträumige, pompöse Kirche, so wollten die Franziskaner eine noch schönere haben. Tatsächlich ist São Francisco noch reiner, weil schlichter in den Proportionen; welcher Zauber in seinen Klostergängen: die Wände mit Azulejos leuchtend, die Räume mit kostbarem Schnitzwerk aus Jacarandá geschmückt, die Decken getäfelt und in jeder Einzelheit das Walten eines besonnenen kultivierten Geschmacks! Aber auch die Karmeliter wollten ihre Kirche nicht minder schön und die Benediktiner, und dann kamen die Neger und wollten die ihre mit einer dunklen Madonna und dem Heiligen ihrer Farbe; so sind Kirchen und Klöster heute überall, kaum kann man eine größere Straße durchwandern, ohne auf eine zu stoßen, die nicht ihren antiquarischen Reiz hätte. Für jeden Gläubigen, der seine Andacht verrichten wollte, war in der einstigen Kolonie Raum zu jeder Stunde des Tags. Heute sind es dank jenes frommen Wettstreits sogar zuviel der Kirchen, um sie jemals gänzlich zu füllen und man brauchte Tage und Tage, um jede einzelne in all ihren Eigenheiten und Einzelheiten zu bewundern.
Diese Fülle der Kirchen (sie sind in den neueren Städten Brasiliens eher selten im Vergleich zu Europa) überraschte mich. Und ich fragte den freundlichen Geistlichen, der mich begleitete, ob Bahia noch immer wie einst die Stadt der Frömmigkeit sei. Er lächelte leise und sagte: »Ja, die Leute sind hier fromm. Aber sie sind es auf ihre Art.« Ich verstand zuerst nicht, was dies leise begleitende Lächeln meinte; es war nicht absprechend, nicht kritisch. Es deutete nur auf eine besondere Art der Frömmigkeit hin, die nicht ganz mit unserem Begriffe verbindbar ist, und die ich erst in den nächsten Tagen erkannte. Bahia ist von allen großen Städten Brasiliens die dunkelste; wie alles der Vergangenheit hat sie sich auch ihre alte Negerbevölkerung bewahrt und ist noch nicht in dem Maße wie die andern durch europäischen Zustrom aufgefärbt worden. Und die Neger sind seit Jahrhunderten die treuesten, die eifrigsten, die leidenschaftlichsten Anhänger der Kirche gewesen, nur daß die Form der Gläubigkeit auch innerlich bei ihnen einen anderen Farbton aufweist. Für diese naiveren, durch Denkarbeit nicht belasteten neugetauften Afrikaner bedeutete die Kirche nicht einen Ort der Innern Sammlung, des stillen Insichversenkens; am Katholizismus lockte sie die Pracht, das Geheimnisvolle, das Farbige, das Üppige des Ritus, und schon Anchieta berichtete vor vierhundert Jahren, daß die Musik das Beste an Bekehrung bei ihnen vollbringe. Und noch heute ist bei diesem gutmütigen, leicht in seinen Sinnen erregbaren Volk Religion mit Festlichkeit, mit Freude, mit Schauspiel unlösbar verbunden; jeder Umzug, jede Prozession, jede Messe hat für sie etwas Beglückendes. Darum ist Bahia die Stadt der religiösen Feste. Ein Feiertag ist in Bahia nicht bloß eine rotgedruckte Linie im Kalender, sondern wird unwiderstehlich zum Volksfeiertag, zum Schauspiel, und die ganze Stadt setzt ihren Eifer daran, auf irgendeine Weise mitzutun. Wie viele solcher Feste es im Jahre gibt, konnte mir niemand verläßlich sagen, wahrscheinlich weil sich das Volk aus diesem merkwürdigen Mischgefühl von wirklicher Religiosität und Schaufreude immer neue erfindet.
