Der kahle Berg. Lex Reurings
dass alle menschlichen Aktivitäten wie Forstwirtschaft, Jagd, Trüffelsuche, aber auch Tourismus etc. genehmigungspflichtig sind, ebenso wie alle Arten von wissenschaftlichen Aktivitäten. 1994 wurde das Projekt offiziell von der UNESCO anerkannt.
Non au Parc!
Wenn Sie von Bedoin aus hoch zum Gipfel fahren, können Sie an mehreren Stellen auf dem Asphalt und zum Beispiel auch an den Scheunen in der Kurve kurz vor den Ferienhäusern am Chalet Reynard die eindringliche Forderung »Non au Parc!« lesen. Was hat es damit auf sich?
Überall im Land schafft der französische Staat Regionalparks. Diese oft großen Flächen zeichnen sich durch eine einzigartige Landschaftsstruktur oder eine empfindliche Natur aus. Der Parc Naturel Régional du Luberon, ein Stück weit südlich des Ventoux, ist ein solcher Park: 185.000 Hektar, 171.000 Einwohner.
Die Idee hinter der Einrichtung regionaler Naturparks ist, dass die betreffende Landschaft geschützt und nachhaltig entwickelt werden soll. Das bedeutet, dass beispielsweise wirtschaftliche und touristische Aktivitäten, die in irgendeiner Weise schädlich für die Natur sein könnten, eingeschränkt werden müssen.
Die Bewohner Bedoins, insbesondere diejenigen, die ihren Lebensunterhalt am Ventoux verdienen, sind über die Pläne zur Einrichtung eines Parks gespalten, und auch in den anderen Dörfern der Region gibt es viele Bedenken.
Aber der Park wird kommen! Noch im Jahr 2020 wird der neunte regionale Naturpark Südfrankreichs eingerichtet: ein Gebiet rund um den Mont Ventoux, das etwa von Carpentras im Westen bis an die Grenze des Départements Alpes-de-Haute-Provence im Osten und von Vaison-la-Romaine im Norden bis zu den Monts de Vaucluse im Süden reicht. Der Park wird 91.600 Hektar umfassen, von denen 58 Prozentauf Naturgebiete entfallen und 33 Prozent auf landwirtschaftliche Nutzflächen, und er wird gut 90.000 Einwohner haben.
Gebäude
Wenn es wahr ist, dass zu Beginn unserer Zeitrechnung oben auf der Kuppe des Ventoux der Gott Vintur verehrt wurde, muss es dort so etwas wie ein Heiligtum, einen Tempel oder dergleichen gegeben haben, wo der Gottesdienst zu seinen Ehren stattfand. Dabei dürfte es sich dann wohl um das erste Gebäude auf dem Berg gehandelt haben. Archäologen haben jedoch nicht mehr als ein paar Überreste von Gegenständen finden können, die möglicherweise für den Gottesdienst verwendet wurden.
Chapelle de la Sainte-Croix. Wahrscheinlich war die Chapelle de la Sainte-Croix (die Kapelle des Heiligen Kreuzes) das nächste echte Gebäude auf dem Ventoux. Die Kapelle wurde Ende des 15. Jahrhunderts im Auftrag des Bischofs von Carpentras, Pierre de Valetariis, errichtet. Ganz oben auf dem Gipfel gelegen, wurde die Chapelle de la Sainte-Croix bald zu einem Wallfahrtsort, denn der Bischof brachte dort im Jahr 1500 eine wertvolle Reliquie unter: Ein Einsiedler passte auf Fragmente des Kreuzes auf, an dem Jesus gestorben sein soll.
Während der Religionskriege – vom 13. bis zum 17. Jahrhundert – und der Französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Gebäude mehrmals zerstört und wiederaufgebaut. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es eine komplette Ruine, und der geplante Bau der militärischen und zivilen Einrichtungen auf dem Gipfel war ebenfalls ein Grund, warum die Kapelle endgültig weichen musste. Am 19. Juli 1936 wurde auf einem kleinen, nach Südwesten ausgerichteten Grat unterhalb des Restaurants Vendran eine neue, moderne Kapelle eingeweiht. Vom Vendran aus ist sie über einen Pfad erreichbar. Regelmäßig finden hier Gottesdienste statt.
Vendran. François Vendran, der erste Betreiber des heutigen Gasthauses, beherbergte die allerersten Touristen, die auf dem Ventoux übernachten wollten, anfänglich noch in drei Zimmern des Observatoriums. Unterstützt von Bürgermeister Maxime Favier und auch von den Wetterbehörden, die sich durch das Verhalten der Gäste in ihrer Arbeit gestört fühlten, errichtete er bald eine richtige Herberge: Am 20. September 1903 wurde am Südhang des Gipfels das Hôtel de l’observatoire du Mont Ventoux, auch bekannt als Hôtel Vendran, eröffnet. Es hatte damals acht Zimmer und die Küche erwarb sich einen ausgezeichneten Ruf.
