War das schon alles?. Andrea Tuma
oft nicht bewusst ist.
Es liegt an uns, ob wir Rückschläge und Enttäuschungen als persönliche Demütigungen oder als Aufforderung betrachten, einen neuen Weg einzuschlagen. Verlässt uns der Partner oder die Partnerin, können wir uns ungeliebt fühlen und in Selbstmitleid baden oder es als eine Einladung sehen, endlich zu lernen, uns selbst zu lieben. Eine schwere Krankheit kann zur totalen Resignation führen, oder wir wachsen an der Erfahrung und nutzen die Phase eingeschränkter Leistungsfähigkeit, um unsere Lebensweise zu überdenken.
Silvia, eine Kollegin von mir, hatte vor einigen Jahren einen schweren Autounfall. Ein Reifen platzte bei mehr als 100 km/h auf der Autobahn. Sie verbrachte fast zwei Monate im Krankenhaus und musste danach mehrere Monate in eine Rehabilitationsklinik. Sie war Alleinerzieherin von drei Kindern, arbeitete als Sozialpädagogin und versuchte sich nebenbei ein Standbein als Lebensberaterin aufzubauen. Der Vater der drei Kinder war schon vor Jahren samt Sekretärin nach Mallorca ausgewandert und weigerte sich, den vollen Unterhalt zu zahlen. Ihr neuer Partner war zwar sehr liebevoll, drückte sich aber prinzipiell vor jeder Verantwortung und Verpflichtung. Sie kümmerte sich um alles alleine und versuchte den Kindern nicht nur Mutter zu sein, sondern auch den Vater zu ersetzen. Alle Aufgaben im Haushalt erledigte sie selbst, daneben spielte sie Chauffeurin für die Kinder, brachte sie zu Freunden, holte sie vom Musikunterricht ab oder fuhr sie zur Tanzstunde. Danach ging sie noch mit dem Hund spazieren. Ihr Leben bestand ausschließlich darin, sich um andere zu kümmern und für andere da zu sein. Sie selbst blieb dabei völlig auf der Strecke. Am Ende leider im wahrsten Sinne des Wortes, nachdem sich ihr Wagen zweimal überschlagen hatte und im Straßengraben liegen blieb.
Der Unfall zwang sie, sich, aber auch ihr Umfeld zu ändern. Sie konnte über lange Zeit keine einzige ihrer Pflichten erfüllen. Im Gegenteil, sie war auf die Hilfe anderer angewiesen. Sie begann ihr Leben zu reflektieren, beendete die Beziehung zu einem Mann, der nur auf der Sonnenseite des Lebens leben wollte, und forderte mehr Unterstützung und Selbstständigkeit von ihren Kindern, die teilweise ja schon fast erwachsen waren. Und weil sie gar keine andere Wahl hatte, lernte sie endlich auch, Freunde und Familie um Hilfe zu bitten. Heute sieht ihr Leben völlig anders aus. Sie ist nach eigener Aussage dankbar für die Lektion, die ihr das Leben erteilte. Im Nachhinein erkannte sie, dass es bereits vor dem Unfall viele Anzeichen für die Notwendigkeit eines Richtungswechsels gegeben hatte. Sie missachtete sie aber stets.
Das ist sicher ein sehr drastisches Beispiel. Meist kommen die Impulse nicht mit einer solchen Wucht auf uns zu. Doch alle Krisen, Schicksalsschläge und Enttäuschungen haben eines gemeinsam: Sie sind Hinweise unserer Seele, dass etwas in unserem Leben nicht so läuft, wie es uns entspricht. Wenn wir nicht gezwungen werden, beginnen wir die Reise zu uns selbst oft gar nicht erst. Nicht bei Sonnenschein machen wir uns auf den Weg, sondern wenn es regnet. Solange alles in freundlichem Licht erstrahlt, denken wir, dass das Leben schon fix und fertig ist. Alles ist, wie es sein soll. Und am besten verändert sich nichts. Der Sinn unseres Lebens liegt aber nicht darin, es sich bequem zu machen und zu warten, bis die Zeit auf Erden abgelaufen ist. Deshalb scheint die Sonne nicht auf Dauer. Sie verschwindet aber auch nie dauerhaft. Und wie herrlich ist es, nach ein paar Regentagen die Sonnenstrahlen zu genießen.
Wenn die Seele den Aufbruch einleitet
Wer sich auf den Weg machen will, braucht Bereitschaft, Wille und Mut. Vor allem aber Vertrauen, dass, was immer entlang des Weges wartet, eine wichtige und wertvolle Erfahrung ist, die uns wieder ein Stück näher zum wahren Selbst bringt. Gerade dann, wenn wir meinen, keine Zeit und Energie für Veränderungen zu haben, ist der beste Zeitpunkt zu beginnen. Wenn wir in Umständen gelandet sind, die uns an unsere Grenzen gebracht, unsere Sicht auf die Welt erschüttert und uns klar und deutlich zu verstehen gegeben haben, dass es so, wie es war, nie wieder sein würde. Dann ist der Zeitpunkt des Aufbruchs gekommen.
