Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens
vorhin genug geredet, William David Walker.“ Wie sie mir meinen Namen ins Gesicht spie, hätte sie mich ebenso gut ohrfeigen können.
Ich starrte sie an. „Was meinst du damit?“
„Was meinst du damit“, äffte sie. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du dich wie ein Ochse anhörst, Walker? Wie viel mussten deine Eltern zahlen, damit du an der Universität angenommen wurdest, hä?“
„Ich war vorhin doch gar nicht hier.“
Jetzt war es an ihr zu starren. „Findest du das witzig?“ Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, wandte sie sich an den Mann im schwarzen Anzug. „Gary, kümmere dich doch bitte um den hier“, sagte sie mit ihrer klebrigsten Zuckerstimme.
„Mit dem größten Vergnügen“, knurrte Gary und trat mit knackenden Fingerknochen auf mich zu.
„Diane, ich habe wirklich keine Ahnung, wovon du redest.“ Ich würgte. Gary hatte mich am Schlafittchen gepackt und schnürte mir die Luft ab.
„Raus mit dir, Arschloch“, knurrte er und zerrte mich zum Ausgang. Ich stolperte rückwärts hinter ihm her, während Diane uns mit einer Mischung aus Schadenfreude und Abscheu nachblickte. Ich brachte erst wieder einen Ton hervor, als Gary mich draußen auf der Promenade grob von sich stieß.
Ich hustete. „Gary“, würgte ich hervor, ehe er im Fourier verschwinden konnte. „Mit wem … wem hat sie geredet? Wer war vorhin bei Diane?“
Gary sah mich an. Dieselbe Mischung aus Wut und Unglauben, die ich zuvor bei Diane gesehen hatte, lag nun in seinem Blick. „Willst du mich verarschen? Sie hat mit dir geredet.“
„Aber ich war nicht hier.“
„Versuch nicht, mich für dumm zu verkaufen“, drohte Gary mit zornfunkelnden Augen. „Nicht einmal dein Zwillingsbruder könnte dir so ähnlich sehen. Was soll die Scheiße?“
„Ich …“
„Hör zu, Bursche.“ Gary trat sehr nahe an mich heran. „Ich rate dir, Diane nicht zu unterschätzen. Sie ist in Schwarzwasserhafen aufgewachsen und andere Sitten gewohnt. Sie musste dort einiges durchmachen, aber wenn man glauben darf, was man über sie erzählt, ist sie dort nicht gerade als Heilige bekannt. Wenn ich an die armen Kerle denke, die sich mit ihr angelegt haben, tun sie mir fast leid.“ Sein rotes Gesicht war meinem jetzt so nahe, dass ich die Wärme spüren konnte, die es abstrahlte. Im Flüsterton fuhr er fort. „Offen gestanden glaube ich, dass sie nicht mehr ganz dicht ist hier oben. Wusstest du, dass sie immer ein Messer bei sich trägt? Ich will dir also raten, nicht wieder herzukommen, sonst kann ich für nichts garantieren.“
Ich schluckte schwer und sammelte Mut zu einer Erwiderung. „Ich weiß nicht, wer vorhin mit Diane gesprochen hat“, sagte ich mit stockender Stimme. „Ich war es jedenfalls nicht. Richte ihr bitte aus, dass es mir leidtut. Und dass ich jederzeit bereit bin, über alles zu reden.“ Gary schnaubte und verschwand kopfschüttelnd im Fourier.
Auf dem Heimweg zerbrach ich mir den Kopf darüber, was das alles zu bedeuten hatte. Wer war bei Diane gewesen? Wer sah mir zum Verwechseln ähnlich und kannte mich so gut, dass er mich imitieren konnte? Das war unheimlich! Was hatte der Unbekannte gesagt? Ich dachte an den Hass in Dianes Augen und kam zu dem Schluss, dass es nichts Gutes gewesen sein konnte.
Als ich meine Wohnung betrat, fand ich Emily und Ed in unserer Küche vor. Emily hatte eine entspannte Haltung eingenommen, wohingegen Ed wild gestikulierte.
„Wie kannst du sagen, dass ein Mythos ebenso wahrscheinlich ist wie eine wissenschaftliche Theorie?“, fragte er. „Wie konntest du mit dieser Einstellung überhaupt an der Universität aufgenommen werden?“
„Ich war so umsichtig, es bei der Immatrikulation nicht zu erwähnen“, entgegnete Emily. Sie klang belustigt. „Gegenüber weiblichen Bewerbern haben sie ohnehin Vorurteile.“
Ed schüttelte den Kopf. Dann bemerkte er mich. „Weißt du eigentlich, wen du dir da angelacht hast?“
Ich lächelte und nickte.
