Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky
will genau in jene Kreise aufsteigen, die er so hasst, er will Ruhm, Ansehen und Erfolg. Das kann ihm Kolczyk nicht gestatten, sein Leben und seine Karriere hängen davon ab. Und er geht zum Gegenangriff über, den nur einer überleben kann.
***
DIES IST EIN ROMAN. Die geschilderten Ereignisse sind ebenso frei erfunden wie die auftretenden Personen. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten oder realen Personen könnte nur auf einem Zufall beruhen.
-ky
1. Kapitel
PROLOG IN DEN RÄUMEN DER MORDKOMMISSION
Kriminaloberrat Dr. Weber hatte aufmerksam zugehört. „Ja, Sie können Recht haben, da braut sich was zusammen ...“
„Ich habe das dunkle Gefühl, dass eines Tages ein Fall Kolczyk/Ziegenhals auf uns zukommt“, sagte Oberkommissar Rannow. „Da besteht irgendeine seltsame Querverbindung, die nicht ganz astrein ist.“
„Möglicherweise sind sie weitaus stärker in unseren Mordfall verwickelt, als wir bisher annehmen können. Wenn einer von beiden wirklich unser Täter ist, erklärt das vieles.“
„Ganz meiner Meinung.“
Dr. Weber nahm einen leicht zerknitterten DIN-A4-Bogen zur Hand und studierte die Fakten, die Rannow und seine Leute zusammengetragen hatten.
Kolczyk, Rüdiger Robert Geb. am 17. Juli 1926 in Zeuthen b. Berlin
Kolczyk wächst in einer begüterten und sehr konservativen Familie auf. Sein Vater, ein aktiver Oberst, fällt im April 1945 in der Nähe von Bologna. Bis dahin hatte er seinen Sohn vor der Einberufung bewahren können, jetzt wird Rüdiger Kolczyk zum Volkssturm geholt. Von Todesahnungen gequält, verbringt er die letzte Nacht vor dem ersten Einsatz mit dem Flüchtlingsmädchen Reinhild Reschinski, die mit ihrer Mutter bei ihnen einquartiert ist. Beide überleben und heiraten im August 1945.
Kolczyk hat sich wegen der Ehe und aus weltanschaulichen Gründen mit seiner Mutter entzweit. Im Januar 1946 wird seine Tochter Regina geboren. Sie haben es schwer, sich durchzuschlagen. Kolczyk studiert, seine Frau verdient den Lebensunterhalt mit Heimarbeit. Ein Freund seines Vaters hilft ihnen dann, sie fahren mit ihm in die USA, wo Kolczyk in Durham, North Carolina, studiert. Dieser Mann stirbt aber nach knapp einem Jahr, und sie müssen nach Deutschland zurückkehren, wo es ihnen finanziell sehr schlecht geht. Mitte 1951 erkrankt seine Frau; aus einer Lungenentzündung ergibt sich eine Tbc. Kolczyk ist gezwungen, das Studium so schnell wie möglich zu beenden. Es glückt, er erhält den Doktortitel und findet eine Anstellung in der Industrie, die einen Sanatoriumsaufenthalt seiner Frau und ein sorgloseres Leben ermöglicht. Als er dann 1957 nach dem Tode seiner Mutter die Erbschaft antritt – es sind etwas über 800.000 DM –, kehrt er an die Universität zurück und macht Karriere. Er hat einflussreiche Freunde in Bonn. Man prophezeit ihm eine glänzende Zukunft in Politik und Wissenschaft.
