Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle - Holger Weinbach


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pflegte den schwachen Rogar unermüdlich weiter, hielt die offenen Pusteln sauber und hoffte, dass ein Wunder geschehen möge.

      Es war in einer jener Nächte des endlosen Bangens und Hoffens am Krankenlager des Jungen, als eine merkwürdige Frau die Kammer betrat. Ihre Erscheinung spottete jeder Beschreibung. Sie trug weder die Gewandung einer Magd, noch war sie als Bäuerin zu beschreiben. Ihr Rock war ein einziges Flickwerk. Das lockige Haar war lang und grau. Sigrun glaubte, eine jener wilden Frauen vor sich zu sehen, die allein im Wald hausten.

      Noch bevor sie fragen konnte, wie diese Frau Zutritt erhalten hatte, ging die Fremde zielstrebig auf das Krankenlager zu. Aus einem unerklärlichen Grund ließ Sigrun die Alte gewähren, statt sich ihr in den Weg zu stellen.

      Der beleibte Geistliche, der für die Notwendigkeit der letzten Ölung Tag und Nacht in der Kammer zugegen war, schreckte beim Aufschlagen der Tür aus dem Schlaf und fiel beinahe von der kleinen Bank. Er versuchte sich aufzurichten, doch sein massiger Körper wollte nicht gehorchen. So kämpfte der Mönch noch um Haltung, während die wilde Frau bereits das Leintuch vom Jungen nahm und ihn genau betrachtete.

      Die Fremde stellte ein paar Fragen über den Verlauf der Krankheit. Wann die Pusteln aufgetreten waren, seit wann das Fieber wütete und was man dagegen schon alles unternommen hatte. Im Gegensatz zu den übrigen Heilern zuvor wollte die Frau einfach alles wissen. Sigrun antwortete bereitwillig.

      In der Zwischenzeit hatte sich der Mönch erfolgreich von der Bank erhoben und kam schwer schnaufend auf die beiden Frauen zu. Er versuchte, die in Lumpen gekleidete Wilde mit lauten und garstigen Worten vom Lager zu vertreiben, hielt dabei aber einen sicheren Abstand ein, um ihr nicht zu nahe zu kommen oder sie gar zu berühren. Sein Geschrei veranlasste sie dazu, ihn mit harschen Worten beten zu schicken, damit er wenigstens das Seine für das Wohl des Kindes täte und sie in Ruhe wirken könne. Selbst in diesem Augenblick, in dem die Alte die kirchliche Autorität lächerlich machte, dachte Sigrun nicht daran, die Fremde von der Seite ihres Jungen zu stoßen.

      Die Wilde kramte in einem großen Beutel und entnahm ihm etliche kleinere Bündel und Päckchen. Sie griff sich eine hölzerne Schale, forderte Sigrun auf, gut zuzusehen und begann verschiedene Kräuter zu zerreiben und mit Fett zu einer dicken Paste zu verrühren. Die Gräfin würde diese noch öfter anrühren müssen, wenn sie ihren Jungen je wieder gesund sehen wolle, lautete die Anweisung der Fremden.

      Mit dem fertigen Brei bestrich sie sorgfältig die Pusteln und offenen Wunden. Dem Mönch, der bislang alldem fassungslos beigewohnt hatte, weiteten sich die Augen. Entsetzt vor sich hin schimpfend entfloh er schließlich dem heidnischen Treiben und schlug die Kammertür laut krachend hinter sich zu.

      Als der Junge wieder in ein sauberes Leintuch eingewickelt war, gab die wilde Frau Sigrun noch ein paar Anweisungen, packte dann ihren Beutel und verschwand ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war. Wenige Zeit später platzte Farold mit dem Mönch und einigen Bewaffneten in die Schlafkammer.

      Sigrun ließ dem Mönch keine Gelegenheit, die Heilmittel der Kräuterkundigen in Frage zu stellen. Schnell raffte sie die zurückgelassenen Heilmittel zusammen, warf sie in Farolds große Truhe und setzte sich auf den schweren Deckel. So sehr der Gottesmann die Mittel auch schlecht reden mochte, Sigrun gab sie nicht frei. Stattdessen forderte sie ihn auf, sie mit ihrem Sohn endlich in Frieden zu lassen. Der Mönch zog gekränkt davon und verließ bereits im Morgengrauen die Burg. Die Gräfin verzichtete nur zu gerne auf den Geistlichen, dessen dürftiger Beistand bisher ohnehin nichts bewirkt hatte. Auf die beschwichtigenden Worte ihres Gatten wollte sie ebenfalls nicht hören. Sigrun war es gleich, ob sie einen Mann Gottes oder einen Scharlatan fortschicken musste. Wenn sie nichts für den Jungen tun konnten, so hatte keiner von ihnen etwas an Rogars Lager zu suchen.

      Die Krankheit blieb eine lange und harte Prüfung für Sigrun. Geduldig befolgte sie die Anweisungen der wilden Frau und erst nach drei Wochen besserte sich die Lage des Jungen. Das Fieber und die Pusteln gingen über Nacht zurück, gerade zu dem Zeitpunkt, als sich der Vorrat an Kräutern dem Ende neigte. Von da an mussten allein Sigruns pflegende Hände es schaffen, Rogar wieder auf die Beine zu bringen. Und tatsächlich kehrten seine Kräfte langsam wieder zurück. Das Gesinde behauptete sogar, dass allein die Liebe der Mutter den Jungen gerettet habe.

