Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky

Mörder kennen keine Grenzen - Horst Bosetzky


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da kommt er reingeschossen und fällt über mich her. Ein brutaler Kerl!“ Er tastete seinen Nacken ab. „Ich war bald zehn Minuten lang im Jenseits ...“

      „Willst du ihn anzeigen ...“ Es war mehr eine Aufforderung als eine Frage.

      „Das hat keinen Sinn, es war ja kein Zeuge dabei. Aber eins sag ich dir „, Cloward ballte die Fäuste, „dem werde ich’s heimzahlen! Das kriegt er doppelt und dreifach zurück.“

      „Nimm di nix vör, dann sleit di nix fehl“, spottete ich, einmal aus Schadenfreude, denn der „schöne Johnny“ hatte eine solche Lektion schon längst einmal verdient gehabt, zum andern aber, um ihn anzustacheln. Sollte es wirklich einmal zu einer Gerichtsverhandlung kommen, dann war es von großem Nutzen für mich, wenn Johnny Cloward, Neffe eines US-Senators, Ziegenhals als brutalen Schläger hinstellte, als einen Menschen, der vor nichts zurückschreckte. Ich war ziemlich sicher, dass Ziegenhals, wenn man ihn wegen kleinerer Straftaten verurteilte, bis zu vier Jahren Gefängnis hinnehmen würde, ohne mich in Gefahr zu bringen. Und vielleicht war Clowards Aussage dann das Zünglein an der Waage.

      „Ich bin ausgezogen“, sagte Cloward. „Mit so einem Kerl kann ich nicht länger unter einem Dach wohnen.“

      Das war mir nun gar nicht recht, denn damit verlor ich meinen besten Informanten. Trotzdem bot ich ihm unser Gästezimmer an. „Für ein, zwei Monate wird’s schon gehen.“

      „Heißen Dank!“, rief Cloward. „Ich werde dich von heute an in mein Nachtgebet einschließen!“

      „Aber eine Bedingung habe ich ...“

      Sein Gesicht verfinsterte sich. „Und die wäre ...?“

      „Du lässt Ginny zufrieden! Ich will nicht auch noch Ärger mit Ziegenhals bekommen.“

      „Nein, nein!“, brummte er, aber ich sah, wie es in ihm arbeitete.

      Ich grinste innerlich, denn damit hatte ich ihm einen Weg gewiesen, wie er sich auf höchst angenehme Art an Ziegenhals rächen konnte. Wenn es ihm gelang, Ginny von Ziegenhals zu trennen und sie zu seiner Frau zu machen, dann war ich bereit, ihm ein Denkmal zu setzen. Mochte auch mein eigenes Leben verpfuscht sein, so sollte meine Tochter nicht das ihre durch meine Schuld an der Seite eines schmutzigen Erpressers verbringen müssen.

      Wir gingen ins Haus hinüber, und ich wies Johnny sein Quartier zu. Anschließend plauderten wir noch ein Weilchen, sodass es achtzehn Uhr wurde, ehe ich zur Heißen Ecke aufbrechen konnte. Johnny fragte mich zum Glück nicht weiter, wo ich hin wollte, sondern machte sich auf den Weg zu Dr. Sievers, um seine diversen Wunden versorgen zu lassen.

      Während der halbstündigen Fahrt hatte ich Zeit genug, mir ein Leben ohne das ständig drohend über mir hängende Damoklesschwert auszumalen: Ruhe, Frieden und Gesundheit für mich, Liebesspiele mit Beate, endlich wieder ein freies Lachen und für Ginny einen Mann, wie sie ihn verdiente – ordentlich und ehrbar.

      Beate! Beate hatte gekündigt, und ich hatte ihr zum Geburtstag 22 dunkelrote Rosen geschickt, ohne Absender, aber doch als von mir kommend erkennbar. Ich wusste, dass sie mir so lange nicht verzeihen würde, wie ich in ihrem Tagebuch noch ohne roten Haken war, doch ich wollte mir die Chance zu einer Nacht mit ihr auf alle Fälle offen halten. Einmal musste der Tag kommen, an dem es keinen Ziegenhals mehr gab! Und wenn ich noch so viel Schuld auf mich lud, er musste verschwinden! Wie sollte ich denn in Bonn jemals Karriere machen, wie konnte ich eine echte Karriere anstreben, wenn ich immerfort diesen Ballast mitzuschleppen hatte und Tag für Tag befürchten musste, am nächsten Morgen meine Geheimnisse in irgendwelchen Boulevardblättern lesen zu müssen? Viel schwerer als das Plagiat wogen jetzt die Mordversuche, die ich mittelbar und unmittelbar an ihm unternommen hatte und noch unternehmen wollte. Im Versuch, ihn zu vernichten, hatte ich ihm lediglich weitere Trümpfe zugespielt. Wahrhaftig, es war höchste Zeit, ihn trotz all seiner augenblicklichen Vorteile mit einem genialen Zug schachmatt zu setzen!

