Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane. A. F. Morland
sieht nach einer Zyste aus“, bemerkte Dr. Kayser. Beim Liegen wurde der „Ball“ dann wieder kleiner. „Ein Zeichen dafür, dass ein Teil der Flüssigkeit wieder ins Kniegelenk zurückfließt“, kommentierte Sven Kayser.
Die Patientin sah ihn fragend ah..
„Bei einer Arthrose“, erklärte der Grünwalder Arzt, „kommt es zu immer wiederkehrenden Entzündungen im Gelenk. Dadurch wird im Knie und in dem dazugehörigen Schleimbeutel vermehrt Flüssigkeit produziert, und die Folge davon kann sein, dass sich eine Gelenkzyste bildet. Diese Zysten erkannte im vorigen Jahrhundert der britische Chirurg W. M. Baker als erster, deshalb heißen sie Baker-Zysten.“
„Warum helfen mir die Tabletten nicht mehr?“, wollte Frau Dietrich wissen.
„Der Druck der Zyste verursacht den Schmerz, nicht die Arthrose. Deshalb wirkt das Medikament nicht“, erklärte Dr. Sven Kayser.
Die Patientin schaute ihn besorgt an. „Was kann man gegen die Zyste tun, Dr. Kayser?“
„Solche Veränderungen neigen dazu, größer zu werden.“
Berta Dietrich erschrak. „Noch größer? Ist das nicht gefährlich?“
„Wenn die Zyste auf die Venen drückt und den Blutrückfluss hemmt, kann es eine Thrombose geben. Wenn sie platzt, ergießt sich die Flüssigkeit zwischen die Muskeln, und das führt zu Krämpfen und heftigen Schmerzen, deshalb muss sie so bald wie möglich operativ entfernt werden.“
Frau Dietrich wurde blass und schluckte mehrmals. „Ich muss ins Krankenhaus?“, stieß sie wenig erfreut hervor.
Dr. Kayser hob die Schultern. „Das kann ich Ihnen leider nicht ersparen, Frau Dietrich. Aber seien Sie unbesorgt, Sie werden den Eingriff gut überstehen, da bin ich sicher.“
„Ich bin nicht mehr die Jüngste“, gab die Patientin zu bedenken.
„Sie sind – abgesehen von Ihrer Arthrose – eine kerngesunde Frau.“
„Aber jeder Eingriff ist ein Risiko, sagt man“, wagte die Patientin scheu zu erwidern.
„Das ist richtig“, musste Dr. Kayser ihr Recht geben, „doch in Ihrem Fall wird es mit Sicherheit keine Komplikationen geben. Sie werden bald wieder ohne Stock laufen können.“
3
„Na, wie war’s?“, fragte Oma Clara, als sie mit Berta Dietrich die Grünwalder Arztpraxis verließ.
„In die Seeberg-Klinik muss ich“, stöhnte Frau Dietrich.
„Ach du Schreck. Warum denn?“
„Operiert muss ich werden“, seufzte Frau Dietrich unglücklich. „Eine Zyste hab’ ich im Knie.“
„Sie Ärmste! Kommen Sie, hängen sie sich bei mir ein.“ Clara Griesmayer hustete. „Was man nicht alles kriegen kann. Wieso denn eine Zyste? Wo kommt die denn auf einmal her?“
Berta Dietrich erklärte es ihr so, wie sie es von Dr. Kayser gehört hatte.
„Wann legen Sie sich in die Seeberg Klinik?“, erkundigte sich Oma Clara.
„Übermorgen.“
Clara Griesmayer hustete. „So bald schon?“
„Gut, dass Dr. Kayser Belegarzt der Seeberg-Klinik ist, sonst hätte ich wahrscheinlich nicht so schnell ein Bett gekriegt. Ich will keine Thrombose bekommen.“
Oma Clara nickte sehr ernst. „Thrombosen sind eine sehr gefährliche Angelegenheit.“
„Und dass die Zyste platzt und sich die Flüssigkeit zwischen die Muskeln ergießt, muss ich auch nicht unbedingt riskieren. Das ist nämlich ziemlich schmerzhaft, sagt Dr. Kayser.“
Clara Griesmayer schüttelte sich. „Lassen Sie uns aufhören, über Krankheiten zu reden. Es gibt erfreulichere Themen.“ Sie erzählte ihrer guten Bekannten von ihren heißgeliebten Enkelkindern.
