Der kahle Berg. Lex Reurings

Der kahle Berg - Lex Reurings


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Wegen. Ihre authentischen Berichte erzählen von Unsicherheit und Leid und vom Glücksgefühl, das alle Mühsal und alle Unannehmlichkeiten vergessen lässt, sobald man einmal oben ist, am Fuße des Observatoriums.

      Aber Der kahle Berg belässt es nicht dabei. Dieses Buch erläutert mittels ausgeklügelter Trainingspläne, wie man sich am besten auf die Bezwingung des Riesen der Provence vorbereitet. Es liefert Tipps von erfahrenen Experten zur Wahl der richtigen Kleidung, Ernährung, Ausrüstung und Übersetzung. Es enthält Steigungsprofile und Übersichtskarten der verschiedenen Routen hoch zum Observatorium, bietet einen Überblick über schöne Radtouren und jährliche Radsportereignisse in der Umgebung und verweist auf weiterführende Lektüre in Form vieler hilfreicher Bücher, DVDs, Websites etc., die sich mit dem Mont Ventoux, der Provence oder dem Radfahren beschäftigen.

      Zudem erzählt dieses Buch auch von der besonderen Rolle, die der Mont Ventoux in der Geschichte von u.a. Paris–Nizza, der Dauphiné Libéré und der Tour de France spielt – und von Tommy Simpson, dessen Schicksal die natürliche mythische Wirkung des Mont Ventoux nur noch verstärkt hat.

      Auch all diejenigen, die zwar nie verstehen werden, was einen Menschen antreibt, solche Berge mit dem Fahrrad hochzufahren, aber sich doch schon für diesen wundersamen Berg interessieren, finden ebenfalls noch genug Lesestoff. Es gibt Kapitel über seine Entstehungsgeschichte und seine denkwürdigen geografischen Eigenheiten, über die Geschichte der Provence und die Besonderheiten der Dörfer im Schatten des Ventoux und auch über die herausragende Rolle, die dieser Berg im Werk etlicher Schriftsteller und bildender Künstler spielt. Denn auch der Nicht-Radfahrer kann sich dem Zauber des Ventoux nicht entziehen. Auch für ihn ist er ein Berg zum Einrahmen.

      14 PROZENT

      Heesch (Noord-Brabant, Niederlande). Ich habe in letzter Zeit oft mit meinem Kumpel darüber gesprochen: In der kommenden Saison müssen wir was dagegen unternehmen. Sieben Kilo müssen runter, vorerst kein Bier mehr und auch keine Süßigkeiten, viermal die Woche trainieren, auch bei miesem Wetter, und Ende Mai, Anfang Juni jagen wir den Mont Ventoux hoch. Müdes Geplapper mit einem Unterton von: Ach, Junge, wir werden alt, wir gehen aus dem Leim, es muss etwas passieren. Wenn wir weiterhin glaubwürdig über diesen Berg mitreden wollen, dann müssen wir etwas tun!

      Dienstag, 27. Dezember. Und wir haben angefangen. Wir hatten richtigerweise geahnt, dass der Körper sich nach Weihnachten nach Betätigung sehnen würde, nach Bewegung. Der vom Fitnessstudio organisierte Spinningmarathon bietet eine Lösung: vier Stunden Radfahren am Stück. Okay, zwar drinnen, aber angesichts des schlechten Wetters und der noch winterlichen Straßen eine nette Alternative.

      Ein Beamer, der unsere Videofilme von den Ventoux-Auffahrten und -Abfahrten von Bedoin und Malaucène groß an die weiße Wand projiziert, 26 Spinningbikes, exzellentes Catering, dröhnend bollernde Musik, »Hintern aus dem Sattel, achte auf deine Haltung«, und treten, treten, treten, treten. Langsam, aber sicher verschwinden die Spiegel hinter tropfender Kondensation. Vier Stunden nach dem Start fühlen sich die Beine hervorragend an, aber das Sitzfleisch protestiert: Es liegt noch viel Arbeit vor uns…

      Samstag, 31. Dezember. Die »Top 2000«, der Radio-Hit-Marathon zwischen den Jahren, dröhnt durchs Haus, ein Rindertopf köchelt seit fast acht Stunden langsam vor sich hin. Und aller Anfang ist schwer: Eine Rum-Rosinen-Kugel findet ihren Weg nach unten, begleitet von einem kräftigen Schluck von fast 14 Prozent. 14 Prozent, die letzte Kurve der Südrampe von Bedoin…

      Dreimal pro Woche stampfen und schwitzen wir im Spinningsaal mit zu viel Lärm auf den Ohren, Schweißpfützen auf dem Boden und pitschnassem Shirt. Deep Purple, »Smoke on the Water«, auf Platz 64.