      Ich war am Ziel, früher als erwartet, suchte mir in der Nähe der Naunynstraße einen Parkplatz und verließ nach kurzem Zögern meinen Wagen. Etwas geblendet von der untergehenden Sonne überquerte ich die Fahrbahn, wich ein paar spielenden Kindern aus und nahm dann den dumpfen Biergeruch der Heißen Ecke wahr. Zu dieser Stunde, und noch dazu am Dienstag, machte sie ihrem Namen wenig Ehre, trotzdem stieg ich leicht beklommen die zwei, drei Stufen zum Schankraum empor. In meinem ganzen Leben hatte ich kaum mehr als ein Dutzend Stunden in Kneipen, Pinten, Stampen, Budiken und Destillen zugebracht. Doch ich hatte insofern Glück, als gleich neben der Tür mein alter „Freund“ Rainer Ruhlsdorf am Spielautomaten hantierte und mich mit einem lauten Hallo begrüßte.

      „Na, Meister, was macht denn die Kunst?“, rief ich laut und gönnerhaft. Ich hatte ihn vor etwa anderthalb Jahren im Verlauf unserer Zuhälterstudie kennengelernt und allerhand Wissenswertes von ihm erfahren, wusste ich doch, wie man solche Leute zu nehmen hatte.

      Ruhlsdorf streckte mir auch gleich die Pranke entgegen. „Die Kunst ...? Die jeht Wassa saufen. Welcha Wind hat Sie denn hierher jeweht?“

      „Mich ...? Ich hatte in einer Bank am Cottbuser Tor zu tun ... Da dachte ich, mal sehen, ob einer von meinen alten Freunden Durst hat.“

      „Den ham wa imma! Aba im Augenblick is keena weita da – Drognitz schwirrt irjendwo in Wannsee rum, Ziejenhals is ja umjezogen, und Prötzel is vaschütt jejangen. Woll’n se wieda ’ne neue Untasuchung machen?“

      „Nein, nein, ich bin ganz privat hier. Trinken wir was, ein Pils und einen Klaren, einen Doppelten natürlich ...?“

      „Da lass ick mir nich lange bitten.“

      Wir nahmen am Ende des lang gestreckten Raumes Platz, wo in einem gläsernen Schrank die Pokale und Wimpel der hier tagenden Fußballvereine zu bewundern waren, und warteten, bis uns Theo, der vierschrötige Wirt, das Gewünschte brachte. Ruhlsdorf fühlte sich sichtlich geschmeichelt, dass ein Angehöriger der oberen zehntausend ein paar Minuten Zeit für ihn hatte und mit ihm zechte. Er konnte ja nicht ahnen, welche Überwindung es mich kostete, es länger als zwei Atemzüge in seiner Nähe auszuhalten. Der Arme litt nämlich unter einem penetranten Körpergeruch, der in mir pausenlos Erinnerungen an meinen letzten Zoobesuch wachrief. Er berichtete mir mit entnervender Ausführlichkeit von den Chancen der einzelnen Fußballklubs, in der nächsten Bundesligasaison zum deutschen Meister aufzusteigen.

      „Herr Wirt, noch einmal dasselbe, bitte! – Wie geht es denn persönlich?“

      Er guckte ein wenig misstrauisch. „Sie woll’n ma wohl uff’n Zahn fühlen, wat? Aba Fehlanzeije, ich dreh keene krummen Dinga mehr, ick bin kuriert. Vor drei Wochen hab ick geheiratet, ’ne Vakäuferin von Bilka, ’ne resolute Puppe, die bringt ma schon uff Vordamann. Wat Kleenet is ooch schon untawegs. Ich arbeite jetzt bei de BVG als Gleisarbeita. Ville jibt’s ja nich, und wir ham ’ne janze Menge Schulden, aba et wird schon jehn ...“

      „Prost! Auf Ihr Wohl!“ Wir leerten zum zweiten Mal die Gläser, und langsam begann der Alkohol zu wirken.

      „Da wären wir ja beim Thema ...“, sagte ich nachdenklich.

      „Wat denn“, lachte er, „woll’n Se mir etwa ’n Tipp vakoofen, wie ick ’ne Bank knacken kann ...?“

      „Das nicht ...“ Ich wand mich innerlich. „Aber vielleicht könnten Sie mir einen Tipp verkaufen ...“

      „Ick ...? Ick kann Ihn’n sajen, wo Se abjetakelte Nutten uffjabeln könn’n, aba uff die stehnse ja wohl nich.“

      „Allerdings ... Nein ...“ Ich beugte mich etwas zu ihm herüber. „Sie wissen vielleicht, dass ich immer noch auf der Liste der Verdächtigen stehe ...“

      „So ...?“ Sein Gesicht verfinsterte sich, man merkte direkt, wie er sich in sein Schneckenhaus zurückzog.

      „Die Miezi, Sie wissen doch! Aber Ihnen geht es ja wohl nicht anders – oder ...?“

      „Hm ...“ Er steckte sich eine Zigarette an und schnippte den verkohlten Streichholzkopf in die Gegend.

      „Rannow


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