Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten. Alfred Bekker
handelte.
Um wen auch sonst?, dachte er.
„Ihr könnt wohl keine einzige Entscheidung allein treffen, Jungs!“, tönte Maja Gerath. „Wahrscheinlich muss euch mein Vater auch Bescheid sagen, wann ihr zur Toilette gehen solltet!“ Ihr heiseres Lachen wirkte nicht wirklich belustigt.
Sekunden später öffnete sich surrend das Tor.
Maja ging zur Straße und fluchte lauthals vor sich hin.
Berringer folgte ihr bis zum Tor.
Sie war inzwischen mit schnellen Schritten schräg über die Straße gegangen. Ein Mann wartete dort in einem metallicfarbenen Ford. Berringer schätzte ihn auf etwa dreißig. Er war schlank, hatte ein wenig konturiertes, unscheinbares Gesicht und aschblondes, für sein Alter schon recht dünnes Haar.
Maja stieg ein, und der Mann trat aufs Gas. Die Hinterräder des Ford drehten durch, als er losfuhr. Ein klassischer Kavalierstart.
Eine reizende Tochter haben Sie, Herr Gerath!, dachte Berringer und kehrte zum Haus zurück.
Peter Gerath empfing ihn bereits an der Tür. Der Händedruck hatte die gewohnte Qualität. Der Gerath packte zu – und dann konnte man nur froh sein, wenn man kein Ringträger war.
„Guten Tag, Herr Berringer.“
„Guten Tag.“
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie gerade habe warten lassen, aber das war unumgänglich.“
„Keine Ursache.“
„Haben Sie schon etwas herausgefunden?“
„Es haben sich erste Ermittlungsansätze ergeben.“
„Wie schön. Dann berichten Sie mir.“
„Vielleicht gehen wir dazu ins Haus. Es ist lausig kalt heute.“ Ein falkenhafter Blick. Prüfend. Durchdringend. Gerath zuckte die Schultern. „Wie Sie wollen. Möchten Sie mit mir frühstücken?“
„Danke, hab schon. Aber ich setze mich gern dazu.“
„Dann kommen Sie!“
Peter Gerath führte Berringer in einen Wintergarten, der von einer überwältigenden Vielzahl von Pflanzen erfüllt war. Da außerdem ziemlich stark geheizt wurde, hatte man den Eindruck, sich in einem Dschungel zu befinden. Eine schwarz-weiß gescheckte Katze schlich umher und huschte nahezu lautlos über den Boden.
Auf einem runden Tisch hatte ein unsichtbarer Hausgeist ein Frühstück serviert.
Kaffeegeruch hing in der Luft, und auch die Zeitung lag parat.
„Setzen Sie sich“, bat Gerath. „Wie gesagt, wenn Sie auch frühstücken wollen, lasse ich Ihnen ein Gedeck holen.“
Berringer schüttelte den Kopf und kam gleich zum Thema: „Ich habe mich gestern zusammen mit einer Mitarbeiterin auf dem Rahmeier-Hof umgesehen, nach dem dort Ihre Pferde getötet wurden.“
Gerath verzog das Gesicht und zeigte eine traurige Miene. Berringer war sich fast sicher, dass sie nicht einfach aufgesetzt war, obwohl ein Rest von Misstrauen blieb.
„Eine schreckliche Sache“, sagte Gerath, und in seiner Stimme schwang Erschütterung mit. „Ich hatte ein Meeting, darum konnte ich dort nicht erscheinen.“ Er schüttelte den Kopf und saß einen Augenblick lang in sich versunken da – in einer grauen Strickjacke statt im Blazer, mit tiefen Furchen im Gesicht und einem leeren, ins Nichts schauenden Blick. Dieser ansonsten so agile, dominant auftretende Macher-Typ wirkte auf einmal tief berührt.
Dann straffte er sich wieder, als wolle er auf seinem Stuhl Haltung einnehmen, und nahm einen Schluck Kaffee.
Doch trotz des opulenten Frühstücks schien er im Moment keinen Appetit zu haben.
