Shana, das Wolfsmädchen, und der Ruf der Ferne. Federica de Cesco

Shana, das Wolfsmädchen, und der Ruf der Ferne - Federica de Cesco


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Und kein kanadisches Gesetz war befugt, diese Wahl abzulehnen oder gar zu verhindern.

      »Leona und Marion kennen sich schon seit vielen Jahren und arbeiten eng zusammen«, erzählte Elliot. »Verstehst du jetzt, warum sie nicht mehr fortgehen wird?«

      Ich nickte. Er betrachtete mich etwas unsicher.

      »Dann macht es dir also nichts aus, wenn sie hier wohnt?«

      »Nein, überhaupt nicht.«

      »Du wirst natürlich dein Zimmer behalten.«

      Ich schluckte.

      »Vielleicht werdet ihr Kinder haben…«

      Er starrte auf das Wachstuch.

      »Ja, das kann sein. Würde dir das Probleme machen?«

      »Überhaupt nicht!«, erwiderte ich, aber es war nicht ganz ehrlich gemeint. Der Kaffee wurde kalt. Ich nahm trotzdem noch einen Schluck, bevor ich sagte: »Die brauchen dann mein Zimmer. Ich werde ja nicht oft hier sein.«

      »Dann bist du also einverstanden?«

      Ich antwortete mit einem Kopfnicken. Ein kurzes Schweigen folgte. Nach einer Weile sagte Elliot: »Du bist anders als früher. Eine richtige Lady bist du geworden. Macht das die Musik?«

      Ich starrte aus dem regennassen Fenster der Bahn und musste über den Ausspruch meines Vaters lächeln. Als eine Lady hatte er mich gesehen. Doch hier in der Großstadt wirkte ich kein bisschen wie eine elegante Frau. Es kam wohl immer auf die aktuelle Perspektive an. Auch damals zu Hause hatte ich zunächst über die Frage nachdenken müssen.

      »Ich glaube schon«, hatte ich schließlich gesagt. »Wer sich mit Musik befasst, wird schnell erwachsen. Mr Castaldi – du weißt doch, mein Lehrer – sagt: ›Die Musik verändert den Menschen. Alles verbessert sich, das Denkvermögen, das Gehör, die Wahrnehmung, die Haltung.‹«

      »Aber die Bienen tun das auch!«, rief Elliot. »Marion sagt, sie sind die interessantesten Geschöpfe der Welt.«

      Ich lächelte. Wir mussten erst wieder lernen, miteinander umzugehen. Aber mir schien, dass wir schnelle Fortschritte dabei machten.

      »Das musst du mir beibringen. Ich versteh nichts von Bienen.«

      »Und ich nichts von Musik«, antwortete er. »Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, was uns verändert. Zu besseren Menschen macht. Ich freue mich immer, wenn die Kinder kommen und ich ihnen alles erklären kann. Dann sehe ich das tiefe Staunen in ihren Augen. Sie leben mitten in der Natur und kennen sie trotzdem nicht mehr. Das ist sehr schade. Und ich will etwas tun, damit sich das ändert.«

      Meine Gedanken wurden ganz klar, als würde ich sie laut aussprechen: Ich bin stolz auf dich, Elliot! Und Melanie wird es auch sein. Dann sagte ich leise: »Ich danke dir, Elliot.«

      Er sah mich überrascht an.

      »Ach, wofür denn?«

      »Für die Dinge, die du tust. Und die sehr wichtig sind.«

      Er nickte.

      »Ich mache sie ja auch gerne.«

      »Ja, ich weiß…«

      Wir tauschten einen langen Blick und dann lächelten wir beide gleichzeitig.

      Ich schlief gut in dieser Nacht. Zwar hatte ich, als ich mit meiner Tasche die Treppe zu meinem Zimmer hinaufging, etwas Angst gehabt. Was, wenn die Gespenster von früher noch da waren? Aber es gab keine Gespenster mehr. Sie kommen und nisten sich ein, wenn die Seelen der Menschen krank sind. Sind die Seelen geheilt, verschwinden sie. Es war nur der Geist meiner Mutter, der durch das Haus schwebte, fein wie die Spinnenweben, die man jetzt im Spätsommer in den Gräsern hängen sah. Manchmal war mir, als ob sie mit leichten Schritten umherging, mit sanfter Stimme ein Lied summte, ein Wiegenlied aus der Zeit, als ich noch ein Baby war. Mit dieser Stimme im Ohr schlief ich ein. Als ich erwachte, schimmerte die Sonne durch die Fensterläden und ich hörte die Vögel zwitschern. Elliot war schon wach; es duftete gut nach Frühstück.

