Der kahle Berg. Lex Reurings

Der kahle Berg - Lex Reurings


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Les Bruns mit seinem blau bemalten Baum und durch Sainte-Colombe und passiert schließlich die berühmte Marmorlinie in der Straße (die für viele der Beginn des Anstiegs ist), um dann am Brunnen in Bedoin auszulaufen.

      Wo die D 974 nach etwa hundert Kurven und 21,5 Kilometern schließlich auf der Espace Marie-Louis Gravier endet, wurde über dem Schild, das die Richtung zum Mont Ventoux anzeigt, eine Gedenktafel für Tom Simpson an einer Wand angebracht. Einige Mitglieder der Sozialkasse für Sportjournalisten aus Marseille wollen auf diese Weise das Andenken an den britischen Fahrer wachhalten – auch für diejenigen Bedoin-Besucher, die nicht auf den Berg hinauffahren können oder wollen.

      Auf der anderen Seite der Espace Marie-Louis Gravier befindet sich das Bar-Restaurant Portail de l’Olivier, das von der belgischen Familie Lemmens betrieben wird. Eine riesige, etwa 250 Jahre alte Platane überragt die Terrasse und an der Fassade befindet sich eine Gedenktafel, die im Namen der beiden Bürgermeister Luc Reynard und Willy Vanhooren stolz die Städtepartnerschaft zwischen Bedoin und der flämischen Küstenstadt Bredene verkündet.

      Willy Vanhooren, nicht nur Bürgermeister von Bredene, sondern auch passionierter Rennradfahrer und mehrfacher Bezwinger des Ventoux, versprach vor den Kommunalwahlen vom 8. Oktober 2000 feierlich: Wenn er zum dritten Mal zum Bürgermeister seiner Gemeinde gewählt werden sollte, würde er von seinem Arbeitsplatz aus nach Bedoin radeln. Nach seiner Wiederwahl zögerten die Einwohner von Bredene natürlich nicht, ihn sogleich an sein Versprechen zu erinnern. Und so machte sich Vanhooren also am 15. August 2002 mit einer neunköpfigen Delegation im Namen des Stadtrates auf den Weg, um in sieben Tagen mit dem Rad nach Südfrankreich zu fahren. Am 21. August konnte er seinem Kollegen Reynard tatsächlich die Hand schütteln.

      Natürlich verdiente eine solche Reise von Amtsträgern eine offizielle Note und auch ein nicht-sportlicher Grund für die Verbrüderung zwischen den beiden Gemeinden war schnell gefunden. Bedoin verfügte mit der Domaine de Bélézy schon seit Jahren über einen FKK-Campingplatz und Bredene hatte Mitte 2001 zur Freude textilfreier Touristen als erste Gemeinde Belgiens einen FKK-Strand eingerichtet. Wenn das nicht Grund genug für eine hübsche Gedenktafel ist…

      Die Abfahrt nach Malaucène. 1932 wurde die Straße über die Nordflanke des Berges eröffnet. Diese Ehre gebührte dem sozialistischen Minister Édouard Daladier, der aus Carpentras stammte, lange Zeit verschiedene Ministerien leitete und auch mehrmals Premierminister war. Die Tatsache, dass eine solche Berühmtheit die Route Malaucène–Mont Ventoux einweihte, zeigt, welche Bedeutung der Verbindung seinerzeit beigemessen wurde.

      Die Abfahrt nach Malaucène weist etwas weniger markante Stellen auf als das Pendant nach Bedoin.

      Auffallend ist, dass in den hohen senkrechten Gesteinsfalten in den Haarnadelkurven etwa zwei Kilometer vom Gipfel entfernt selbst Ende Mai oder Anfang Juni oft noch viel Schnee liegt, auch wenn es an anderer Stelle am Berg bereits brütend heiß ist.

      Ein vielbesuchtes touristisches Ziel ist die Skistation Chalet Liotard, die 1947 an den Pisten von Mont Serein (1.400 m) erbaut wurde, etwa sechs Kilometer unterhalb des Gipfels des Ventoux. Wie gesagt: 1932 wurde die Straße von Malaucène zum Gipfel offiziell eingeweiht. In diesem Jahr fanden auch die ersten echten Wintersportaktivitäten rund um Mont Serein statt. Für den Komfort der Skifahrer wurden mehrere hölzerne Schutzhütten errichtet. Eines dieser Gebäude, direkt in der Nähe von Mont Serein, wurde während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von der französischen Regierung genutzt. 1947 wurde es dann von der Familie Liotard übernommen, die ein Stockwerk oben draufsetzte und das so entstandene Chalet fortan als Hotel-Restaurant nutzte. Im Jahr 1995 wurde das Chalet dann, unter Beibehaltung des eingeführten Namens, von neuen Betreibern übernommen.

      Der Ort an sich ist nicht sonderlich spektakulär, aber das wird durch die überwältigende Aussicht mehr als wettgemacht. An klaren Tagen kann man von hier aus mit bloßem Auge die sich auf dem weißen Gipfel des Mont Blanc spiegelnde Sonne sehen! Und man kann dazu sehr gut speisen.

      Die Umgebung des Chalet Liotard und die Freiflächen in Mont Serein dienen an Tagen, an denen die Tour de France den Mont Ventoux ansteuert, als Parkplatz.

