Jenseits des Spessarts. Günter Huth
der Generalstaatsanwältin patrouillierten aus Sicherheitsgründen vermehrt Polizeistreifen, die ein Auge auf davor parkende Fahrzeuge warfen. Er wollte nicht, dass sein Kennzeichen im Protokoll einer Streife auftauchte. Yasmin Römer stand hinter den dichten Gardinen und beobachtete, wie er wegfuhr.
Als sie mitbekam, dass man Haenisch zum Staatssekretär im Innenministerium ernennen wollte, war sie zunächst betroffen. Das war ein gewaltiger Karrieresprung, mit dem er sie überholte. Gewiss, ihre Ernennung zur Generalstaatsanwältin konnte sie als großen persönlichen Erfolg verbuchen, der sie auch zutiefst befriedigte, allerdings sah sie sich noch nicht auf der obersten Sprosse der Karriereleiter. Sie konnte sich durchaus vorstellen, in einem nächsten Schritt in die bayerische Regierung berufen zu werden. Justizministerin Dr. Yasmin Römer klang sehr gut, wie sie fand. Das Problem war nur, dass ihr Haenisch jetzt kräftig Konkurrenz machte. Als Staatssekretär war er Teil der Regierung und vom Staatssekretär zum Minister war nur ein kleiner Sprung. Besonders dann, wenn er seine neue Aufgabe erfolgreich löste. Sie wandte sich vom Fenster ab. Es gab da noch ein paar gefährliche Punkte in ihrer Vita, die sie unbedingt bereinigen musste, weil sie ihre Karriereträume zerstören konnten.
Zwei Tage später:
Erster Kriminalhauptkommissar Eberhard Brunner, Leiter der Mordkommission in Würzburg, hatte gestern vom Vorzimmer des Polizeipräsidenten Arnold Häfner, einen Anruf bekommen, in dem er gebeten wurde, heute um zehn Uhr zu einer Dienstbesprechung zu erscheinen. Die Vorzimmerdame machte ihm deutlich, dass dies eine klare Dienstanweisung mit oberster Priorität war. Brunner hatte keinerlei Ahnung, was das bedeuten sollte.
Nach Betreten des geräumigen Dienstzimmers sah er sich zu seinem Erstaunen drei Personen gegenüber, von denen ihm nur zwei bekannt waren. Er gab dem Polizeipräsidenten die Hand, dann begrüßte er Oberstaatsanwalt Dr. Haenisch, mit dem er häufig dienstlich zu tun hatte. Der dritte Mann wurde ihm von Präsident Häfner kurz vorgestellt: „Kriminaldirektor Seebach, Landeskriminalamt München.“ Nachdem er auch ihm die Hand geschüttelt hatte, setzte er sich auf den Stuhl am Besprechungstisch, den ihm der Polizeipräsident anbot. Der kam auch gleich zur Sache:
„Lieber Brunner, Sie wundern sich wahrscheinlich über die Zusammensetzung dieser Besprechungsrunde. Zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, dass Herr Dr. Haenisch nicht mehr Oberstaatsanwalt ist, sondern ihm ein Amt als Staatssekretär im Innenministerium übertragen wurde.“
Brunner zog die Augenbrauen in die Höhe und nickte Dr. Haenisch zu. „Gratuliere.“
„Danke“, gab dieser kurz zurück, denn der Präsident fuhr schon fort.
„Dr. Haenisch hat die wichtige Aufgabe der Bekämpfung der Bandenkriminalität im Milieu der Familienclans als Schwerpunkt seiner Tätigkeit erhalten. Bekanntermaßen haben sich diese Banden wie ein Krebsgeschwür immer stärker in den Main-Spessart-Bereich hineingefressen. Daraufhin hat Kriminaldirektor Seebach die Anordnung erhalten, umgehend eine Sonderkommission zusammenzustellen, die Herrn Dr. Haenisch direkt unterstellt wird.“
Der Präsident atmete kurz durch, dann fuhr er ohne Umschweife fort: „Sie, Herr Brunner, werden zum Leiter dieser Sonderkommission ernannt.“ Er hob die Hand, weil Brunner Luft für eine Erwiderung schöpfte. „Bevor Sie fragen, die Mordkommission in Würzburg übernimmt kommissarisch Kriminalhauptkommissar Kauswitz. Er ist Ihr Vertreter und leistet gute Arbeit. Sollte sich Ihre Aufgabe in der Soko eines Tages erledigt haben, können Sie also problemlos wieder zurückkehren.“
Der Polizeipräsident sah Brunner prüfend an. „Ich weiß, wir haben Sie damit überfallen. Aber wir denken, das ist eine Aufgabe ganz nach Ihrem Herzen. Sie bzw. die Soko werden natürlich technisch und personell entsprechend ausgestattet, so dass Sie erfolgreich sein werden.“
Der LKA-Mann, der die ganze Zeit geschwiegen, stattdessen aber Brunner eingehend gemustert hatte, hob kurz die Hand.
„Wir haben vom Innenministerium die Aufforderung bekommen, möglichst schnell eine schlagkräftige Truppe zusammenzustellen. Der Herr Staatssekretär kennt Sie aus seiner Zeit als Oberstaatsanwalt. Sie haben dienstlich ja häufig zusammengearbeitet. Sie sind sein absoluter Wunschkandidat.“
Dr. Haenisch nickte bestätigend.
