Die Zuckermeister (1). Der magische Pakt. tanja Voosen

Die Zuckermeister (1). Der magische Pakt - tanja Voosen


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mal ansehen sollte? Sie blieb an der Kreuzung stehen. Geradeaus ging es Richtung Altstadt und nach Hause. Rechts von ihr reihten sich einige Häuser entlang der Waldstraße auf beiden Seiten aneinander und irgendwo hinter dem Kornfeld am Ende lag die alte Mühle. Elina spähte die Straße hinunter und spürte, wie ihre Neugier immer größer wurde. Charlie mochte alle verurteilen, aber Elina machte sich lieber ihr eigenes Bild. Also los!

      Sie ging einige Minuten, bis Nummer neunzehn hinter dem Feld auftauchte. Hier gab es sonst nur noch die weiterführende Landstraße, die sich durch den umliegenden Wald aus Belony bis zur Nachbarstadt schlängelte.

      Doch eine alte Mühle? Von wegen! So was hatte Elina noch nie gesehen!

       In der Mitte des Grundstücks thronte ein großes Haus, mit mehreren Stockwerken, das ein bisschen schief aussah. Es erinnerte Elina an eine gigantische Torte mit vielen Schichten, die verrutscht waren. Jedes Stockwerk war in einer anderen Farbe gestrichen, die Fensterläden waren alle knallrot und das Dach glich mit seinen runden grauen Schindeln dem Rücken einer Schildkröte. Links davon schloss ein kleiner Turm an das Haus an, in den man über eine Wendeltreppe gelangte, die sich um ihn herumschlängelte. Davor lag das alte Mühlenrad im Wasser eines moosbewachsenen Teiches. Rechts ging der Anbau noch weiter und in ein kleines Nebengebäude voller Zinnen über, mit einem Schornstein, der wie ein krummer Hut darauf saß.

      Und der Rest erst! Kunterbunte Steine führten quer durch den Garten. Zwischen hohen Gräsern wuchsen unzählige Blumenarten, die Elina noch nie zuvor gesehen hatte – Blüten mit seltsamen Tupfen oder Pflanzen mit ungewöhnlich kringeligen Blättern. Es duftete herrlich und sie bekam unheimlich Lust auf etwas Süßes. Sahen die Gewächse nicht sogar ein wenig wie Lutscher und Zimtschnecken aus?

      Neugierig trat Elina näher an den Zaun heran.

      »Ich würde an deiner Stelle lieber wegbleiben!«, krächzte jemand.

      Ertappt fuhr sie herum. Ein alter Mann, mit Hund an der Leine, hinkte mit einem Gehstock auf sie zu. Sein griesgrämiger Gesichtsausdruck gab Elina das Gefühl, Unkraut zu sein, das ihm lästig war. Wieso guckte er sie so finster an?

      »Ähm … guten Tag«, sagte sie.

      »Gut!«, brummte er. »Kein Tag ist gut, solange diese absonderliche Truppe weiter in meiner Straße lebt! Weg da vom Zaun, Kindchen.«

      Elina blieb, wo sie war. »Wieso das denn?«

      »Die lungern ständig irgendwo herum und verteilen ihre Süßigkeiten, aber ich durchschaue sie! Pass auf, ehe sie dich kriegen«, sagte der alte Mann aufgebracht.

      Sie glotzte den Mann ungläubig an. »Ehe sie mich kriegen? Wovon reden Sie?«

      Er machte eine kreisende Handbewegung neben seinem Kopf, als wolle er andeuten, dass die Zuckerhuts nicht mehr alle Tassen im Schrank hatten. »Die stellen komische Dinge mit den Leuten an. Meine Nachbarin Frau Kloß ist nicht mehr dieselbe, nachdem diese zwei Zuckerhut-Mädchen mit irgendwelchen Keksen bei ihr waren!«

      »Wie meinen Sie das?«, hakte Elina skeptisch nach.

      »Sie kann gar nicht mehr aufhören zu lachen, es ist wie ein Fluch!«

      »Aber man lacht doch, wenn man glücklich ist …«

      Rums! Der alte Herr ließ seinen Gehstock auf den Boden knallen. Seine Miene wurde noch finsterer.

      Elina stolperte vor Schreck rückwärts.