Der Wunsch der Seele nach einem deutlichen Richtungswechsel zeigt sich zuerst im Inneren. Am Anfang steht ein Gefühl. Ohnmacht, Überforderung, Frustration, Wut, Unruhe, Traurigkeit oder Leere, sie alle können eine innere Krise auslösen, die völlig unabhängig von äußeren Gegebenheiten allein auf eine Spannung zwischen dem Wollen der Seele und unserem bewussten Willen zurückzuführen ist. Alles, was vorher sicher erschien, ist nicht mehr sicher. Alles, was vorher klar war, ist nicht mehr klar. Eine innere Veränderung wird eingeleitet, die dazu führt, dass wir nicht mehr die sind, die wir waren. Wir beginnen anders zu denken, eine neue Sichtweise auf die Welt zu entwickeln, Bedürfnisse ändern sich, unsere Ziele sind nicht mehr dieselben wie vorher.
Solche inneren Prozesse vollziehen sich nie ohne Grund. Sie kommen dann in Gang, wenn wir zu weit von unserem Weg abgekommen sind, uns zu weit von unserer eigentlichen Bestimmung entfernt haben. Sie weisen uns darauf hin, dass der Zeitpunkt des Wandels gekommen ist. Auch wenn wir anfangs nicht erkennen, wo er uns hinführen wird.
Wenn unser Leben uns nicht mehr genügt, etwas Wesentliches fehlt, wir den Boden unter den Füßen zu verlieren drohen, dann kann dies der Anfang einer lebenslangen Reise sein. Sie beginnt vielleicht mit einem Buch, das uns zufällig in die Hände fällt. Wir begegnen einem Menschen, der etwas in uns bewegt. Wir stolpern über eine Vortragsankündigung, gehen hin, obwohl wir eigentlich etwas anderes vorhatten. Wir werden von etwas angezogen. Wir werden geführt. Diese Führung geschieht auf vielfältige Art und Weise, in den verschiedensten Situationen, an den unterschiedlichsten Orten, wenn wir alleine oder umgeben von Menschen sind, und uns doch alleine fühlen. Eine Sehnsucht ist erwacht. Wir erkennen, dass wir nicht länger dort bleiben können, wo wir gerade sind.
Vor einer Antwort steht eine Frage
Am Beginn des Weges, noch vor der Entscheidung, das Abenteuer der Reise zu wagen, steht eine Frage. Meist ist sie nur der Anfang einer ganzen Flut an Fragen, die uns im Laufe der Reise begleiten werden. Fragen ermutigen uns aufzubrechen. Sie treiben uns voran und laden gleichzeitig dazu ein innezuhalten. Sie bringen in Kontakt mit unserem wahren Wesenskern. Sie weisen uns die Richtung.
Wir müssen fragen, um zu erfahren, wohin der Weg führt. Wir müssen fragen, um zu wissen, wie er weitergeht. Wer fragt, wird Hinweise für den nächsten Schritt bekommen. Nur wer fragt, bekommt Antworten. Genau diese Antworten sind für viele der Grund, weshalb sie erst gar nicht wagen zu fragen. Aus Angst vor der Wahrheit hüllen sie sich lieber in den Schleier der Unwissenheit, des Verleugnens, der Selbsttäuschung. Wer nicht fragt, muss auch nicht fürchten, dass die Antworten das eigene Leben für immer verändern könnten. Wir haben immer die Wahl, uns die Fragen bewusst zu stellen oder sie weiterhin im Unbewussten unter Verschluss zu halten. Dann sind wir weiter im Blindflug unterwegs. Nicht glücklich, aber vertraut. Nicht lebendig, aber sicher. Nicht erfüllt, aber bequem.
Die blanke Angst vor dem, was passieren könnte, nachdem die erste Frage gestellt und die erste Antwort gefunden wurde, führt dazu, dass wir uns das Fragenstellen von vornherein verbieten. Niemand gesteht sich diese Angst gerne ein. Sie ist unangenehm, und sie verunsichert. Wir versuchen alles, um sie zu vermeiden. Da das meist nicht so gut funktioniert, lautet die nächste Strategie, sie zu verdrängen, einen Weg zu finden, uns von ihr abzulenken, bis wir tatsächlich meinen, keine Angst mehr zu haben. Wir geben nicht zu, dass wir die Antworten nicht hören wollen. Stattdessen behaupten wir, keine Fragen zu haben. Gelingt es den Fragen dennoch, so weit in unser Bewusstsein vorzudringen, dass es nicht mehr möglich ist, sie zu ignorieren, beginnen wir nach Gründen zu suchen, weshalb wir sie nicht beantworten können. Und Gründe finden wir viele. Die Verpflichtungen, die wir glauben zu haben, Menschen, die wir nicht im Stich lassen dürfen, Loyalität zu übernommenen Werten oder die Überzeugung, dass es uns nicht zusteht, diese Fragen überhaupt zu stellen.
Fragen führen nicht nur zu Antworten, sie versetzen vor allem in einen Zustand der Offenheit. Diese Offenheit ist eine wichtige Voraussetzung, um die Hinweise unserer inneren Führung überhaupt wahrnehmen zu können. Wir brauchen die Bereitschaft, uns unvoreingenommen und erwartungslos auf die Fragen und Antworten einzulassen. Eine solche Haltung der Offenheit ist dann möglich, wenn wir aus altbewährten Denkweisen, gewohnten Reaktionsmustern und automatisierten Handlungsabläufen ausbrechen und Verstand und Herz für neue Impulse aufmachen. Viel zu oft neigen wir dazu, uns geistig und emotional einzumauern, nur jene Gedanken und Gefühle zuzulassen, die in unser gewohntes Schema passen. Anstatt neue Pfade zu beschreiten,