So gehört nicht viel besonderes Glück dazu, in Bahia ein solches Volksfest zu sehen; aber ich hatte dieses Glück und noch dazu an dem Tage, da der Feiertag des Stadtheiligen Bornum gefeiert wird. Dieser im Kalender nicht auffindbare Bomfim hat in Bahia eine eigene Kirche, die etwa anderthalb Stunden abseits der Stadt mit bezaubernder Aussicht auf einem Hügel liegt und während einer ganzen Festwoche den Mittelpunkt der verschiedensten Feierlichkeiten bildet. Rings um den weiten Platz werden die kleinen Herbergshäuser von den bürgerlichen Familien gemietet; man besucht sich dort, man plaudert, man speist im Kreise der Freunde, während das geräumige Viereck inmitten für die vielen Tausenden bestimmt ist, die von der Abendmesse bis zur Morgenmesse hier unter den weißen, milden Sternen sich zu diesem frommen Anlaß in heiterster und ungezwungenster Weise zusammenfinden. Die ganze Front der Kirche strahlt in elektrischem Licht, und im Schatten unter den Palmen bauen sich unzählige Zelte auf, Speise und Trank zu bieten, im Gras kauern vor ihren kleinen Ofchen die schwarzen Bahia-Frauen, um mit ihren tausendfältigen billigen Leckereien das Publikum zu bewirten, und hinter ihnen schlafen, in weiße Laken gewickelt, inmitten des Getriebes ihre Kinder. Karusselle schwingen, es wird promeniert, getanzt, geplaudert, musiziert; von abends bis morgens, von morgens bis abends drängt das Volk heran, um durch die Messe ebenso wie durch ihre sorglose Freude dem Stadtheiligen ihre Reverenz zu erweisen. Aber die eigentliche, die unvergeßliche Zeremonie dieser Woche ist die Kirchenwaschung, die lavagem do Senhor do Bomfim. Charakteristisch schon für Bahia, wie dieser nirgendwo anders geübte Brauch entstanden ist. Die Kirche des Bomfim war ursprünglich eine Negerkirche. Und anscheinend hatte einmal ein Priester der Gemeinde aufgetragen, es gehöre sich doch, am Tage vor dem Fest des Heiligen die Kirche gründlich zu reinigen und den Fußboden mit Wasser zu scheuern. Die schwarzen Christen nahmen den Auftrag gerne an; welch eine gute Gelegenheit für die ehrlich frommen Gemüter, dem Heiligen ihre Liebe und Ehrfurcht zu erweisen! Sie wollten sie natürlich besonders gut fegen und scheuern, jeder war an dem bestimmten Tage zur Stelle, um der Ehre teilhaftig zu sein, dem guten Vater Bomfim sein Haus schön sauber zu fegen. Mit diesem durchaus frommen Bemühen begann es. Aber gemäß ihrem kindlichen, naiven Gemüt verwandelte sich dies Reinemachen der Kirche (wie jeder religiöse Akt) zum Fest. Sie rieben und fegten um die Wette, als wollten sie ihre eigenen Sünden abwaschen, Hunderte, Tausende drängten sich von nah und fern hinzu, immer mehr von Jahr zu Jahr. Und mit einem Mal war aus dem frommen Brauch ein Volksfest geworden, ein so stürmisches, ekstatisches, daß die Geistlichkeit Anstoß daran nahm und es abstellte. Aber der Wille des Volkes nach seinem Fest hat sich das lavagem do Senhor do Bomfim wieder erzwungen; heute ist es ein Fest der ganzen Stadt und eines der eindrucksvollsten, die ich zeitlebens gesehen.
Es beginnt mit einem Festzug, der durch die halbe Stadt den fast zweistündigen Weg nach der Kirche Bomfim zu pilgern hat, denn die ganze Bevölkerung will ihn sehen. Aber es ist ein richtiger Festzug des Volkes, nicht wie in Nizza heute der Karneval ein von Geschäftsleuten zu Reklamezwecken und vom Touristenbüro subventionierter; nichts rührender als eine Primitivität. Auf dem Platz vor dem Markte versammelt sich morgens die ungeduldige Menge zum Ausmarsch: und schon stehen die Lastautos vom Markt, die kleinen Eselskarren, die mit den billigsten Mitteln festlich drapiert werden, erwartungsvoll geschart. Ach, wie rührend primitiv ist dieser Schmuck! Dem Pferd wird die Spitzendecke vom häuslichen Bett umgeworfen, dem Lastwagen mit rotem, grünem, gelbem Seidenpapier die Räder umwickelt, dem Eselchen die Hufe mit Silberfarbe manikürt, den Fäßchen für die Waschung – ganz gewöhnliche Fäßchen vom Markt – mit goldenem Anstrich ein prunkvolles Ansehen gegeben; die ganze Ausstattung des Festzuges mag zehn Dollar schlimmstenfalls kosten. Aber doch wird es farbig und imposant durch die Bahiafrauen, die in frommem Eifer die Krüge mit Blumen und die Fäßchen auf ihrem Haupt in der scharfen Sonne mit ihrer herrlichen Hoheit den ganzen langen Weg tragen. Prachtvoll sehen sie aus, diese schwarzen Königinnen, die sich zu ihrer farbigen Tracht für den festlichen Tag da noch ein Spitzentuch und dort noch eine klirrende Halskette geliehen haben, glücklich strahlend jede einzelne, mit ihrem frommen Gang zugleich dem Heiligen und der Freude des Volkes zu dienen. Auf Leiterwagen, auf ganz vorweltlichen Gespannen sitzen die jungen Burschen, die Besen stolz wie Gewehre schulternd, und unablässig übt sich eine mißtönende, ungeschulte Blechmusik; aber das alles glänzt und quirlt in dem lodernden Licht, und rückwärts blaut das Meer und zu Häupten der Himmel. Es ist ein Fanal der Farben und der Heiterkeit.
Endlich – mit der üblichen brasilianischen Verspätung setzt sich der Zug in Bewegung. Er marschiert, die Frauen in langer Reihe, mit ihren Krügen zu Häupten, voran, sehr langsam durch die Stadt, denn alles will den Zug sehen. Von den Türen, von den Fenstern winkt und jubelt es viva o Senhor do Bomfim, die alten Leute haben sich ihre paar armen Strohstühle aus den Wohnungen auf