Ziegenhals, Bernd Dieter Geb. am 20. Dezember 1943 in Berlin
Ziegenhals ist der Sohn des Hilfsarbeiters Heinrich Z. und der Verkäuferin Irma Z., die beide 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen sind. Er wächst bei seinen Großeltern und in Heimen auf, kann aber dank der Unterstützung eines Lehrers das Abitur machen und beginnt Soziologie zu studieren. Aber der Übergang vom proletarischen zum akademischen Milieu führt zu einer tiefen Verunsicherung seiner Werte und Ziele. Er wird apathisch, gibt nach fünf Semestern das Studium auf, trinkt, verkommt, gerät in die Gesellschaft kriminell gewordener Schulkameraden, begeht wohl auch einige kleine Delikte – bleibt aber zugleich ein Mensch mit hohem Intelligenzgrad und hochfliegenden Träumen. Er fühlt sich als Ausgestoßener und hasst die Etablierten.
„Interessant“, sagte Dr. Weber. „Und Sie haben das Gefühl, dass etwas diese beiden Männer verbindet ... Sie denken doch wohl an eine Art finsteres Geheimnis, nehme ich an – oder?“
Rannow nickte.
„Ja, so was soll vorkommen, das nennt man dann Schicksal. Plötzlich rollt alles mit einer Unausweichlichkeit ab, gegen die die Handelnden nicht mehr ankommen können. Der Strom psychischer Mechanismen und Zwänge reißt sie mit, sofern und sobald der Prozess erst einmal durch die Initialzündung ausgelöst worden ist: das bloße Zusammentreffen der beiden.“
„Ganz recht ... Ich sehe aber keine Möglichkeit, jetzt schon einzugreifen.“
„Ich auch nicht.“ Dr. Weber nahm seine randlose Brille ab und strich sich mit den Fingerkuppen über die geschlossenen Augen. „Dann können wir uns ja wohl auf einiges Kopfzerbrechen gefasst machen. Wenn die beiden sich wirklich ineinander verbissen haben, da muss ja mal etwas passieren – Eskalation garantiert!“
2. Kapitel
Betr.: Bernd Ziegenhals.
Anlage zum psychiatrischen Gutachten. Abschrift des Tonbandes 3/1.
Locker assoziierende Selbstdarstellung des Probanden. Vom Autor überarbeitet.
Ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen, da können Sie sich drauf verlassen. Ich erzähle Ihnen alles so, wie es gewesen ist. Ich will endlich mal reinen Tisch machen. Vielleicht hilft es mir auch. Sie sind ja Psychiater und können sich sicher auf manches Ungereimte einen Reim machen.
Es fing damit an, dass ich wieder mal kein Geld hatte und mein alter Schulfreund Jochen Hohenberg zu faul oder zu dämlich war, ein fünfzehnseitiges Referat anzufertigen über ... warten Sie ... über Das Verhältnis von Bürokratie und Demokratie bei Max Weber. Kurz und gut, Hodenberg – das war immer sein Spitzname – war und ist ein fleißiger Simpel. Er studierte Soziologie und Politologie, und zwar an der FU. Er ist schon immer scharf auf Seminarscheine gewesen, denn je mehr Scheine man hat, desto besser sind die Aussichten auf eine Eins in der Diplomprüfung. Darum hat er sich auch um das Weber-Referat gerissen. Doch kaum hatte er sich das erste Buch aus der Bibliothek geholt, war er zum Landesvorsitzenden seines Studentenbundes gewählt worden. Da hatte er natürlich keine Zeit mehr für seine wissenschaftliche Arbeit – klar!
Zwei Tage nach seiner Wahl hatten wir uns im alten Billardzimmer einer Kreuzberger Kneipe getroffen, und zwar anlässlich einer Abteilungsversammlung der SPD.
Der Abteilungsvorstand hatte sich Hohenberg zu einem Vortrag über ‚Die Rolle der Justiz in der Demokratie‘ geholt, und mich hatte Opa Melzer, mein Zimmernachbar, mitgeschleppt. Er war schon seit fünfzig Jahren Genosse und spendierte mir immer drei Pils und zwei Doornkaat, wenn ich mitging.
Als ich den lang gestreckten Raum betrat, hockte Hohenberg schon hinter