Was Hunde wirklich wollen. Dr. Ronald Lindner

Was Hunde wirklich wollen - Dr. Ronald Lindner


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      Beim Ausfall des Erkundungsverhaltens (Exploration) kommt es zu einem Zustand der Gleichgültigkeit gegenüber der Umwelt, das heißt, dass der Hund weder sucht noch erkundet. Dagegen ist das Aufnehmen von Gerüchen in Verbindung mit dem Laufen charakteristisch für Hunde, die großes Interesse an ihrer Umwelt haben.

      Ursachen: Dies sind allgemein negative Erlebnisse und hohe Belastungen, die auf das Tier einwirken. Ein Beispiel ist die negative gedankliche Verbindung (Assoziation) mit dem Boden: Er führte zu einem Schmerzerlebnis und löst nun Angst aus. Diese beeinträchtigt das Lernverhalten.

      Sobald ein Hund nicht mehr spielt, ist seine Befindlichkeit stark gestört, denn das Spielverhalten ist für obligat soziale Tiere wie Hunde für das Erlernen von Verhaltensstrategien und Handlungskonzepten essenziell wichtig. Hunde spielen nur in entspanntem Umfeld, negative Stressoren behindern das Spielverhalten. Je länger und intensiver ein Hund spielt, desto wohler fühlt er sich.

      Ursachen: Hunde spielen nicht, wenn sie sich in ihrer Umgebung nicht wohlfühlen oder wenn sie durch Krankheit, Angst oder Unsicherheit keine Energie für das Spielen haben.

      Kennzeichen sind motorische Verlangsamung, reduziertes Ausdrucksverhalten und Interesselosigkeit an der Umwelt. Apathien können auch mit nächtlicher Unruhe, Erbrechen, Durchfall und hoher Fluchtbereitschaft zusammenhängen.

      Ursachen: Durch stressende Erziehungsmethoden des Besitzers (Gewalt, Gewaltandrohung) sind die Hunde entmutigt und können alltägliche Anforderungen nicht mehr bewältigen.

      Empfinden Hunde Angst vor der belebten oder unbelebten Umwelt, befinden sie sich oft jahrelang im Dauerstress. Treten diese Ängste in gesteigerter Form auf, ist der Hund nicht mehr in der Lage, sein Verhalten zu kontrollieren. Dann leidet er unter einer Phobie, das heißt, er reagiert mit starken Anzeichen von Erregung wie Lautgebung, Speicheln, Hecheln, Flucht, Ausbruchsversuche, Rückzug, Harn- und Kotabsatz oder Erbrechen. Oder sein Gefühl der Angst entgleist und führt zu Panik. Nicht selten entwickelt sich eine Phobophobie (Angst vor der Angst): Ein Tier, das beispielsweise unter Geräuschangst leidet, nimmt bereits vor dem eigentlichen Angstauslöser (etwa Feuerwerk, Donner bei Gewitter, Straßen- oder Baulärm) bestimmte Situationen oder Nebengeräusche wahr, die das angstauslösende Ereignis ankündigen (Veränderungen des Luftdrucks vor dem Gewitter). Diese Vorboten bewirken ein körperliches Unwohlsein, das heißt, sie führen bereits zu Angst, bevor die eigentlichen angstauslösenden Geräusche auftreten. Das Lernvermögen ängstlicher Tiere ist in jedem Fall beeinträchtigt. Phobisch und panisch reagierende Hunde sind weder fähig, Signale aus der Umwelt aufzunehmen, noch diese zu verarbeiten – ihre Lernfähigkeit ist häufig gleich null!

      Ursachen: Ängste entstehen durch einen Mangel an Erfahrungen in der Welpenzeit und durch negative Erlebnisse. Auch können Ängste bzw. deren niedrige Reizschwelle weitervererbt und durch den Menschen meist unwissentlich durch Trösten verstärkt werden.

      Aggressionen sind eine angeborene innere und äußere Stressreaktion des Körpers auf Bedrohung. Sie sind demnach Verhaltensweisen, die zum Normalverhalten zählen können. Als Verhaltensstörung gelten sie dann, wenn sie in einer Art und Weise gezeigt werden, die dem Tier eher Schaden als Nutzen bringen, und wenn sie in ihrer gesteigerten Form schlimmstenfalls zum Tod des Hundes führen können.

      Ursachen: Aggressive Hunde empfinden Wut, da sie im Zustand der Angst der entsprechenden Bedrohung nicht durch ihr angeborenes bevorzugtes Deeskalationsverhalten (Flucht- , Meide- und Übersprungverhalten, passive Demut) entgehen können. Frustration und Angst wandeln sich also in Wut, wobei der Hund zu aggressivem Verhalten als Konfliktlösung förmlich genötigt wird.

