Der kahle Berg. Lex Reurings
in: Der Berg, S. 32. Die Planungen sahen vor, dass anschließend auf dem Gipfel eine meteorologische Messstation errichtet werden würde.
Ende der 1870er Jahre machten sich die Herren Bouvier und Morard, ihres Zeichens Ingenieure von Ponts et Chausées, der französischen Straßen- und Wasserbaubehörde, ans Werk. Leiter der Arbeiten war Gabriel Provane.
Beim Bau der heutigen D 974 folgten Bouvier und Morard bis zum Chalet Reynard der uralten Trasse durch die Combe de Roland, einem kurvenreichen Pfad, der an natürlichen Rastplätzen und Tränken für die Pferde vorbeiführte. Der Pavillon de Roland am Straßenrand und das Collet de Roland in der Nähe bewahren bis heute den historischen Namen – wer genau dieser Roland war, ist allerdings nicht bekannt. Nach drei Jahren harter Arbeit wurde die Straße im Jahr 1882 eingeweiht und am 16. Mai 1882 begann man mit dem Bau des Observatoriums.
Am 19. Oktober 1884, noch vor der Fertigstellung des Gebäudes, wurde François-Auguste Blanc der erste meteorologische Beobachter auf dem Gipfel des Ventoux; 1890 folgte ihm Paul Provane. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war die Station ständig besetzt und so war der Mont Ventoux, bis dahin ausschließlich das Reich der Hirten und Jäger, bereit für das neue Zeitalter.
Man sollte sich allerdings nicht allzu futuristische Vorstellungen von der neuen, noch ungepflasterten Verbindung machen: Die Reise von Bedoin nach oben, natürlich mit Pferd und Wagen, dauerte immer noch etwa sechs Stunden. Erst zwischen 1930 und 1934 wurde die Trasse in Teilen asphaltiert, so gut dies die Erlöse zuließen, die Sammelaktionen unter der lokalen Bevölkerung einbrachten. Zumindest ein Mann war nicht sehr begeistert von der neuen Straße. Für seine Forschungen über die Flora und Fauna des Ventoux hatte der berühmte Wissenschaftler Jean-Henri Fabre (1823–1915) den Berg mehr als 50-mal bestiegen – zu Fuß wohlgemerkt. Und nun all die Pferde und Maultiere! »On a fienté sur le Ventoux!«, lautete seine wütende Reaktion: »Sie haben den ganzen Ventoux vollgeschissen.«
Die neue Ära gewann an Dynamik, als kurz nach der Jahrhundertwende das Automobil auf der Bildfläche erschien: Die ersten Autos der Marke De Dion-Bouton benötigten 1900 nur zweieinhalb Stunden für die Strecke zum Gipfel.
1901 konnte das erste »Bicyclette« auf dem Gipfel bewundert werden und 1903 kam Marthe Hesse als erste Frau nach oben; sie war in Bedoin aufgebrochen. In einem langen Rock und mit einem hübschen Hut auf dem Kopf, so wie es sich damals für eine Dame geziemte, radelte sie die Rampen hinauf. Erst 1929 kam dann die erste Frau mit dem Rad oben an, die in Malaucène losgefahren war – siehe Vendran in: Der Berg, S. 31.
Als 1932 die Straße von Malaucène zum Gipfel des Ventoux eröffnet und mit der bestehenden Route von Bedoin verbunden wurde, entstand an der Stelle, an der die Zufahrt zum ehemaligen Réseau-Terminal T2 beginnt, der Col7 des Tempêtes (1.841 m), und wurde es möglich, den Berg zu »überqueren«.
In der ersten scharfen Kurve in der Abfahrt zum Chalet Reynard, in der Nähe des Col des Tempêtes, steht das Denkmal für Brügge–Mont Ventoux, eine internationale Radfernfahrt für Hobbyradsportler, die 2014 ihre 40. und letzte Auflage erlebte. Zumindest wenn man kurz vor der Kurve einmal über seine linke Schulter schaut, ist die Stele eigentlich nicht zu übersehen. Bei der Auffahrt fällt sie jedoch deutlich mehr ins Auge – siehe Appellation Contrôlée, S. 75.
Nach etwas mehr als einem Kilometer Abfahrt erinnert ein einfaches Denkmal am Straßenrand an Pierre Kraemer. Kraemer war ein sehr erfahrener Radfahrer. Im Jahr 1966 zum Beispiel nahm er erfolgreich an Paris–Brest–Paris teil, und wer das schafft, muss auf dem Rad schon ein bisschen was draufhaben! Doch Kraemer machte einen entscheidenden Fehler: Am 2. April 1983 fuhr er allein den kahlen Berg hinauf. Er erlitt einen Schlaganfall und konnte sich nicht mehr vom Fleck rühren. Die bittere Kälte erledigte den Rest: Französische Soldaten, die am nächsten Morgen die Besatzung des Observatoriums ablösten, fanden seine Leiche.