      »Wenn ich es doch sage! Das ist Hexenwerk!«, brauste er auf. »Die tun so nett und vergiften die Leute dann mit ihren Süßigkeiten!«

      Sie dachte an das Glücksgefühl nach Junas Karamellbonbon. Es war so schön und bestärkend gewesen … Elina hatte sogar Charlies blödem Spruch standgehalten. Wie konnte das etwas Schlechtes sein? Nein, wenn hier etwas – oder jemand – unheimlich war, dann dieser Mann, der fast schon bedrohlich näher kam. Elina ging weiter zurück, als das Gartentor unerwartet aufschwang und sie reichlich unelegant auf ihren Hintern plumpste. Autsch!

      Der alte Mann riss plötzlich die Augen weit auf und erstarrte regelrecht zur Salzsäule. Elina hatte die Schritte nicht gehört, aber jemand war aus dem Haus gekommen! Nach all dem Geflüster in der Schule über sein süßes Wuschelhaar und die eisblauen faszinierenden Augen war Elina sich sicher: Das musste Junas Bruder sein!

      Er reichte ihr eine Hand und zog sie hoch. »Alles in Ordnung?«

      »Ja, danke«, antwortete sie.

      »Herr Schnotter, wie schön, dass Sie vorbeischauen«, wandte sich Junas Bruder an den Mann. »Wollen Sie auf eine Tasse Tee hereinkommen? Wir haben auch Kekse.«

      »Und riskieren, dass ich nach einem Keks nicht mehr ganz richtig ticke? Das glaubst auch nur du, Junge!«

      »Ach, Herr Schnotter. Jetzt haben Sie sich nicht so.«

      »Komm mir bloß nicht zu nahe, du Bengel!«, drohte Herr Schnotter und hinkte mit seinem Hund weiter.

      »Der war vielleicht unheimlich«, murmelte Elina.

      »Sind wir schon gewohnt«, meinte der Junge schulterzuckend. »Der steht regelmäßig vor unserer Tür und erzählt Unsinn. Vielleicht ist er ja nur einsam und will Gesellschaft.«

      »Mhm«, machte Elina und sah ihn prüfend an. »Er war aber nicht zum Kaffeekränzchen hier, er schien es sehr ernst zu meinen.«

      Der Junge lachte laut. »Denkst du echt, wir verzaubern Süßigkeiten?«

      Elina schnaufte. »Immerhin gibt es die Legende über Madame Picots wundersame Süßigkeiten und viele Leute in der Stadt glauben an sie.«

      »Du also auch?«, fragte er.

      »Nein!«, sagte Elina entschieden.

      »Gut, dass ich dich durchs Fenster gesehen habe«, meinte er gönnerhaft. »Ich rette gerne Mädchen vor unheimlichen alten Menschen.«

      »Ich kann mich selbst retten, danke.« Elina konnte nicht glauben, wie arrogant dieser Typ war. Den hatten scheinbar ein paar Mädchen zu viel angehimmelt!

      »Bist du hier, um mir einen Liebesbrief zu geben?«, plapperte er weiter, als hätte Elina gar nichts gesagt, und bestätigte ihre Vermutung damit. Selbstverliebter Blödmann! »Es trauen sich eher selten Leute an den Zaun ran.«

      Elina fühlte sich ertappt. Ja, sie hatte einen Blick aufs Haus werfen wollen, aber sie war bestimmt nicht wegen ihm gekommen! Sie reckte das Kinn. »Wieso? Bist du das Monster, das im Turm haust? Ich bin hier nur zufällig vorbeigekommen!«

      Der Junge lachte. »Hey! Sehe ich etwa aus wie ein Monster, das man in einem Turm verstecken muss?«

      »Das kannst du bestimmt besser beurteilen als ich, du schaust doch bestimmt zehnmal am Tag in den Spiegel«, erwiderte sie frech.

      »Haha. Ich bin übrigens Arthur.« Die Augen des Jungen funkelten verschmitzt. »Du wolltest wohl einen Liebesbrief abgeben, gib’s zu! Wie heißt du denn?«

      Genervt wandte sie sich ab und lief los. »Tschüss!«

      »Hey!«, rief er ihr nach. »Warte doch!«

      Pah, darauf konnte der lange warten!

      »Schieß endlich!«, rief Piet.

      Elina trat kräftig gegen den Fußball und spielte ihn ihrem Bruder zu. Der jagte damit über den Rasen und schoss ihn in das kleine Tor, das sie aufgestellt hatten.

      Piet reckte beide Hände in die Luft, als habe er die Weltmeisterschaft gewonnen. »Fünf zu null!«

      Langsam verlor Elina die Lust am Spielen – Fußball machte einfach nicht so viel Spaß wie Feldhockey, und mit Piet mitzuhalten, war nach einer Weile echt anstrengend.

      »Ich geh mal was trinken«, teilte sie ihm mit.


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