SF Abenteuer-Paket 1006 - Raumkapitän am Schwarzen Loch: Science Fiction Sammelband 1006. Margret Schwekendiek
Moosschicht erreichten und auf diese Weise aus dem grünen Etwas herausragten, das die Landmassen dieses Planeten zum größten Teil bedeckte, war das ein imposanter Anblick. Die Riesenraupen näherten sich und hatten keinerlei Scheu vor den Menschen. Offenbar sahen sie die Neuankömmlinge auf Second Earth einfach nicht als ihre Feinde an. Allerdings war auch fraglich, wie gut überhaupt ihre Sinnesorgane ausgeprägt waren. Dr. Myling Smith nahm zusammen mit den Biologen Hans Trenton und Angelina Brodie ein paar weitere Messungen und Scans an den Tieren vor. Manche von ihnen setzten einfach ihren Weg fort und schienen den Menschen keinerlei Aufmerksamkeit zu schenken. Andere verharrten, hoben die Vorderseite ihrer Körper mit der ausgeprägten Fressöffnung ein Stück an und bogen diesen Körperteil nach vorn, sodass man fasst den Eindruck gewinnen konnte, dass sie über einen Kopf verfügten.
Aber das taten sie nicht. Myling Smith wies das anhand einer schnell Tomographie eindeutig nach.
Der Körper der raupenartigen hatte vermutlich keinerlei Augen. Und andere Sinnesorgane waren nicht zu erkennen. „Ich könnte mir vorstellen, dass diese Wesen sich ausschließlich nach ihrem Geruchssinn orientieren“, glaubte die Biologin Angelina Brodie.
In der kurzen Beobachtungszeit war in diesem Punkt keine klare Erkenntnis zu erzielen. Aber da sich die Riesenraupe auf die Pollenwolke zu bewegten, war die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass sie auf diese Wolke in irgendeiner Form reagierten.
„Vielleicht schätzen sie die Pollen als Nahrungszusatz und schlecken sie vom Moos herunter“, meinte Angelina Brodie.
Eine der Raupen vollführte plötzlich eine rasche Bewegung, richtete die Vorderseite des Körpers auf und öffnete die Fressöffnung. Ein Schwall feinster Tropfen drang daraus hervor. Es wirkte wie Haarspray und erfasste den Kopfbereich des Colonels, der allerdings Dank seines Schutzanzugs nicht mit der Substanz in Berührung kam, die die Riesenraupe ausgestoßen hatte.
Colonel Andropow griff nach seiner Handfeuerwaffe, die er an der Seite trug und feuerte drauflos. Ein Feuerstoß von dreißig Projektilen durchlöcherte das Wesen. Das dazugehörende, klackernde Geräusch hatte Arthur Rollins immer an das Geräusch eine Klapperschlange erinnert. Projektilwaffen waren im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts so verflucht leise geworden, dass man sie bei medialen Aufbereitungen bei Videospielen oder Filmen immer akustisch unterstützen musste.
Das Handwerk des Krieges war leise geworden. Leise und in den Augen mancher dadurch wohl auch langweilig.
Der Colonel senkte die Waffe.
Ein zerfetzter Raupenkörper lag vor ihm im Moos.
Die Anzeige seines Ortungsgerätes wurde ihm ins Helmdisplay übertragen. Er wandte sich halb zu Rollins herum. „Das Biest hat mit Salzsäure gespritzt!“
„Magensäure ist auch Salzsäure“, erinnerte Myling Smith den Chef des Sicherheitsdienstes.
Colonel Andropow zuckte die Achseln und steckte die Waffe an ihren Ort. „Angerotzt werde ich von niemandem gerne!“, lautete sein trockener Kommentar.
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Warum Colonel Andropow angegriffen worden war, blieb ein Rätsel. Es stand streng genommen noch nicht einmal fest, dass es sich überhaupt um einen Angriff gehandelt hatte. Zumindest argumentierte Angelina Brodie in diese Richtung.
Die Bodenvibrationen einer sich nähernden Herde von Riesenvögeln wurden indessen stärker.
Als Beltrans sollte man diese Kolosse erst Jahre später bezeichnen, aber James Rüdiger Beltran, der Wissenschaftler, nachdem die Riesenvögel später benannt wurden, gehörte zur ersten Crew, die mit Arthur Rollins den Planeten betrat.
Nachdem man die Herden der Laufvögel bereits aus dem Orbit deutlich hatte orten können, war es selbstverständlich gewesen, dass Beltran an der Mission teilnahm. Schließlich war er der einzige Ornithologe unter den Siedlern des ersten Konvois. Er hatte nie besondere Verdienste auf wissenschaftlichem Gebiet erworben und stattdessen mit einem Versand für Vogelfutter sein Geld gemacht. Seine Teilnahme am ersten Konvoi hatte nicht das Geringste mit seinen Kenntnissen als Ornithologe zu tun. Aber jetzt, da sich herausgestellt hatte, dass die dominierende Spezies der Zielwelt vogelartig war, bekam Beltrans Studium natürlich eine besondere Bedeutung.
