Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle - Holger Weinbach


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noch konnte er nicht reiten. Zuvor musste er seine Habseligkeiten aus dem großen Saal holen, die er in der Nacht zurückgelassen hatte. Seine Rüstung war viel zu kostbar, als dass er sie opfern konnte und sie würde auf dem Heimweg bestimmt noch notwendig sein. Allerdings konnte er jetzt unmöglich einfach in die Halle marschieren und seine Habe packen. Damit würde er Rurik seine Absicht verraten.

      Zudem ahnte Brandolf, dass er beobachtet wurde, selbst wenn er Ruriks Gefolgsmann nicht sehen konnte. Scheinbar gelangweilt drehte sich der junge Krieger um und ließ seinen Blick über den Hof gleiten. Es schien, als würde niemand Notiz von ihm nehmen, doch die Ruhe war trügerisch. Brandolf vertraute seinem Instinkt, der ihn warnte.

      Der Späher musste getäuscht werden. Brandolf gab nicht preis, dass er die heimlichen Blicke im Nacken spürte und rieb sein Pferd mit frischem Stroh ab, als habe er alle Zeit der Welt. Danach begab er sich wieder auf den Burghof und schlenderte gelassen weiter, weg von der Halle. Er musste den Mann soweit beschäftigen, dass er nicht gleich zu seinem Herrn laufen und berichten konnte.

      Der innere Burghof bot ein umtriebiges Bild. Überall beseitigte man die Spuren des Kampfes. Tote wurden geborgen und entlang des Außenwalls aufgereiht. Es sah aus, als seien sie die groteske Stückware des Todes, die auf makabere Art und Weise zum Kauf angeboten wurde. Ein hektischer Mönch schritt die Reihe ab und betete für einen jeden Gefallenen, wirkte dabei jedoch so, als benötige er selbst geistlichen Beistand. Mägde liefen über den Hof und versorgten Verwundete, Kinder versuchten freilaufendes Federvieh und Ziegen einzufangen und sie in die Verschläge zu sperren, mit mäßigem Erfolg.

      Der Qualm eines neuen Feuers außerhalb der Burgmauern hing in der Luft und trieb den Gestank versenkten Fleisches in den Innenhof. Wie Rurik es angeordnet hatte, wurden die erschlagenen Nordmänner bereits außerhalb der Burgmauern verbrannt. Auch die beiden Kadaver, die Brandolf in der Nähe seiner toten Herrin begutachtet hatte, waren nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich nährten sich bereits die Flammen an den sterblichen Überresten.

      Brandolf suchte den Schmied auf, schaute in der Wachstube nach dem Rechten, half die verkohlten Schweinekadaver aus den niedergebrannten Koben zu bergen und ging hier und da zur Hand, wo seine Hilfe benötigt wurde. Den Pferdestall ließ er indes nie ganz aus den Augen. Er wollte sichergehen, dass seine Stute dort ständig zur Abreise bereit stand. Wenn es soweit war, wollte Brandolf nicht in einem leeren Stall stehen und auf ein Wunder hoffen müssen.

      Es war nahezu Mittagszeit, als Rurik mit seinem Gefolge das Hauptgebäude verließ. Das war Brandolfs Chance. Er wartete noch kurz, dann betrat er durch eine Seitentür die Halle. Einige der Burgbewohner hielten sich noch immer darin auf, doch die Mehrzahl der Menschen widmete sich bereits wieder ihrer gewohnten Arbeit, die auch an einem solch außergewöhnlichen Tag keinen Aufschub duldete. Brandolf blieb daher völlig unbeobachtet, ein weiterer Mann unter vielen. Flink zog er sich sein Lederwams und die restliche Gewandung über, schnürte sein Bündel und verließ kurz darauf das Gebäude.

      Der Burghof war jetzt deutlich belebter. Rurik erwartete seinen Tross und einige Reiter verließen den Hof, um die Ankommenden schon vor der Burg in Empfang zu nehmen. Darunter würden auch seine Gemahlin und sein Sohn sein.

      Auf eine solche Ablenkung hatte Brandolf gehofft. Schnell huschte er in Richtung Stall. Als er bereits die Hälfte des Weges hinter sich gebracht hatte, hörte er laut und deutlich seinen Namen. Brandolf reagierte nicht. Sicherlich gab es noch andere Männer auf dieser Burg mit gleichem Namen.

      „Brandolf, Sohn des Gerold! Haltet ein!“

      Es gab keinen Zweifel mehr, wer gemeint war und Brandolf verfluchte leise sein Pech. Ausgerechnet jetzt! Dennoch ging er weiter. Mit ein paar flinken Blicken schaute er sich um und sah eine junge Magd, die direkt auf ihn zukam. Wenige Schritte später war Brandolf direkt bei der jungen Frau. Während sein Name noch einmal ungeduldig und laut gerufen wurde, drückte er der überraschten Magd sein Bündel in die Arme und raunte ihr seine Bitte zu:

      „Bringe dies zu der braunen Stute im Stall. Bitte! Tu es für Gräfin Sigrun.“

      Er war nicht stehen geblieben, sondern einfach an der Magd vorbeigeschritten, doch er hoffte, dass die Eindringlichkeit seiner Bitte unmissverständlich war. Ohne ihre Mithilfe war sein ganzes Vorhaben gefährdet. Geistesgegenwärtig hatte die junge Frau das Bündel unauffällig an sich genommen. Brandolf wagte einen kurzen Blick über seine Schulter und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass sie, ebenso wie er, weitergegangen war.