„Ich glaube, ich hätte den Anblick der toten Pferde auch gar nicht ertragen“, sagte er leise. „Ich hing sehr an den Tieren.“
„Hat inzwischen irgendjemand wegen der Sache Kontakt mit Ihnen aufgenommen?“, fragte Berringer. „Wollte jemand Geld haben? Ich meine, wenn das alles wirklich etwas mit dieser Textilmafia zu tun haben sollte, wäre es allmählich an der Zeit, Ihnen entsprechende Forderungen zu stellen. Sie sollten offen mit mir darüber reden, Herr Gerath.“
„Nein, nichts.“
„Dann kann ich nicht ausschließen, dass der Täter in Ihrem persönlichen Umfeld zu suchen ist.“
„Glauben Sie das wirklich?“ Gerath schaute Berringer direkt an, dann schüttelte er wieder den Kopf. „Ich halte das für absurd. Aber bitte, ermitteln Sie in jede Richtung, die Sie für Erfolg versprechend halten. Ich will endlich wieder ruhig schlafen können.“ Er seufzte laut, gab seine steife Haltung auf und lehnte sich zurück. „In der nächsten Woche beginnt die BOOT. Ich nehme an, Sie wissen, was das ist.“
„Ich dachte immer, es hieße das Boot und nicht die Boot.“ Gerath sah Berringer erstaunt an. „Also von einem Düsseldorfer hätte ich das jetzt nicht gedacht“, sagte er sehr ernst und in einem Tonfall, als würde er einen seiner Angestellten tadeln.
Berringer lächelte mild. „Das sollte ein Witz sein.“
„Ein Witz?“
Ich hätte wissen müssen, dass Sie keinen Spaß verstehen, dachte Berringer.
„Natürlich ist mir die BOOT in Düsseldorf ein Begriff.“
„Die größte Messe für Boots- und Segelbedarf in Europa oder so ähnlich. Natürlich stellen wir unsere neuen Fasern vor. Sie werden die Entwicklung auf diesem Gebiet wahrscheinlich nicht so genau mitverfolgt haben, aber es steht eine Revolution in der Textil verarbeitenden Industrie bevor. Stoffe für Badebekleidung und Surfanzüge, die nicht nass werden, wenn man mit ihnen ins Wasser steigt.“
„Klingt für mich absurd“, gestand Berringer. „Oder verstehe ich da etwas nicht?“
„Das ist alles eine Frage der Chemie.“ Gerath zeigte ein mildes Lächeln. „Wir versuchen mit unseren Kunstfasern die Natur nachzuahmen. Es gibt zum Beispiel Insekten, die ins Wasser tauchen können, ohne nass zu werden. Warum sollte uns das nicht beim Menschen gelingen? Ober vielmehr bei seiner Bekleidung? Na ja, ich gebe zu, bis dahin liegt noch ein gewisser Weg vor uns, aber unerreichbar ist das nicht. Und eines steht fest: Wer als Erster das Ziel erreicht macht ein Vermögen.“
„Und Sie hoffen, dass Sie die Nase vorn haben werden.“
„In vielen Bereichen hatten wir das schon. Aber man muss immer Ball bleiben.
Haben Sie schon mal was vom Lotus-Effekt gehört? Feuchtigkeit und Dreck perlen einfach ab. Es können sich im Gewebe keinerlei Flecken bilden. Die Natur macht uns das vor, und wir wollen dieses Verfahren kopieren.“ Mit einem triumphierenden Ausdruck im Gesicht grinste er Berringer an. Als der dieses Grinsen nicht erwiderte, sondern nur mit den Schultern zuckte, fielen seine Mundwinkel nach unten, und er murmelte: „Das alles interessiert Sie offenbar nicht sonderlich.“
„Eine Regenjacke, die nicht durchweicht und in der man nicht schwitzt“, überlegte Berringer laut. „Nun, das wäre nicht schlecht.“
„Sehen Sie, das meine ich. Wie auch immer. Ich kann es mir nicht leisten, wegen der letzten Vorfälle nicht persönlich auf der BOOT präsent zu sein.“
„Business as usual“, sagte Berringer.
„Das können Sie nennen, wie Sie wollen, Herr Berringer. Ich hätte jedenfalls gern, dass Sie während der Messe-Tage auch anwesend sind und das Sicherheitsteam unterstützen, das ich angeheuert habe.“
„Warum? Trauen Sie denen nicht?“
„Ich denke, dass ein Paar Augen mehr einfach auch mehr sehen“, sagte Gerath.
„Wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Berringer entschied sich