„Sie ist verrückt.“
„Ja, aber auf eine liebenswerte Weise.“
„Ihre Sicht der Dinge ist eine Schande für unsere Ideale als Wissenschaftler …“
„Bis gerade eben dachte ich, du kennst dieses Wort nicht einmal“, erwiderte ich.
„Was soll das denn …“
Ich winkte ab. „War doch nur Spaß. Lass gut sein, Ed.“
„Wie lief dein Gespräch mit Diane?“, fragte Emily.
„Es hat nicht wirklich eines gegeben.“
Sie hob die Brauen. „War sie nicht da?“
Ich schüttelte den Kopf und berichtete ausführlich, was geschehen war. Emily und Ed musterten mich sprachlos.
„Irgendjemand gibt sich als du aus und macht dich unbeliebt?“, fragte Ed ungläubig. „Du hast nicht zufällig einen bösen Zwillingsbruder?“ Ich schüttelte den Kopf und warf Emily einen flüchtigen Blick zu. Sie schwieg mit besorgter Miene. Ich wusste genau, was ihr in diesem Moment durch den Kopf ging. Ich hatte mich selbst schon gefragt, ob mein mysteriöser Doppelgänger etwas mit dem Kuss zu tun hatte. Aber das war lächerlich!
„Es gibt nur eine vernünftige Erklärung“, sagte ich, wie um mich selbst zu überzeugen. „Diane und Gary haben sich einen schlechten Scherz erlaubt. Es ist einfach unmöglich, dass es jemanden gibt, der mir bis ins letzte Detail gleicht.“ Emily wirkte nicht überzeugt.
„Warte“, sagte Ed und starrte nachdenklich ins Leere. „Ich habe da so eine Idee. Womöglich bist du eingeschlafen – nein, lass mich ausreden! – Du bist eingeschlafen und geschlafwandelt.“
„Da bin ich doch eher bereit anzunehmen, dass Lotin persönlich das Fourier in meiner Gestalt betreten hat.“
Emily lachte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie flüchtig ihr Mojo berührte. Ed murmelte etwas von wegen, man müsse doch alle Möglichkeiten erwägen, erhob sich und holte drei Flaschen Bier. Wir ließen die Verschlüsse knallen und überlegten bis nach Einbruch der Dunkelheit, was Dianes merkwürdige Reaktion zu bedeuten hatte. Zuletzt erhob Ed sich gähnend von seinem Platz und verkündete, er würde jetzt ins Bett gehen.
Auch Emily und mir juckten die Augen. Ich führte sie nach draußen und begleitete sie bis vor die Tür ihrer Wohnung. Dort umarmten wir uns zum Abschied.
„Vermutlich gibt es für das alles eine ganz vernünftige Erklärung“, sagte Emily, wirkte jedoch von ihren eigenen Worten nicht überzeugt. „Aber nur für den Fall, dass etwas anderes dahinter steckt …“
„Ich werde sicher keine Runen auf meine Tür malen, Emily.“
„Ich wollte bloß sagen, sei auf der Hut“, gab sie leicht pikiert zurück.
Ich lächelte und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Zerbrich dir nicht den Kopf. Alles wird gut, glaub mir. Schlaf jetzt.“ Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss. Ihr Atem stockte und ich musste lächeln. Ich beugte mich zu ihr herab …
„Nicht.“ Sie wich zurück, als hätte sie sich verbrannt.
Ich kam mir ziemlich blöd vor. „Was ist?“
„Wir … sollten das Übel besser nicht herausfordern“, murmelte sie. Ich starrte sie an. Fürchtete sie immer noch, ich könnte auf merkwürdige Weise sterben, wenn wir uns küssten?
„Gute Nacht“, murmelte sie, öffnete die Tür und floh regelrecht in die Wohnung. Ich verharrte eine geschlagene Minute im dunklen Treppenhaus. Schließlich wandte ich mich kopfschüttelnd um und stieg die Treppen hinunter. Konnte Emily so verrückt sein? Oder war es ihr unangenehm, wenn ich sie küsste? Ich war mir nicht sicher, was schlimmer gewesen wäre. Vermutlich Letzteres.
Draußen auf der Straße verharrte ich