Die Legende vom Hermunduren. G. K. Grasse

Die Legende vom Hermunduren - G. K. Grasse


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zu unserem Ziel wird es gehen. Lass das Blut dran. Blut reinigt die Wunde. Hast noch genug davon…“

      Grattus grinste als Antwort.

      Die ganze Unterhaltung lenkte von der Erstarrung der Gefangenen ab. Beide Reiter fanden zu sich. Schließlich fragte der mit der Wunde im Bein: „Was wird jetzt?“

      „Wir ziehen weiter!“ bestimmte Gerwin und wandte sich an den Optio. „Was ist, kannst du laufen?“

      Der Angesprochen nickte. Er rollte sich auf die Seite, zog den ersten Fuß an, stellte ihn auf und erhob sich. Plötzlich schwankte der Mann und wäre fast gestürzt. Gerwin griff zu. „Das geht vorbei!“ behauptete er nachsichtig.

      Arpagius tauchte auf. „Jetzt haben die Burschen vorerst Ruhe. Ich habe sie mit Zweigen bedeckt. Ich hoffe, davon läuft keiner weg…“ Er lachte und fast gleichzeitig löste sich die Spannung, nicht nur bei ihm…

      Bisher war er in einen Zustand gefallen, den er so noch nie erlebte. Er kannte Kämpfe, er besaß auch Verwundungen und dennoch hatte er das Gefühl, dass er sich noch nie so dicht am Tod vorbei zwängen musste. Ein Blick zu Grattus bestätigte ihm, dass auch der kleine Vangione diese Erfahrung noch verarbeitete.

      „Was machen wir mit dem da? Der schläft noch immer… Wacht der wieder auf?“ Arpagius wies auf den Liegenden.

      „Wenn ich ihn bitte, sicher!“ behauptete Gerwin, beugte sich hinab, drehte den Mann auf den Bauch und schlug ihm mit der Faust auf einen Punkt im Rücken. Der Liegende zuckte, stöhnte dann und erstarrte erneut. Gerwin trat näher.

      „Reicht die Aufforderung noch nicht? Sei dir sicher, noch lebst du!“ Ein Tritt in die Rippen ließ den Mann Aufschreien und Aufspringen. Seine Hand zuckte zum Messer an seiner Seite und griff ins Leere.

      „Du hast zwei Möglichkeiten…“ unterbrach Gerwin die Verblüffung des Aufgesprungenen.

      Der Kerl schaute ihn an und begriff scheinbar gar nichts. Er schüttelte den Kopf, suchte dann das Messer an seiner Seite, blickte zu seiner leeren Hand und dann sprang er vorwärts auf Gerwin zu.

      Doch dort, wo sein vermeintlicher Feind zuvor stand, stieß er auf Leere. Dafür umarmten ihn zwei Arme mit einem Griff, als wären es Klammern aus Eisen.

      „Ich sprach von zwei Möglichkeiten… Es sind aber eigentlich drei…“

      Der Hermundure gab den Wegelager, mit kraftvoller Drehung, frei.

      „Zuerst könnte ich dir die Kehle durchschneiden, dann könnten wir dich fesseln und hinter uns her schleifen. Die dritte Möglichkeit wäre deine freiwillige Begleitung…“

      „Ich ziehe die vierte Möglichkeit vor …“ sprach der durchaus kampffähige Fremde, machte zwei Schritte rückwärts von Gerwin fort, drehte sich um und wählte zur Flucht die Richtung in den Wald. Eigentlich, wenn man seiner Sinne Herr ist, die Klügste der Möglichkeiten… Nur hatte der Mann übersehen, dass einer seiner Füße längst an einer Leine hing, die am Sattel von Arasoa befestigt war. Das Ende des Seils in Anspruch nehmend, war sein vierter Sprung der Letzte. Er landete auf dem Bauch und ehe er es sich versah, waren seine Arme gebunden und ein weiterer Strick schloss sich um seinen Hals.

      Gerwin klatschte sich in die Hände. „Deine Wahl hast du selbst getroffen…“

      „Da wir auch das endlich klären konnten, ist es an der Zeit, unseren Weg fortzusetzen. Grattus, du führst beider Pferde. Arpagius, geh voran und bleib auf diesem Weg. Ich werde unseren kühnen Wegelager begleiten und achte ein wenig auf den Optio… Also vorwärts!“

      Der Trupp setzte sich in Bewegung. Es ging nur langsam voran. Der Optio hatte sichtliche Schmerzen, der Wegelagerer dachte an Flucht und verzögerte, mit allerlei Tricks, die Vorwärtsbewegung und auch die Reiter spürten, mit zunehmender Dauer, den Schmerz der erlittenen Wunden.

      Die Dämmerung zog herauf. Es folgte Dunkelheit und irgendwann hämmerten des Germanen Fäuste an ein großes Tor. Es wurde geöffnet. Der Trupp zog ein und hielt vor einer kleineren Villa.

