IMMER AUSSCHLAFEN IST AUCH KEINE LÖSUNG. Axel Beyer
das Hotel allerdings dann (in ihren Augen) den Fehler hatte, auch ein „normales“ Buffet beim Essen anzubieten. Und nun raten Sie, wer das kalorienreduzierte Angebot mied und stattdessen bei den Köstlichkeiten des Landes zulangte? – Alle!
Also ich habe wirklich nichts gegen Diäten – solange ich sie nicht machen muss. Und im Alter dürfen ein paar Rundungen schon sein, da zeigt man doch, dass man gelebt hat. Und noch lebt. Wer will schon verhärmt aussehen – also ich bin KILO-meterweit weit davon entfernt. Abnehmen kann man dann in der Gruft, da kommt das von allein. Nein, für Diäten habe ich keine Zeit mehr.
Essen kann etwas so Schönes sein, wozu also soll man sich das versagen? Und wenn man uns Vorschriften machen will, was wir zu essen haben und was wir künftig sein lassen sollen, dann antworten wir ab jetzt: Wir sind alt genug! Und wir wissen, was uns schmeckt. Und niemand soll uns mehr Vorschriften machen.
Und damit haben wir verdammt recht!
EHRLICH? – NATÜRLICH!
Viele Menschen sind sicher der richtigen Meinung, dass Sie als der/die Ältere über ein hohes Maß an Lebenserfahrung verfügen – und das ist nach so vielen Jahren beruflicher Tätigkeit oder in Kenntnis so vieler unterschiedlicher Menschen sicher nicht ganz falsch. Und davon würde Manche/r gern profitieren und fragt Sie deshalb nach Ihrer Einschätzung zu bestimmten Fragen, Themen oder Problemen. Natürlich fühlen Sie sich da ein wenig geschmeichelt und sagen selbstverständlich zu, ehrlich zu antworten.
Tun Sie das nicht.
Niemals!
Wenn Sie sich für den Rest Ihres Lebens noch ein paar Freunde erhalten wollen, dann nutzen Sie Ihre Lebenserfahrung und sagen Sie das, wovon Sie wissen, dass Ihre Bekannten es eigentlich hören wollen. Man muss ja nicht lügen – nur eben „corriger la fortune“, wie Lessing es in seiner „Minna von Barnhelm“ genannt hat.
Eine Freundin von mir sagte mir neulich, dass sie sich für die dritte Lebenshälfte nur eines wünsche: in Ruhe gelassen zu werden. Da gäbe es dann ein probates Mittel: Immer schonungslos die Wahrheit sagen. Binnen kurzem fragt einen dann keiner mehr, und man hat seine Ruhe. Klingt allerdings nach Friedhofsruhe.
Nein, nein – die Wahrheit lässt sich auf so viele Arten versteckt kundtun, ohne dass man verletzen muss oder jemanden vor den Kopf stößt. Man kann natürlich eine Freundin, die einem das neue Kleid vorführt, ernsthaft fragen: „Sag mal, hatten die das nicht auch in deiner Größe?“ Aber wem hilft das? Besser sagt man also: „Hey, hätte ich mir nicht vorstellen können, aber die Farbe steht dir wirklich ganz ausgezeichnet!“
Gut, bei Schwarz gilt das nicht, da muss man dann eine andere Ausrede finden. „Tolle Herbstfarbe“ oder so. Gerade nochmal die Kurve gekriegt!
Wie ehrlich man wirklich sein darf, das kann man mit etwas Lebenserfahrung schon an der eigentlichen Fragestellung selbst erkennen. Wenn jemand sagt: „Aber sag mir bitte wirklich deine ehrliche Meinung!“ - Und man fragt zurück: „wirklich?“
Dann achte man auf die Antwort. Je mehr entrüstete verbale Ausrufezeichen das folgende „Natürlich!“ hat, umso mehr muss man sich mit Ehrlichkeit zurückhalten.
„Ehrlich währt am längsten“ – dass ich nicht lache. Für Bekanntschaften gilt das jedenfalls nicht. Machen Sie Komplimente, und Sie werden Freunde finden. Und da kann man nicht dick genug auftragen – fand jedenfalls schon Kurt Tucholsky. Wir sind nun mal für Schmeicheleien empfänglich und am allermeisten sind es diejenigen, die das am lautstärksten entrüstet zurückweisen.
Natürlich gibt es auch regionale Unterschiede. Wenn Sie beispielsweise in Hamburg auf die Frage „Wie war es?“ mit „Nett!“ antworten, dann müssen Sie sich auf eine Beleidigungsklage gefasst machen.
Und wenn in Westfalen ein Gast nach dem Essen auf die Frage, ob es geschmeckt habe, antwortet: „Kannste wieder machen!“, dann ist das die höchste Stufe des Lobes und bedeutet gleich mindestens einen Stern auf der Kochmütze.
Oder im Urlaub– fragen Sie doch mal Ihre Ex-Kollegen „Wie war‘s?“. Die Antwort lautet immer: total super. Das Hotel? Total super! Das Essen? Total super! Das Wetter? Total super! – Dabei wissen Sie ganz genau, dass es tagelang geregnet hat, schließlich haben Sie selbst anfangs voll Neid, später voll Schadenfreude täglich den Wetterbericht über die Kanaren gesehen.
Und in der Politik? Als 2015 viele Geflüchtete kamen, da sagte die Kanzlerin nicht: Ui, das wird eng! – Nein, sie sagte: Wir schaffen das! Und die Einzige die am Ende ehrlich geschafft wirkte, war sie schließlich selbst. Man kann eben nicht immer total ehrlich sein.
Aber was ist in der Partnerschaft? Zumindest gegenüber der Partnerin oder dem Partner muss man doch ehrlich sein, oder? – Sagen wir mal so – in der dritten Lebenshälfte sind Sie doch sicher nicht frisch verliebt oder jung verheiratet, oder? Also, Sie kennen doch Ihren Lebenssternchengefährten. Na also! Und dann fragen Sie noch? Ehrlich?
Wenn Ihnen Ihre Beziehung lieb ist, dann biegen Sie die Wahrheit vorsichtig so weit zurecht, dass es gerade eben noch im Bereich des Möglichen sein könnte. Sie wollen ja nicht verletzten, Sie wollen nur andeuten.
Belassen Sie es dabei. Nutzen Sie bei einer neuen Frisur nicht den alten Kalauer „Den Prozess gewinnst du!“, sondern sagen Sie lieber etwas Positives, so wie „Ach komm, nicht so schlimm, das wächst ja wieder!“ Das klingt doch viel schöner.
Es gibt nur wenige Momente in Ihrem jetzigen Leben, in denen schonungslose Ehrlichkeit angebracht ist. Gegenüber allen nervigen Zeitgenossen, wie zum Beispiel Eurowings oder der Deutschen Bahn und vor allem gegenüber unerwünschten Anrufern, die einem etwas verkaufen oder einen schlicht und einfach linken wollen. Wenn zum Beispiel demnächst wieder mal das Telefon klingelt und eine Stimme in sehr gebrochenem Deutsch sagt, sie sei von Microsoft und mit Ihrem Computer sei etwas nicht in Ordnung, dann sagen Sie laut und deutlich: “Sorry, ich bin gar nicht online und außerdem bin ich Kunde bei Apple!“
Und dann fahren Sie Ihren Windows-Rechner wieder runter! Soviel Ehrlichkeit muss sein! Natürlich.
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