Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky

Mörder kennen keine Grenzen - Horst Bosetzky


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es darauf abgesehen hatte, mich zu heiraten, wobei ihr sicher jedes Mittel recht war. Bestimmt hatte sie diesen Tag mit Vorbedacht und unter Berücksichtigung ihres Thermometers gewählt, um ein Kind zu konzipieren. Dann hatte sie etwas, womit sie Druck auf mich ausüben konnte. Dass es mit meiner Ehe nicht zum Besten stand, wusste sie sowieso – andererseits unterschätzte sie aber die Macht der Gewohnheit, die aus einer so langjährigen Bindung entsteht. Nein, einen Skandal konnte ich mir jetzt nicht leisten – dann hatte Ziegenhals endgültig gesiegt.

      Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, als es fast schon zu spät war. Wie ich es fertig brachte, mich zu beherrschen, das ist mir heute noch ein Rätsel, aber ich machte mich von ihr los. Leicht ist es mir nicht gefallen, das gestehe ich ein, denn ihre kalte Berechnung beeinträchtigte meine Begierde nicht im Geringsten.

      „Komm doch! Was ist denn? Worauf warten wir noch!“, keuchte sie.

      „Ich ... ich ...“

      „Was hast du denn?“ Sie begriff, dass etwas schiefgegangen war. „Du kannst wohl nicht, was? Ist ja zum Totlachen – der smarte Herr Doktor ist ein Schlappschwanz!“ Sie begann wie wild zu lachen.

      „Hör auf, hör doch auf!“ Ich schlug sie, bis sie zur Besinnung kam und Hass in ihren Augen stand.

      „Ich kündige, ich will dich nicht mehr sehen, mach, dass du rauskommst, aber schnell!“

      Ich riss mein Manuskript vom Nachttisch, ordnete meine Kleidung und stürzte auf den Treppenflur hinaus. Ich schämte mich, und ich hätte mich ohrfeigen können. Ich war ein Narr, ich war ein Dummkopf! Aber die eigentliche Schuld an diesem Rückzug gab ich diesem verdammten Ziegenhals. Wäre er nicht gewesen, dann hätte ich freie Hand gehabt, dann ...

      Ich stöhnte noch jetzt.

      Meine Erregung klang derart langsam ab, dass ich an der Ecke Lietzenburger und Joachimstaler Straße nur um Haaresbreite einem Zusammenstoß mit einem Doppeldeckerbus der Linie 81 entging. Mir blieb nichts weiter übrig, als den Wagen in der Rankestraße abzustellen und mit einer Taxe zum RIAS zu fahren. Dort war man höchst erleichtert, dass das Manuskript noch rechtzeitig eingetroffen war, und bat mich, es gleich an Ort und Stelle auf Band zu sprechen. Doch nach fünf vergeblichen Anläufen erschien es den Herren dann sinnvoller, einen eigenen Sprecher einzusetzen, denn ich verhaspelte mich bei jedem Satz.

      Nun erst recht verwirrt, lief ich durch den Volkspark und ging zu Fuß die Bundesallee hinunter. Wagen zogen an mir vorüber, Gesichter tauchten auf und verschwanden wieder, und wenn ich die Augen schloss, sah ich Ziegenhals vor mir. Ich war sein Gefangener, und er konnte mich nach Belieben foltern. Und da er mein eigenes Ich zu seinem Folterinstrument gemacht hatte, konnte ihn nichts an seinen Taten hindern. Es sei denn, ich hätte mich von Grund auf geändert und hätte auf Ruhm und Ehre und Ämter verzichtet. Aber das war unmöglich, ich war nun einmal so programmiert und konnte nicht anders. Also blieb mir nur die Möglichkeit, ihn auszuschalten, ihn zu vernichten, in ihm nur die Mücke zu sehen, die zu zerquetschen keine Sünde ist. Vielleicht war es schon Größenwahn, wenn ich mir sagte, dass ein elender Wicht wie dieser Ziegenhals nie und nimmer das Recht hatte, einen Mann wie mich auch nur eine Sekunde lang aufzuhalten. Hatte ich doch erst vor wenigen Tagen einen Ruf an eine westdeutsche Universität erhalten und damit mein lang ersehntes Nahziel erreicht, Ordinarius für Soziologie zu werden. Prof. Dr. Rüdiger Kolczyk – das hatte einen faszinierenden Klang. Im Freundeskreis war ich schon gebührend gefeiert worden. Bei der zunehmenden Verwissenschaftlichung politischer Entscheidungen und dem Hang in diesem Lande, eigene Argumente mit professoralen Worten aufzuwerten, sah ich berechtigte Chancen, einmal zum Staatssekretär – wenn nicht gar zum Minister – zu avancieren.

      Von diesen und ähnlichen Gedanken berauscht und erschüttert, erreichte ich meinen Wagen und stieg ein, um zum Essen nach Hause zu fahren.

      Ich rollte den Kurfürstendamm hinunter. Niemand schenkte mir besondere Aufmerksamkeit, niemand ahnte, was mich bewegte, nichts hob mich von tausend anderen Bürgern ab.