Die nächsten Jahrzehnte seines Lebens widmete James Rüdiger Beltran der Erforschung der nach ihm benannten Spezies. In so fern erwarb er sich die Ehre, dass die Riesenvogel-Gattung nach ihm benannt wurde zu recht.
Dreißig Jahre zweifelte das auch niemand an.
Aber später hätte man ihm diese Ehre am liebsten wieder aberkannt…
Allerdings hatte sich sein Name bis dahin so untrennbar mit den Riesenvögeln verbunden, dass es alle Versuche, diese Namensgebung zu revidieren, scheiterten.
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Nachdem die Pollenwolke sich verzogen hatte, wagten es die irdischen Raumfahrer, ihre Anzüge zu öffnen und die Helme abzunehmen.
„Hohes allergenes Potenzial“, bescheinigte Myling Smith den Pollenwolken. „Wenn wir uns hier niederlassen, werden wir eine Lösung für dieses Problem finden müssen.“
„Ich denke, es dürfte nicht allzu schwer sein, entsprechende Schutzmasken zu konstruieren“, glaubte Arthur Rollins. „Und wenn wir erst einmal Gebäude haben, lässt sich eine solche Wolke ja auch dort abwarten, wie ein Regenschauer.“
„Sie bleiben ein Optimist“, stellte Smith fest.
Arthur Rollins hob die Augenbrauen und sog tief die klare, angenehm sauerstoffhaltige Luft von Second Earth in sich hinein. „Bleibt uns irgendeine andere Möglichkeit, Doktor?“
„Wahrscheinlich nicht. Es sei denn, Sie erwägen, noch einmal einen 19 Jahre andauernden Weg zurück zur Erde anzutreten.“
„Ich will niemandem die Illusion rauben, dass eine Rückkehr in die alte Heimat prinzipiell möglich wäre“, sagte Rollins. „Darum wäre ich dankbar, wenn Sie das, was ich Ihnen nun sage, nicht unnötig breittreten. Es ist so, dass die meisten unserer Schiffe die Belastungen eines Rückflugs gar nicht mehr aushalten würden.“
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„Sie kommen“, sagte James Rüdiger Beltran und dabei richtete er seinen Scanner auf die Herde von Laufvögeln, die über die Ebene donnerte. Sie trampelten das Moos platt und es war nahezu unmöglich, vorherzusagen, wohin sich die Herde als nächstes wenden würde. Sie stießen tiefe kehlige Laute aus, die teils im Infraschallbereich lagen und sich über Bodenvibrationen über Hunderte von Kilometern fortsetzen konnten. Aber es gab auch sehr schrille, hochfrequente Laure, deren Obertöne an der Grenze des Ultraschalls im Frequenzspektrum angesiedelt waren.
„Glauben Sie, dass diese Riesenvögel kommunizieren?“, fragte Rollins an James Rüdiger Beltran gewandt.
Der Ornithologe zuckte mit den Schultern, während er intensiv die Anzeigen auf seinem Handheld-Modul verfolgte. „Ich weiß es nicht, die Analyseergebnisse sind nicht eindeutig. Aber ich vermute, dass sie auf ähnliche Weise miteinander Kontakt aufnehmen wie Elefanten. Die Bewegungen der Herde funktionieren wahrscheinlich nach dem Schwarm-Prinzip.“
„Wie bei Heringen“, murmelte Rollins. Dass diese riesigen Trampeltiere eine so wichtige Gemeinsamkeit mit winzigen Wasserbewohnern des Planeten Erde hatten, erschien ihm wie eine Art Ironie der Natur. Rollins war ein überzeugter Atheist. Er glaubte nicht an höhere Mächte, die das Universum lenkten – und schon gar nicht an solche, die irgendeinen Einfluss auf das Schicksal des Einzelnen ausübten. Rollins glaubte vor allem an sich selbst und die eigene Kraft. An die Initiative des Einzelnen. Ein fallendes Blatt konnte einen Wirbelsturm auf der anderen Seite eines Planeten auslösen. Die Mathematik wusste das inzwischen und hatte das, was man früher vielleicht ein Wunder genannt hatte, gründlich entzaubert. Entzaubert, aber vor allem auch durchschaubar gemacht. Rollins glaubte daran, dass Erfolg kein Zufall war, sondern die Folge von Entschlusskraft und der Fähigkeit, den richtigen Augenblick zu erkennen.