      Besonders tragisch ist die erlernte Hilflosigkeit zu bewerten. Sie beschreibt den handlungsunfähigen Zustand eines Hundes, nachdem er die Erfahrung gemacht hat, dass weder ein von ihm gezeigtes Deeskalationsverhalten noch Aggressionen einen Einfluss auf die Situation haben.

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      Hunde sind von Natur aus »Lauftiere« voller Energie. Sie benötigen täglich Freilauf in wechselnder Umgebung, um sich wohlzufühlen.

      Ursachen: Sie sind vielfältig. Häufig führen eine zu harte Einwirkung bei Strafmaßnahmen und Situationen, in denen der Hund entweder keine Möglichkeit zur Flucht hat oder schlichtweg überfordert ist, zu erlernter Hilflosigkeit. Aber auch ein häufiger Wechsel von Lob und Tadel für das gleiche Verhalten führt nicht selten zu Verwirrung und Hilflosigkeit.

      Jagdverhalten gegenüber Artgenossen und Menschen ist ein Zeichen für mangelhaftes Wohlbefinden, da sich Hunde nie wohlfühlen, wenn sie potenzielle Sozialpartner jagen!

      Ursachen: Verharmlost oder zu spät erkannt, etabliert sich das Jagen von flüchtenden Sozialpartnern meist aus dem spielerischen Verfolgen einer Ersatzbeute, die ihrerseits extremes Deeskalationsverhalten zeigt. Besonders gefährlich sind Hunde, die weder sozialisiert sind noch von klein auf ein natürliches Jagdspektrum kennenlernen durften.

      Jeder, der ein Tier hält, muss nach Paragraf 2 des Deutschen Tierschutzgesetzes (>) dafür sorgen, dass es sich generell entsprechend normal, das heißt stressfrei verhalten kann. Ist das überhaupt möglich? Zumindest gibt es »guten« und »schlechten« Stress, und dies ist wirklich buchstäblich so gemeint.

      »Guter« oder positiver Stress (Eustress): Dies bedeutet, dass mehr oder weniger kurze Belastungen mit zwischengeschalteten Erholungsphasen auf Tier oder Mensch einwirken. Dieser Stress hält uns und unsere Hunde wach und fit, lässt er uns doch gleichermaßen aktiv am Leben teilnehmen. Auch sind geistige wie körperliche Anforderungen wünschenswert. Und so steigern wir fast nebenbei auch unsere sogenannte individuelle Fitness (>).

      »Schlechter« oder negativer Stress (Distress): Bei negativem Stress kann weder Mensch noch Tier die einwirkenden Reize aus der Umwelt verarbeiten und die täglichen Probleme bewältigen. Beispiele für hochgradigen Negativstress sind die völlige Isolierung von Welpen und Jungtieren (sogenannte »Stumme Aufzucht«), die isolierte Haltung von obligat sozialen (>) Tieren wie Hunden oder Vögeln oder der permanente Maulkorb- und Leinenzwang bei Hunden. Anbinde- und Zwingerhaltung von Hunden verringern automatisch die erfahrbare Reizvielfalt für obligat soziale Tiere und widersprechen den Forderungen des Tierschutzgesetzes, Paragraf 2. Besonders nachhaltig und schlimm ist der »schlechte« Stress, sobald er chronisch wird. Wenn Hunde auf Reize aus der Umwelt nicht mehr angemessen und »normal« reagieren dürfen, verlernen sie es, sich mit bestimmten Lebenssituationen auseinanderzusetzen. Dadurch verändert sich ihr Verhalten. Bei immer wiederkehrendem »schlechtem« Stress werden die Hunde häufig apathisch, erstarren vor Angst, zeigen Frust und nicht selten Aggressionen. Besonders drastisch sind die Auswirkungen des negativen Stresses, wenn wir die Hunde auf Dauer zur »Arbeitslosigkeit« und zum Nichtstun verurteilen. Sie langweilen sich irgendwann. Im Extremfall kann die empfundene Ausweglosigkeit sogar zu Depressionen oder »Selbstzerfleischung« im wörtlichen Sinn führen: Die Tiere verstümmeln sich selbst. Das Verhalten ist demnach erheblich gestört. Die Hunde sind hoch motiviert und wollen sich erfolgreich mit den Unbilden des Lebens auseinandersetzen. Da jedoch keine der versuchten Strategien aus der Krise herausführt, fühlen sie sich hilflos. Sie leiden!

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