Ein Stückchen weiter zieht etwas höher am Hang der berühmte Gedenkstein in Erinnerung an Tom Simpson die Aufmerksamkeit auf sich – siehe Major Tom, S. 56. Wie die unzähligen Gegenstände und Blumen, die jedes Jahr hier zurückgelassen werden, zeigen, ist dieses Denkmal beinahe so etwas wie ein Wallfahrtsort für Radfahrer aus aller Welt geworden. Aber lassen Sie ruhig den Blick auch ein wenig schweifen. Das Panorama der riesigen Steinwüste ist so beeindruckend, dass es sich nachhaltig in die Netzhaut brennt.
Etwa vier Kilometer weiter, wo die Straße gesperrt wird, wenn die Wetterverhältnisse die Auffahrt zum Gipfel zu gefährlich machen, befinden sich zwei ehemalige maisons cantonnières, Straßenwärterhäuser, die 1995 restauriert wurden. Innen sind sie kahl, aber man kann sich dort unterstellen, wenn die Bedingungen zu ungemütlich werden; es gibt sogar eine Feuerstelle.
Im Zuge einer kleinen Erneuerungsmaßnahme im Jahr 2016 verlieh man den Gebäuden eine zusätzliche, museale Funktion: Fotos und Texte an den Wänden erinnern nun an die Arbeit von Wissenschaftlern am Ventoux, zum Beispiel die des Schriftstellers und Insektenforschers Jean-Henri Fabre.
In der Kurve ein Stückchen weiter befindet sich die Fontaine de la Grave, die manchmal klares, frisches Wasser liefert, aber im Hochsommer trocken fällt. Auch die Schafe und Hütehunde der Herden, die auf der Suche nach Futter über den Ventoux streifen, schlürfen nur zu gern aus dem Wassertrog.
Ein paar Kurven weiter öffnet sich die Straße zu einem Platz vor dem Chalet Reynard, wo der erschöpfte Kletterer auf dem Weg bergauf gern eine kleine Runde dreht, um seinen Muskeln einen Moment lang etwas Entspannung zu gönnen, oder noch etwas isst, bevor es »in die Mondlandschaft geht«. 1950 wurde hier der Anschluss der D 164 an die D 974 fertiggestellt, wodurch Sault eine direkte Verbindung zum Gipfel erhielt.
Das Chalet Reynard ist nach Eugène Reynard benannt, der damals einer der Ersten war, die – in den 1920er Jahren – am Südhang des Ventoux Skitouren organisierten und Pisten präparierten. Das Chalet wurde 1928 als Unterkunft und Restaurant für Skifahrer und Jäger eröffnet, entwickelte sich aber bald zu einem renommierten Hotel-Restaurant. Auch Radfahrer sind hier willkommen, zum Beispiel um mit dem Plateau du Randonneur wieder Kräfte zu tanken. Und auch der Cappuccino im Chalet Reynard ist nicht zu verachten…
Muss man bei der Abfahrt durch die Mondlandschaft die Geschwindigkeit noch ordentlich drosseln, um ein Kiesbad zu vermeiden, kann man es nach dem Chalet etwas mehr laufen lassen. Zuerst passiert man noch ein paar Ferienhäuser zur Linken. Auch im Winter ist die Siedlung bewohnt, es kommen dann viele Menschen zum Alpinskifahren und Skilanglauf hierher. Nach der ersten scharfen Kurve taucht man dann in den Wald ein: zehn Kilometer nichts als Bäume. Viereinhalb Kilometer später kommt man am früheren Maison forestière Jamet vorbei, das 1996 restauriert wurde und seither Wanderern eine Rast- und Unterschlupfgelegenheit bietet. Das ehemalige Straßenwärterhaus wurde 2016 mit Fotos der legendären Auto- und Motorradrennen geschmückt, die zwischen 1902 und 2007 auf dem Ventoux stattfanden. Ergänzende Texte liefern weitere Erläuterungen.
Anderthalb Kilometer weiter talwärts steht, knapp hundert Meter abseits der Straße im Wald, der bekannte Pavillon de Roland, der früher ebenfalls ein Straßenwärterhaus war und heute ein Picknickplatz ist. Es stehen hier auch einige Informationstafeln. Noch mal 400 Meter weiter folgt der Abzweig zur Route des Cèdres, die um den Berg herum zur Route de Malaucène und von dort zum Gipfel führt. Hier beginnt der vierte Anstieg für angehende »Galériens« – siehe Confrérie des Cinglés du Mont Ventoux in: Für alle, die ein wenig verrückt sind: Mehrfach-Auffahrten, S. 82.
Rund einen Kilometer vor Saint-Estève ist, oben an der Felswand in der ersten der sogenannten »Sept Virages«, der Serie von S-Kurven, eine Tafel angebracht. Mit ihr erinnert der Moto-Club d’Avignon an den damaligen Rekord von Georges Berthier, der es 1936 in 15:25 Minuten mit dem Motorrad von Bedoin zum Chalet Reynard schaffte.
Von hier führt die Straße zunächst noch weiter durch den Wald, es folgt die