Auch Berta Dietrich war bereits Großmutter. Iris hieß ihre vierzehnjährige Enkelin – ein sanftes, zartes, sensibles Mädchen. Bedauerlicherweise führten Iris’ Eltern keine besonders glückliche Ehe. Das Kind litt darunter, deshalb holte Frau Dietrich es so oft wie möglich zu sich. Doch die Nestwärme, die Iris zu Hause fehlte, konnte ihr die Großmutter nur zu einem geringen Teil ersetzen.
„Ich beneide Sie um das Eheglück Ihrer Kinder, Frau Griesmayer“, sagte Berta Dietrich traurig. „Meine Tochter und ihr Mann ...“ Sie seufzte. „Patrick ist ein guter Kerl, aber er hat keine Zeit für seine Familie. Als Geschäftsmann hat er es geschafft, wie man so schön sagt, doch privat ... Um da hinzukommen, wo er heute ist, musste er hart arbeiten, und das tut er immer noch. Er verdient viel Geld, o ja, sehr viel Geld. Aber alles Geld der Welt kann Liebe, Harmonie, Zärtlichkeit und Geborgenheit nicht ersetzen. Sonja, meine Tochter, ist eine junge, attraktive, lebenslustige Frau. Sie bringt die Geduld nicht auf, zu warten, bis Patrick mal für sie Zeit hat. Sie hat auch kein Verständnis dafür, dass für ihren Mann immer zuerst das Geschäft kommt.“
Oma Clara rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. „Das ist auch nicht richtig.“
„Nein“, sagte Berta Dietrich, „aber ich kann Patrick dennoch nicht verurteilen. Er ist ein herzensguter Mensch. Ich liebe ihn. Und auch er ist mir sehr zugetan.“
Frau Griesmayer nickte bedächtig. „Sie sind auch eine großartige Schwiegermutter.“
„Deshalb tut es mir besonders weh, dass Sonja ihrem Mann seit Längerem schon nicht mehr treu ist“, erklärte Frau Dietrich betrübt. „Sie fühlt sich von ihrem Mann vernachlässigt und hält sich deshalb anderswo schadlos. Das ist nicht richtig. Das kann ich nicht gutheißen.“
„Weiß Ihr Schwiegersohn davon?“, fragte Clara Griesmayer.
Frau Dietrich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Von mir wird er es jedenfalls nicht erfahren. Da kann, darf und will ich mich nicht einmischen. Vielleicht ahnt er etwas. Möglicherweise streiten er und Sonja deshalb in letzter Zeit immer häufiger und immer vor dem Kind.“
Oma Clara hustete und wiegte bedenklich den Kopf. „Damit tun sie Iris sehr, sehr weh.“
„Natürlich, denn sie liebt ihre Mutti genauso sehr wie ihren Vati, und sie kann es nicht ertragen, wenn ihre Eltern sich gegenseitig weh tun.“
„Also, ich glaube, ich könnte meinen Mund nicht halten“, sagte Frau Griesmayer und richtete ihr Kopftuch. „Ich würde mir meine Tochter und meinen Schwiegersohn vornehmen und sagen: Hört mal zu, so darf es mit eurer Ehe nicht weitergehen. Ihr habt eurem Kind gegenüber eine Verantwortung, also besinnt euch gefälligst darauf.“ Sie hatte streng und energisch gesprochen.
„Und was tun Sie, wenn die beiden Ihnen sagen, Sie sollen sich um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern?“
„Würden Sie das von Ihrer Tochter und von Ihrem Schwiegersohn zu hören bekommen?“, fragte Oma Clara zurück.
„Ich fürchte – ja.“
„Dann – dann ...“ Frau Griesmayer blieb kurz stehen. „Verzeihen Sie, wenn ich das sage. Dann haben Sie Ihre Tochter nicht gut erzogen. Ich habe drei Töchter, aber so etwas würde