      Nur wenige Schritte weiter erklang sein Name erneut, diesmal mit erboster und eindringlicher Stimme dicht hinter ihm. Er hielt inne, drehte sich um und gab mit überraschter Miene vor, seinen Namen soeben zum ersten Mal vernommen zu haben.

      „Brandolf, seid Ihr etwa taub?“, herrschte ihn Ruriks Mann an.

      „Nein, durchaus nicht.“ Brandolf blieb höflich, spielte weiterhin den Überraschten und zu Unrecht Beschuldigten.

      „Warum hört Ihr dann nicht, wenn Ihr von einem Gefolgsmann des Grafen gerufen werdet?“

      Brandolf horchte auf und konnte sich eine Frage nicht verkneifen: „Ist es bereits soweit?“

      Den Vertrauten schien die Frage zu verwirren, denn er zweifelte nicht an der neuen Position seines Herrn. Das bestätigte Brandolfs Befürchtung zusätzlich: Rurik versuchte, die Grafschaft an sich zu reißen! Das war ein weiteres Indiz dafür, dass Rurik hinter dem Angriff auf die Greifburg steckte. Schließlich fand Ruriks Mann doch noch Worte. „Gebt Acht und werdet nicht vorlaut! Folgt mir jetzt ohne weitere Reden! Ihr sollt unverzüglich vor Graf Rurik erscheinen!“

      Ohne Widerstand kam Brandolf der Aufforderung nach und stand schließlich wieder vor Rurik. Der schien nicht gerade glücklich darüber zu sein, sich erneut mit dem jungen Ritter befassen zu müssen. Er machte den Eindruck, als müsse er sich einer lästigen Fliege erwehren, derer er sich schon längst entledigt geglaubt hatte. Doch Brandolf wusste, dass es sich dabei nur um gespielte Oberflächlichkeit handelte. In Wahrheit musste Rurik sehr daran gelegen sein, ihn erneut zu sprechen, sonst hätte er ihn weder beobachten noch zu sich rufen lassen. Brandolf war für ihn gefährlich!

      „Sohn des Gerold“, begann Rurik polternd mit rauer Stimme. „Es wurde mir mitgeteilt, dass Euer Vater Ländereien im Westen der Grafschaft besitzt.“

      „Ja“, antwortete Brandolf knapp. Er wollte die Unterredung nicht unnötig in die Länge ziehen.

      „Ja, mein Herr!“, korrigierte Rurik ihn zornig. „Seid Ihr und Euer Vater getreue Lehensmänner und Vasallen des Grafen?“

      „Natürlich, mein Herr.“

      „So solltet Ihr wissen, dass ich bis auf Weiteres die Grafschaft im Namen meines Neffen – Rogar – befehligen werde, als Sachwalter und Stellvertreter meines Bruders. Dies wird so lange von Dauer sein, bis der Knabe gefunden ist und alt genug sein wird, das Volk und die Lande selbst zu führen. Habt Ihr all das vernommen und auch verstanden?“

      „Ja, mein Herr.“

      Rurik war gerissen und sich über seine Lage im Klaren. Zwar konnte er sich noch nicht als Graf bezeichnen, doch er kannte seine Rechte als Bruder des verstorbenen Burgherrn genauestens. Diese Rechte nutzte er jetzt aus, um seine vorläufige Anwesenheit auf der Burg zu begründen.

      Was er dann allerdings forderte, traf Brandolf wie ein Schlag: „So kniet nieder und leistet dem Grafen auch im Namen Eures Vaters einen Eid!“

      Es kostete Brandolf einige Überwindung, doch nach kurzem Zögern beugte er schließlich das Knie und senkte sein Haupt in scheinbarer Demut. So schnell er es vermochte, leistete er den althergebrachten Schwur, der dem Grafen uneingeschränkte Treue bekundete. Brandolf fühlte sich mit jedem Wort schmutziger und schämte sich in Grund und Boden. Nicht etwa, weil er zu stolz war, um vor Rurik zu knien. Vielmehr war es der Eid selbst, der wie klebriger Morast schwer an Brandolf haften blieb. Mit höchster Konzentration brachte er die gegenüber Rurik so falsch klingenden Worte über die Lippen. Am liebsten hätte er sich danach den Mund ausgespült, um den faden Beigeschmack loszuwerden.

      Nachdem die Worte verklungen waren, legte sich eine erwartungsvolle Stille


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