      Eine Stelle aus Wilhelm Tell fiel mir plötzlich ein. Sie alle ziehen ihres Weges fort an ihr Geschäft – und meines ist der Mord!

      Reinhild, die Hausmannskost liebte, trug Erbsen mit Speck auf und schwärmte, als wir uns zum Essen niedergelassen hatten, pausenlos von Ziegenhals.

      „... ein netter und wohlerzogener junger Mann. Du, ich hab so das Gefühl, dass Ginny und er ...“

      Ich bekam einen Hustenanfall. „Unsere Tochter darf ja wohl etwas höhere Ansprüche stellen. Der junge Mann ist nichts und hat nichts ...“

      „Willst du dich einer jungen Liebe entgegenstellen?“

      Ihr sentimentales Lächeln brachte mich in Wut. „Bitte, verschone mich mit derartigen Gemeinplätzen.“

      Reinhild war vernarrt in Ziegenhals, denn er umschmeichelte sie in einer geradezu unverschämten Weise. Er brachte ihr Rosen und Pralinen, küsste ihr die Hand, lauschte aufmerksam ihren langweiligen Geschichten, litt mit ihr, wenn sie von ihren diversen Krankheiten berichtete, und erweckte beinahe den Eindruck, als schwanke er ernsthaft, wem – Mutter oder Tochter – er den Vorzug geben sollte.

      „Schön, er war ein bisschen verkommen, als Ginny ihn kennengelernt hat“, gab Reinhild zu, während sie mit ihren kräftigen Zähnen eine Speckschwarte zermalmte, „aber er hat sich in letzter Zeit mächtig am Riemen gerissen. Mr. Cloward hat mir neulich erzählt, er sei einer deiner besten Studenten ...“

      So ging es ohne Unterlass.

      Nach dem unerquicklichen Mahl verschwand ich in meinem Arbeitszimmer und schloss das Geheimfach meines alten Schreibtischs auf. Hier waren die Manuskripte versteckt, die ich aus Ziegenhals’ alter Wohnung mitgebracht hatte. Sie waren alle mit der Hand geschrieben, denn offensichtlich hatte er nie das Geld für eine Schreibmaschine zusammenbekommen. Ziegenhals hatte etliche Romane, Schauspiele und Kurzgeschichten verfasst, aber meine besondere Aufmerksamkeit galt einem kümmerlichen Roman, der den schönen Titel ‚Das Ende eines Löwen> trug. Es war die Geschichte eines Fußballstars, der durch einen Tritt in den Unterleib seine Potenz verloren hatte und nun dahinvegetierte. Der Unglückliche hörte auf den Namen Bernd Zühlke und war schließlich soweit mit den Nerven runter, dass ihm nur noch der Selbstmord blieb. Doch bevor er die Gashähne aufdrehte, setzte er sich noch an den Küchentisch und verfasste einen Abschiedsbrief, der in etwa so lautet:

      Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr weiter. Kein Mensch versteht mich, keiner will wissen, wie es in mir aussieht. Das Leben ist so sinnlos, es gibt keine Zukunft mehr für mich. Ich verfluche die Welt, die mir meine Eltern genommen hat, die kein Mitleid kennt. Mich braucht ja doch keiner! Niemand wird mich vermissen. Ich hoffe nur, dass bald eine gewaltige Atombombe diese mistige Welt auseinander sprengt und alle zum Teufel gehen. Dann sehen wir uns wieder!

      Bernd Z.

      Das war sicherlich kein Meisterwerk von Abschiedsbrief, aber einmal hatte Ziegenhals diesen Bernd Zühlke als ziemlichen Einfaltspinsel und halben Analphabeten geschildert und zum andern war Ziegenhals selbst nur ein mäßiger Schriftsteller. Aber für mich war dieser Brief von unschätzbarem Wert, denn Ziegenhals hatte ihn mit der Hand auf einem gesonderten DIN-A4-Bogen geschrieben, und die Angaben waren so allgemein gehalten, dass sie durchaus auf Ziegenhals selbst passten.

      Dieser Brief forderte mich geradezu auf, ihn für meine Pläne zu verwenden. Wenn ich mich nun in Ziegenhals’ Wohnung schlich, diesen Abschiedsbrief auf den Tisch legte und dann die Gashähne aufdrehte, so hatte ich den perfekten Mord begangen.

      Wer wusste schon, dass Ziegenhals ihn in einer ganz anderen Absicht geschrieben hatte? Niemand, zumal Cloward bestimmt aussagen würde, dass Ziegenhals sich in einem nervlich zerrütteten Zustand befunden habe.

      Ein genialer Gedanke! Und seine Verwirklichung ein Kinderspiel!

      Aber wahrscheinlich hätte ich auch diesen Märztag ungenutzt verstreichen lassen, wenn ich nicht am Nachmittag mit Johnny Cloward zusammengetroffen wäre. Ich wollte gerade die Tür zur Bibliothek aufstoßen, wo ich Material für meine Vorlesungen im Sommersemester zusammentragen musste, als der Amerikaner um die Ecke bog. Er trug


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