      In zwei Wochen werde ich 65. Fünfundsechzig… Und ich mache mir Sorgen wegen dieses dämlichen Bergs. Vierzigmal bin ich inzwischen mit dem Rad dort hinaufgefahren, rund hundertzwanzigmal hat das Auto den Job für mich erledigt, aber jetzt – jetzt! – muss ich mir so dringend wieder was beweisen: ohne absteigen bis nach oben oder ohne Schlangenlinien oder ohne eingeholt zu werden oder noch mal dreimal an einem Tag oder vielleicht mal rückwärts mit dem Fahrrad oder was auch immer. Eine verzögerte beziehungsweise hartnäckig anhaltende Midlife-Crisis? Mit fünfundsechzig? Höre ich da den Ventoux sich ins Fäustchen lachen?

      Aus: Willem Janssen Steenberg, Voor eigen parochie – Columns 2003-2011

      DER BERG

      »Man kann Rad fahren, was man will, aber letztlich geht es um

      die 20 Kilometer, die auf den Gipfel des Mont Ventoux führen.«

      – Bart Jungmann: Fietsroutes – Zeven favorieten, in: de Volkskrant, 2. März 2013

       Der Name

      Riese der Provence, weißer Wächter der Provence, Zuckerbrot, kahler Berg, Midlife Mountain. Es sind Spitznamen, die keiner weiteren Erklärung mehr bedürfen, und für den Literaturliebhaber ist auch die Bezeichnung Olymp des Südens eindeutig. Viele Radfahrer werden sich auch ihren eigenen Kosenamen ausgedacht haben, aber lassen Sie uns nicht darüber reden – in der Öffentlichkeit benutzt man nicht den Kosenamen seiner Geliebten.

      Mont Ventoux – Höhe: 1.909 Meter; geografische Koordinaten: 44° 10’ 26’’ N, 5° 16’ 38’’ O. Woher hat das etwa 25 mal 15 Kilometer große Massiv an der Grenze der Départements Drôme und Vaucluse, etwa 40 Kilometer nordöstlich von Avignon gelegen, seinen Alltagsnamen, so wie er im Michelin-Führer steht?

      Die offensichtlichste Erklärung hat mit dem Französischen le vent zu tun: der Wind. Mont Ventoux bedeutet in dieser Interpretation »windiger Berg« oder »windumtoster Berg«. Diese Erklärung kommt nicht von ungefähr. Jeder, der schon einmal inmitten eines starken Mistrals1 an der Spitze der Mondlandschaft gestanden hat, wird diese Erklärung sehr plausibel finden. Und wenn wir die meteorologischen Daten und Fakten betrachten, bestätigt sich, was viele Radfahrer während ihrer Plackerei bergauf persönlich erlebt haben: Auf dem Ventoux kann es gehörig toben; die D 974 heißt 70 Meter unterhalb des richtigen Gipfels nicht umsonst Col des Tempêtes oder »Pass der Stürme«. Hören wir also besser gut auf die Warnungen, wenn das Wetterinstitut »starke Windböen mit Spitzen von 120 bis 150 km/h« kommen sieht; auf dem Ventoux wurden als Rekord schon 320 km/h gemessen.

      Die zweite Erklärung für den Namen Ventoux ist etwas subtiler. Das Wort Ventoux geht möglicherweise zurück auf das Keltische des ersten oder zweiten Jahrhunderts, die Sprache des Stammes, der damals in diesen Gegenden lebte. Bodenfunde auf dem Gipfel des Berges deuten auf die Möglichkeit hin, dass die Kelten dort den Berggott Vintur verehrten. Dessen Name soll sich von ven-topp ableiten, was so viel wie »schneebedeckter Gipfel« bedeutet. Der Vorsilbe ven wird übrigens auch die Bedeutung »weithin sichtbare Anhöhe« zugeschrieben. Dies sind durchaus nachvollziehbare Bezeichnungen für einen Berg, der von November bis Ende März/Anfang April unter einer Schneedecke begraben liegt und auch im Sommer eine glänzend weiße Spitze besitzt. Auch im Juli oder August kann hier noch mal kurz Schnee fallen und es ist alles andere als ungewöhnlich, wenn Ende Mai/Anfang Juni in einer schattigen Ecke an der Nordflanke des Massivs noch Schnee liegt.

      Eine dritte »Übersetzung« des Namens Mont Ventoux, die ebenfalls mit der Götterverehrung auf dem Gipfel zusammenhängt, soll, so meinen einige, »Berg aller Geister« lauten. Wer die Wahrheit kennt, soll es sagen.

       Die Höhe

      Die Höhe des Ventoux war im Laufe der Jahrhunderte recht variabel, wenn man den Messungen vertrauen darf. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts glaubte man den Gipfel auf 2.027 Metern Höhe, später kam man auf 1.976 Meter, auf 2.019 Meter und im Jahr 1823, sehr genau, auf 1911,4 Meter. Im Jahr 1882 wurden 1907,870 Meter gemessen – ja, auf den Millimeter genau. Die französische Luftwaffe gibt an, dass der Ventoux 1.912 Meter hoch ist. Diese Höhe nannte auch das Schild, das bis vor einigen Jahren über dem »Laden« hing, obwohl man hier bei genauerem Hinsehen noch undeutlich 1.909 Meter lesen konnte, die Höhe, die sich auch auf den berühmten Michelin-Karten findet.

      Das Schild


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