      Ein paar Kilometer weiter in Richtung Malaucène befindet sich der steilste Abschnitt dieser Abfahrt, die »Grande Descente«: drei Kilometer mit einem Gefälle zwischen 10 und 10,9 Prozent.

      Es lohnt sich, beim Belvédère (965 m, 9,5 km vor Malaucène) anzuhalten; die Aussicht auf die Rochers des Rams im Norden ist einen Zwischenstopp wert.

      Man fährt leicht daran vorbei, aber keinen Kilometer weiter, auf 916 Metern Höhe, liegt auf der rechten Straßenseite die berühmte Gîte forestier des Ramayettes, ein Försterhaus aus dem 19. Jahrhundert, das eine zentrale Rolle bei der »Renaturierung« des Mont Ventoux spielte. Fotografien aus den 1880er Jahren zeigen komplette Dorfgemeinschaften, die rund um Les Ramayettes mit der Aufforstung einer völlig kargen Umgebung beschäftigt sind: Dies war einer der Orte, von denen aus die Wiederaufforstung angegangen wurde. Heute liegt das Ramayettes inmitten einer baumreichen Landschaft. Das Haus wird von der französischen Wasser- und Forstdirektion Eaux et Forêts unter anderem als Lager genutzt.

      Rund dreieinhalb Kilometer weiter Richtung Malaucène, auf 708 Metern Höhe, folgt das berühmte Panorama mit Blick auf die Montagne de Piaud und wiederum zwei Kilometer darauf geht es durch die sogenannte Virage Indurain, die Spitzkehre, in der Miguel Indurain bei der Tour de France 1994 sein Rad nur mit Mühe und Not auf der Straße halten konnte. Auch viele übermütige Hobbyfahrer mussten hier schon mit pochendem Herzen einen Fuß auf den Boden setzen…

      Etwas weniger als einen Kilometer weiter die Straße hinunter erhebt sich praktisch direkt neben der Fahrbahn der Rocher du Portail Saint-Jean. Gemäß einer jahrhundertealten Überlieferung öffnet sich zu Weihnachten um Mitternacht beim ersten Schlag der Uhr das Portal, um den Anwesenden einen Blick auf eine Ziege mit einem goldenen Mantel zu gewähren, die einen riesigen Schatz in einer tiefen Höhle bewachen soll. Niemand, der bei Verstand ist, würde es jedoch wagen, die Kostbarkeiten stehlen zu wollen, denn beim Klang des zwölften Schlages, so die Legende, schließt sich das Portal wieder hinter allen übermütigen Schatzjägern. Eine jüngere, katholische Version dieser Tradition sieht vor, dass Neugierigen während der Nachtmesse in der kurzen Zeit zwischen der Lesung aus den Apostelbriefen und dem Evangelium ein Blick auf die Kostbarkeiten gewährt wird.

      Der Schatz soll dort von den Sarazenen zurückgelassen worden sein, die mit ihren Banden seit Jahrhunderten die Provence unsicher gemacht hatten, ehe sie Ende des zehnten Jahrhunderts vom provenzalischen Adel für immer vertrieben wurden.

      Etwa anderthalb Kilometer vor Malaucène kommt man zur Source du Groseau. Am Fuße einer hohen, steilen Felswand fließt hier kristallklares (Trink-)Wasser aus einer Reihe von Löchern und Spalten in ein schönes, rustikales Becken, aus dem der Groseau seinen Lauf fortsetzt – ein idealer Ort zum Entspannen.

      Es ist bemerkenswert, dass die erste Frau, die den Ventoux von Malaucène aus mit dem Fahrrad bezwang, dies am 15. September 1929 tat. Die Leistung von Thérèse Roumanille – siehe Vendran in: Der Berg, S. 31 – verdient umso mehr Bewunderung, wenn man bedenkt, dass sie ab der Groseau-Quelle auf einer route forestière fuhr, also einem schmalen Waldweg, der mit scharfen Kieselsteinen übersät war. Nein, da haben es heutige Fahrer doch besser: Es wurde eine anständige Asphaltstraße angelegt und vor allem seit den großen Instandsetzungsmaßnahmen 2003 und 2017 ist die Fahrt auf der D 974 auf diesem Abschnitt ein Genuss. Mit anderen Worten: Man kann schnell abfahren, hier und da sogar sehr schnell. Aber Vorsicht: Bevor man Malaucène erreicht, sind einige unübersichtliche und scharfe Kurven zu bewältigen.

      Die Abfahrt nach Sault. Die Route vom Chalet Reynard hinab nach Sault (der Anschluss der D 164 an die D 974 erfolgte erst im Jahr 1950) ist eine Streckenvariante für Liebhaber von Ruhe, Stille und Natur. Die Straße schlängelt sich gemächlich durch den Wald; als Radfahrer muss man in der Abfahrt ordentlich reintreten, um den Tacho über 65 km/h zu halten.

      An verschiedenen Orten wie dem Belvédère auf 1.327 Metern Höhe, etwa fünf Kilometer nach dem Chalet Reynard, wurden Picknickplätze angelegt. Es lohnt sich, hier anzuhalten,


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