Langsam fand Brunner wieder zu seiner Sprache zurück. „Wow, das ist alles ziemlich überraschend.“ Mehr brachte er im Moment nicht heraus. Er fühlte sich ein wenig überfahren. „Kann ich da noch einmal drüber schlafen?“
Der LKA-Mann brachte ein trockenes, humorloses Lachen zustande. „Lieber Brunner, Sie mögen zwar der Wunschkandidat des Herrn Dr. Haenisch sein, das heißt aber nicht, dass hier ein Wunschkonzert stattfindet. Wir haben uns Ihre Personalakten genau angesehen. Sie sind absolut qualifiziert, außerdem sind Sie familiär ungebunden. Nach unseren Vorstellungen werden Sie Ihren Dienst in erster Linie in einer Unterkunft ableisten, in der auch die gesamte Soko untergebracht sein wird. Man hat uns zu diesem Zweck ein aufgelassenes Forsthaus in der Nähe von Lohr am Main angeboten. Es wird gerade umgebaut und technisch fit gemacht.“ Er lehnte sich zurück, dabei sah er auf ein Blatt Papier, auf dem er sich Notizen gemacht hatte.
„Zur personellen Zusammensetzung: Wir werden nur bestens ausgebildete Beamtinnen und Beamte in die Sonderkommission berufen, die dort modernste Technik zur Verfügung haben werden. Die Soko wird, neben dem Leiter, aus drei Frauen und zehn Männern bestehen, wobei mindestens zwei Mitglieder über zufriedenstellende Kenntnisse der arabischen Sprache verfügen müssen. Die Gruppe wird mit einem leistungsfähigen Fuhrpark ausgerüstet, zu dem auch zwei gepanzerte Fahrzeuge gehören werden, denn wir rechnen natürlich mit Widerstand. Fünf Mitglieder der Gruppe werden von einem Sondereinsatzkommando abgeordnet. Das sind Spezialisten im Nahkampf und mit Scharfschützenausbildung. Damit hätten wir dann eine äußerst leistungsfähige Truppe, die den schweren Kampf gegen den Kraken der organisierten Kriminalität wirksam aufnehmen kann. Der Dienst wird nach einem bestimmten Einsatzplan abgeleistet, wonach neben dem Leiter und seiner Vertreterin, einer Oberkommissarin aus dem Bereich des SEK Nord, immer zehn Kräfte gleichzeitig in der Zentrale der Soko anwesend sein müssen. Alle, die im Dienst sind, arbeiten und schlafen in den Räumlichkeiten des Forsthauses. Wir haben bei der Zusammenstellung der Soko darauf geachtet, keine verheirateten Mitglieder abzuordnen, um soziale Konflikte in der Gruppe zu vermeiden. Die Aufgabe der Soko besteht zudem auch im Personenschutz für Dr. Haenisch, in Ermittlungen im Milieu, der Führung von V-Männern und der Lancierung von Falschmeldungen. Wir wollen ständig Sand ins Getriebe der Banden streuen. Die Soko verfügt über einen direkten Draht zur Einsatzzentrale und ist mittels Funk untereinander verbunden.“ Der Kriminaldirektor sah Brunner erwartungsvoll an. „Nun, was halten Sie davon?“
Ehe Brunner noch etwas sagen konnte, ergriff Dr. Haenisch das Wort. „Herr Brunner, es ist mir klar, dass das eine große Herausforderung ist, aber ich muss Sie bitten, sich bis morgen zehn Uhr zu entscheiden. Wir stehen unter enormem Zeitdruck.“ Er griff in seine Jackentasche. „Hier meine Visitenkarte. Da steht zwar noch Oberstaatsanwalt drauf, aber meine private Handynummer stimmt noch.“
Die drei Herren erhoben sich, für Brunner das Zeichen, dass die Besprechung beendet war. Nach Verlassen des Präsidiums, stand er wie betäubt auf der Straße. Ihm schwirrte der Kopf. Er sollte mit Hilfe einer Sonderkommission die Bandenkriminalität zweier arabischer Clans im weiteren Umfeld Frankens bekämpfen. Das war vielleicht ein Hammer! Langsam schlenderte er durch die Zellerau in Richtung Stadtmitte. Am Marktplatz setzte er sich in das Straßencafé einer Bäckerei. Er musste in Ruhe nachdenken.
Sehr schnell wurden allerdings seine beruflichen Überlegungen von der Erinnerung an das Telefonat verdrängt, das er gestern Abend mit seinem Freund Simon Kerner geführt hatte. Der Zeitunterschied zwischen hier und Südafrika betrug nur eine Stunde und fiel daher kaum ins Gewicht. Die Hiobsbotschaft, die Kerner ihm anvertraute, hatte ihm fast den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Mitteilung von der schweren Erkrankung der kleinen Clara schockte ihn tief.
„Ich habe mir überlegt, wieder als Anwalt zu arbeiten“, hatte Kerner in gedrückter Stimmung erklärt. „Ich habe mich erkundigt, eine Zulassung dürfte unschwer