      »Ich habe Brot gebacken«, sagt er, als ich frisch geduscht und gekämmt aus dem Badezimmer kam. »Selbst gebacken schmeckt es am besten.«

      Das beste Brot der ganzen Welt, dachte ich. Dazu gab es Rührei mit Speck und frischen Kartoffelsalat. Und den wunderbaren starken Kaffee, ohne den Elliot nicht leben konnte. Und bevor wir tranken, boten wir einen Teelöffel den Ahnen an. Das kleine Ritual wurde jeden Morgen durchgeführt. Jeder bei uns wusste, dass die Ahnen Kaffee sehr gerne hatten.

      Danach frühstückten wir ohne Hast, genossen dieses ganz neue Gefühl unseres Einvernehmens.

      »Musst du schon heute wieder gehen?«, fragte Elliot.

      »Ja, Mike kommt gegen vier.«

      »Dann bleibst du also nicht bis zum Abendessen?«

      »Wenn ich länger hierbleibe«, sagte ich, »werde ich fett.«

      Er lachte, aber es wirkte nur oberflächlich.

      »Weißt du, warum wir zu viel essen?«

      »Keine Ahnung. Weil es euch schmeckt, nehme ich an.«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Nein, Marion hat mir erklärt, warum wir alle Speck um die Hüften haben: Früher verlangte unser Körper nach Fett, um die Zeiten der Dürre und den Winter zu überleben. Wir mussten uns Reserven anfuttern. Tiere machen das ja auch so, oder? Aber heutzutage geht die Rechnung nicht auf, weil wir Junkfood in uns hineinstopfen und den Winter nicht in einem Tipi verbringen, sondern im geheizten Haus. Müsstest du das Eis zerschlagen, um einen Fisch zum Frühstück zu fangen, wärst du um jedes Gramm Fett dankbar.«

      Ich nickte ihm zu.

      »Mir scheint, dass wir das schleunigst wieder lernen sollten! Unserer Figur zuliebe, meine ich.«

      Wir scherzten noch ein wenig und ich stellte mit Erstaunen fest, dass Elliot einen feinen Sinn für Humor hatte. Immer wieder hatte ich das Gefühl, meinen Vater ganz neu kennenzulernen. So plauderten wir über dieses und jenes. Nachdem ich das Geschirr in die Spülmaschine gestellt hatte, während Elliot akkurat jede Pfanne auskratzte, machte ich mich auf zu einem Spaziergang durch das Dorf.

      Die Leute, die mich erkannten, begrüßten mich herzlich. Dann und wann wurde ich angehalten und musste erzählen. Immer das Gleiche, die Leute waren neugierig. Doch ihre Sympathie tat mir gut. Immerhin hatte man mich nicht vergessen! Von meinen früheren Mitschülern sah ich allerdings keinen. Auch sie hatten ihre Schulzeit beendet und waren in einem Beruf gelandet. Darüber nachzudenken, gab mir ein seltsames Gefühl, als ob sich eine Zeitepoche lautlos hinter mir geschlossen hätte. Ich dachte an Alec, meine erste große Liebe. Was wohl aus ihm geworden war? Später erfuhr ich, dass er beim kanadischen Fernsehen in Montreal arbeitete. Ich freute mich, dass es ihm gut ging. Wir alle haben unser Leben, dachte ich, und machen daraus, was wir können. Es gehört wohl dazu, dass wir uns dabei aus den Augen verlieren. Doch die Kindheit war trotzdem immer da, in einer Form von Stille, die jedem von uns eigen war. Mit vierzehn hatte mein Leben eine unerwartete Richtung eingeschlagen. Gewiss machte nicht jeder eine solche Erfahrung, die auf ihre Art sehr brutal gewesen war. Aber irgendwann fährt durch jedes Leben ein Trennschnitt – zack! – und es gibt keine Wiederkehr. Die Begabung, die ich in mir trug, die ich angenommen und nie hinterfragt hatte – ich wollte mich bemühen, sie gerecht und sinnvoll einzusetzen. Es gab viele Menschen, unzählige, denen ich eine Freude machen wollte. Und es spielte dabei keine Rolle, ob sie lebten oder schon tot waren. Sie waren ja alle noch da.

      Nach einer Weile merkte ich, dass meine Schritte mich – fast unbewusst – in Richtung des kleinen Stadthauses trugen. Die Wahrheit war, dass ich zu Marion wollte, um ihr zu sagen… ja, was eigentlich? Dass mein Vater mir alles erzählt hatte? Ja, wahrscheinlich. Hoffentlich mag ich sie, dachte ich, mit einem leichten Angstgefühl.

      Das neue, moderne


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