      Gerwin verschwand kurz, kehrte mit einem großen Kelten zurück und anschließend entstand, bis die Gefangenen eingesperrt waren, ein großes Durcheinander. Als die Dunkelheit undurchdringlich wurde, tauchte ein Medicus auf und nahm sich der Wunden an.

      Für den Optio ließ Finley einen Vorratsraum, der nur wenige Schritte in seiner Breite und Tiefe aufwies, ausräumen. Dieser Gefangene und der weitere Überlebende verschwanden in dem fensterlosen Raum. Vor der Tür bezog einer der Alten des Amantius Position. Eine Flucht war somit ausgeschlossen.

      Inzwischen brachten Gerwin und die Legionäre die beiden anderen Gefangenen in die mittlere Etage, beräumten den großen Tisch, breiteten weiße Laken darauf aus und legten den am Bein Verletzten darauf. Fackeln warfen ein gespenstiges Licht auf das verletzte Bein.

      Der Medicus, ein kleiner, etwas rundlicher Grieche, beugte sich über die Verletzung, schüttelte seinen, bis auf einen spärlichen Haarkranz, glatten Schädel und brummte etwas, was der Gefangene, falls er es hörte, als ‚hast noch mal Glück gehabt‘ verstehen könnte.

      Der Grieche richtete sich auf, entnahm seinem Beutel ein hartes Stück Holz und reichte es dem Auxiliar.

      „Dein Leben verdankst du dem, der das Bein abband! Du wärst längst verblutet…“ Er lauerte auf eine Erwiderung. Der Treverer aber schwieg.

      „Na auch gut… Das Holz brauchst du, damit du nicht schreist, beiß einfach darauf. Die Tortur wird etwas schmerzhaft, aber ich denke, du möchtest dein Bein behalten…, wir können es aber auch absägen…“ Der Grieche zog eine Säge aus seinem Beutel und hielt sie so, dass der Liegende das Gerät sehen konnte. Der Blick des Treverer, vom Medicus gebannt verfolgt, zeugte von Erschrecken.

      „Das Bein bleibt dran, verfluchter Salbenmischer!“ fluchte der Liegende.

      „Dachte es mir gleich…“ erwiderte der Medicus. „… sind halt nicht die Mutigsten, unsere Auxiliaren…

      Gerwin, der an einem der Fenster lehnte, Finley, mit ausgestreckten Gliedern auf einem der Stühle, der zweite Verletzte Auxiliar, mit dem Stich in der Brust, auch auf einem Stuhl sitzend und die beiden Legionäre zu den Seiten der Tür stehend, verfolgten das Gespräch zwischen dem Griechen und dem auf dem Tisch liegenden Treverer.

      „Na gut, sollst deinen Willen haben… Versuchen wir es erst einmal auf die leichtere Art… Das soll aber nicht heißen, dass wir das Bein nicht vielleicht später noch opfern sollten… Ich nehme an, zuerst möchtest du mit Bein leben, dann wäre dir aber ein Leben ohne Bein eher recht, als zu deinen Göttern heimzukehren…“

      Ein Grinsen entstellte das Gesicht des Griechen und legte einige dunkel schimmernde Zahnstümpfe frei. Der Mann war eben schon ziemlich alt. Der Vorteil daraus wies auf Erfahrung hin, der Nachteil zeigte sich in einem leichten Zittern der Hände.

      „Also, wenn ich es sage, beiß auf das Holz! Zuerst werde ich die Wunde reinigen… Die Tinktur brennt ein wenig…“ Er zögerte und besann sich. „Nein, sie brennt wie Feuer. Aber das geht vorüber. Dann wird es sehr kalt um die Wunde. In dem Zustand werde ich den langen Schnitt zusammennähen. Das wirst du so nicht sehr bemerken… Die Wärme kehrt zurück. Erst dann wird es richtig heftig… Sei darauf vorbereitet! Dann löse ich den Strick, dein Blut schießt wieder in dein Bein. Der Schmerz überrollt dich im Wechsel mit Feuer und Eis. Es kribbelt im Bein, du möchtest weglaufen und kannst dich doch nicht bewegen… Also nimm es hin. Das Kribbeln bleibt eine ganze Weile, aber wenn das nachlässt, empfängt dich ein etwa gleichbleibender Schmerz und der bleibt dir einige Tage erhalten…“ Der Alte grinste.

      „Dann heißt es warten und die Wunde beobachten… Sind dir deine Götter hold, heilt das Bein und nur die Narbe bleibt… Entzündet es sich aber, dann kann es eklig werden… Ich werde die nächsten Tage aber nach dir sehen, wenn der Secretarius es will… Der Grieche drehte sich zu Finley um. Statt dem großen Kelten antwortete jedoch der Germane.

      „Das wirst du tun und Finley wird dir deinen Lohn geben. Der Rest kümmert dich nicht… Verliert der


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