      Die Krankheit war an Rogar nicht spurlos vorüber gegangen. Diese harte und lange Pein hatte ihn verändert. Mit dem Fieber schien ihm allerdings eine Reife eingebrannt worden zu sein, die für einen Jungen seines Alters ungewöhnlich war. Er war schweigsam geworden, doch dafür legte er eine Neugierde an den Tag, die er vorher nicht besessen hatte.

      Einige Burgbewohner waren davon überzeugt, dass Rogar sein zehntes Jahr nicht erleben würde, so geschwächt war er dem Krankenlager entstiegen. Doch Sigrun glaubte fest an ihren Jungen und an das, was sie sah: Einen durch die Krankheit zwar erschöpften, aber gereiften Jungen, der auch zäher und robuster geworden zu sein schien. Tatsächlich erkrankte Rogar im darauffolgenden Winter nicht ein einziges Mal.

      Das alles war lange her und Sigrun riss sich aus ihren Erinnerungen. Sie fühlte sich unwohl, was vielleicht am heraufziehenden Unwetter liegen mochte. Sigrun konnte ihre Empfindung nicht in Worte fassen und wusste nicht, woher sie rührte, doch es herrschte eine seltsame Stimmung. Eine ungreifbare Falschheit lag in der Luft. Die Sommernacht war schwül und drückend. Bis vor Kurzem hatte sich noch kein Lüftchen geregt, doch jetzt kam ein Wind auf. Vom Fenster aus konnte Sigrun erkennen, wie sich die Baumwipfel des nahe gelegenen Waldes träge wiegten.

      Es war beinahe genauso wie zu Rogars Geburt. Damals war es eine entsetzliche Nacht. In jenem Sommer herrschte eine über Wochen anhaltende Dürre, die in der Nacht seiner Geburt mit einem mächtigen Gewitter ihr Ende fand.

      ‚Eine Nacht, in der Helden gezeugt werden‘, wie einige Männer der Burg überheblich hinausposaunten.

      ‚Nein, eine Nacht, in der Helden geboren wurden‘, wie Sigrun es stattdessen lieber sagte. Allein aus diesem Grunde war sie schon immer fest davon überzeugt gewesen, dass Rogar sowohl die Krankheit wie auch das zehnte Lebensjahr überleben würde. Es war seine Bestimmung zu überleben, dessen war sie sich sicher. Eines Tages würde er alt genug sein, um als würdiger Nachfolger die Grafschaft zu übernehmen.

      In diesem Augenblick erhellte ein greller Blitz den Horizont, den nahen Wald und die Wiesen vor der Burg. Das kurze Schattenspiel warf groteske Figuren auf die Wände der Festung. Das Unwetter konnte jeden Augenblick losbrechen.

      Sigrun drehte sich um und setzte sich, mit Rogar auf ihrem Schoß, neben ihren Gemahl. In seinem Bart, der einige Narben alter Kämpfe verbarg, zeigte sich an manchen Stellen das Grau des Alters. Sein Gesicht wirkte dadurch jedoch nicht betagt, sondern erhielt vielmehr besonders edle Züge. Es strahlte Gutmütigkeit und Härte sowie Gerechtigkeit und Gnade zugleich aus. Rogar hatte einige dieser markanten Gesichtszüge geerbt und wenn Sigrun ihren Sohn ansah, glaubte sie, ihren Gemahl als kleinen Jungen wieder zu erkennen. Zärtlich strich sie über den gepflegten Bart, woraufhin Farolds Augenlider aufsprangen. Sein Blick war hellwach.

      „Was ist?“ fragte er mit belegter Stimme.

      „Nichts, schlaf ruhig weiter.“

      „Was ist los?“

      Farold versuchte sich aufzurichten und mit den Ellbogen abzustützen, bereute es aber sofort. Mit geschlossenen Augen sank er stöhnend wieder zurück auf das Lager und hielt sich mit beiden Händen den hämmernden Schädel.

      Der Schmerz rührte vom übermäßigen Weingenuss am Nachmittag. Sonst trank der Graf wenig Alkohol, Dünnbier oder stark verwässerten Wein. Heute war es aber anders gekommen. Am Nachmittag waren zwei Männer auf der Burg eingetroffen und hatten Kunde von Farolds jüngerem Bruder übermittelt. Sigrun wusste noch nicht, worum es sich bei den Neuigkeiten handelte, doch sie waren offenbar von so schlechter Art, dass Farold kurz darauf begann, Wein zu trinken. Viel Wein, und zwar unverdünnt.

      Missbilligend und besorgt hatte Sigrun ihm dabei lange zugesehen. Als sie glaubte, er habe endgültig genug getrunken, schritt sie ein und ließ ihn in die Kammer bringen, wo er seinen Rausch würde ausschlafen können. Das alles war noch vor Sonnenuntergang geschehen.

      Inzwischen hatte Farold geraume


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