Auch in heutiger Zeit ist das »Vendran«, wie Besucher aus unseren Landen die Brasserie in den Promenadendecks kurz und bündig nennen, noch ein ausgezeichneter Zwischenstopp mit einer herrlichen Aussicht auf die Plaine de Vaucluse. Über den Tischen auf der Südterrasse hängt mittlerweile eine schöne Gedenktafel mit dem schnurrbärtigen Antlitz von Paul de Vivie, besser bekannt als Vélocio. Wie ein Heiligenschein umgibt seinen Kopf der Schriftzug: »Les cyclotourists à Vélocio«5.
Zweiter von links: Paul de Vivie. Neben ihm Thérèse Roumanille, die erste Frau, die 1929 (einige Quellen meinen sogar bereits im September 1927) im Alter von gerade mal 16 Jahren von Malaucène aus mit dem Fahrrad querfeldein den Mont Ventoux hinauffuhr. Begleitet wurde sie von ihrem Onkel Hippolyte Roumanille und dem damals 76-jährigen (!) Paul de Vivie.
Die NBG De Kale Berg, eine Vereinigung niederländisch-belgischer Radsport- und Ventoux-Enthusiasten, hat eine der Routen, die Teil des »Forestier« und des »Grandonneur« ist, nach ihr benannt. Man sagt, dass bereits im Juni 1927 jemand per Fahrrad den Gipfel erreicht haben soll. Sein bzw. ihr Name ist nicht bekannt.
Observatorium. Der auffälligste Blickfang ist natürlich der weiße Turm mit der hoch aufragenden »Feuerwerksrakete« oder »Mondrakete«, wie die Franzosen seine rot-weiße Spitze nennen. Obwohl die meisten Radfahrer (und auch viele andere) das bemerkenswerte Gebäude umgangssprachlich Observatorium nennen, ist es eigentlich gar keines. Das ist es auch nie gewesen. Die Büros der Beobachtungsstation und die Unterkünfte für deren Mitarbeiter und ihre Familien befanden sich vielmehr in dem Gebäude, in dem heute unter anderem der »Laden« untergebracht ist. Die eigentlichen Beobachtungen erfolgten auf der Plattform, die sich etwas höher auf dem Berg befindet, hinter dem Hauptgebäude. Man kann dort leider nicht mehr hoch, denn genau wie die Treppe, die zu ihr hinführt, bedarf sie dringend ein paar Instandsetzungsarbeiten, um es vorsichtig auszudrücken. Auf dieser Plattform waren die verschiedenen Messinstrumente aufgestellt, ungeschützt Wind und Wetter ausgesetzt. Um immerhin die Besatzung der Wetterstation nicht mehr als unbedingt notwendig den teilweise schlechten Wetterbedingungen auszusetzen, wurde eine überdachte Verbindung zwischen der Plattform und dem »Bürogebäude« errichtet. Dieser oberirdische Korridor existiert noch.
Der damalige Landwirtschaftsminister (!) François de Mahy und der Bürgermeister von Bedoin, Maxime Favier, legten am 16. Mai 1882 den Grundstein für das Observatorium. Sie wären keine echten Franzosen, wenn sie dieses Ereignis nicht mit Grandeur begangen hätten. Laut der Pressemitteilung, die die Association Infoclimat anlässlich der Inbetriebnahme der neuen Messstation im Jahr 2016 herausgab – siehe Der braune Turm in: Der Berg, S. 33 –, begannen die Bauarbeiten offiziell mit den Worten: »Herr Minister, wir bitten Sie, den Grundstein für einen Tempel zu legen, der der Wissenschaft geweiht sein wird, jener Göttin, die den Menschen erhebt und adelt.« De Mahy, einer pompösen Sprache ebenfalls nicht abgeneigt, antwortete: »Ich bin mit Freude hergekommen, um zu sehen, wie man Wind und Sturm seinen Willen auferlegt.« Schön gesagt, nicht wahr?
Bei dieser Gelegenheit belohnten die beiden Herren zudem auch Gabriel Provane6 für seine Initiative und seine Hartnäckigkeit, den Weg von Bedoin hinauf zum Gipfel angelegt zu haben, indem sie ihm den Verdienstorden verliehen – siehe Die Straßen in: Der Berg, S. 36.
Im Dezember 1884 wurde der erste Teil des Observatoriums in Betrieb genommen, aber erst um 1890 herum war dieses Geisteskind des Ingenieurs Henri Bouvier vollständig umgesetzt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurden die meteorologischen Beobachtungen eingestellt. Von 1916 bis 1920 gab es zwar wieder einen Meteorologen dort oben, aber aus organisatorischer Sicht war alles ein einziges Chaos, weshalb die Verwaltung des Vaucluse das Gebäude im Jahr 1926 mit allem Drum und Dran für den symbolischen Betrag von einem Franc an den französischen Staat verpachtete. Kurz darauf tauchten die ersten Antennen auf dem Dach auf.
Später