Smaragdgrau. Severin Perrig

Smaragdgrau - Severin Perrig


Скачать книгу
zu bemerken und den stillen Widerspruch, den jedes Lebendige zu äußern gedrungen ist, wenn ihm irgendein bestimmter Zustand dargeboten wird. So setzt das Einat men schon das Ausatmen voraus und umgekehrt; so jede Systole ihre Diastole. Es ist die ewige Formel des Lebens, die sich auch hier äußert.« Und wie viel lebhaftes Kolorit ist dem Klassiker Goethe da beim Ausprobieren nicht noch vor den Augen wunderbar grau geworden.

      Obwohl sich damit auch gleich ein ganz neuer Problembereich für alle Nutzer ergibt, für sogenannte Graumaler, die in ihren monoton gestrichenen, ärmlichen Ateliers, erfüllt von »leiser Verheißung und tiefem Ernst« (Rainer Maria Rilke), ihre gewünschten Farbtöne mischen. So schreibt etwa der Künstler Paul Cézanne seinem befreundeten Berufskollegen Camille Pissarro im düsteren Oktoberwetter 1866: »Sie haben vollkommen recht, wenn Sie über das Grau sprechen, es allein herrscht in der Natur, aber es ist eine furchtbar schwere Sache, das richtig hinzukriegen.« Dieses »Elend« mit der Auffindung des korrekten, natürlichen Grautons gilt auch für die Wiedergabe ganz alltäglicher Dinge, von der exklusiven Alltagskeramik bis zu modischen Accessoires. Der französische Schriftsteller Marcel Proust lässt in seiner »Suche nach der verlorenen Zeit« den Kunstmaler Elstir für den Schleier von Madame de Luxembourg nach einem sehr zarten Grau recherchieren, das er schließlich nur mit arger Mühe auftreiben kann. Es bedarf in der Graumalerei eben ganz bestimmter Glücksumstände bei der Farbkreation. Schon in der Antike, etwa bei Wandmalereien in Pompeji, wurde nach einer passenden grauen Untermalung gesucht, um eine glänzende Wirkung für rötliche Farbpigmente zu erzielen. Grundsätzlich erscheinen ja auch graue Bildsujets auf schwarzem Hintergrund heller und größer als auf weißem. Es lassen sich je nach Zartheit des Kolorits auch die Konturen des Dargestellten anschaulicher verdeutlichen, indem man je nachdem aus dem Grauen heraus und in das Graue wieder hinein malt.

      Als Folge davon versehen entsprechend schon seit der frühen Neuzeit Künstler ihre Leinwand, den Gipsgrund, die Papierflächen und Kartons mit einer grauen Grundierung für den Farbauftrag. Von Goya bis Romaine Brooks sehen viele im Grau ihren Lieblingsanstrich. Damit kommt nicht zuletzt auch die eigene Farbpalette, ja speziell die des Regenbogens, besser zur Geltung. Der Grafiker und Maler des französischen Symbolismus, Odilon Redon, stellt daher zu Recht fest, dass das grundierende Grau die Meister überhaupt unterscheidbar mache und entsprechend charakterisiere, indem sich dabei erst richtig erweise, was die eigentliche »Seele« jeder Farbe sei. Ein grau gehaltener Bildrahmen bringt sogar noch etwas von diesem ursprünglichen Hintergrundanstrich als Kontrast zum farbvollendeten Bild an die monochromen Galerie- oder Museumswände. Der mexikanische Autor Fabio Morábito spricht denn von Grau auch als der Korrekturfarbe, die im Geist wie Schmirgel, wie dieses feinkörnige Schleifmittel funktioniert, um allzu unnütze Ablagerungen zu entfernen. Derart geschliffen kann ein fertiges Bild je nachdem die Gegensätze von weich und starr, luftig und steinern, aktiv und passiv noch mehr akzentuieren sowie ganz neue, beunruhigend nervöse Farbtöne erzeugen, die zwischen kalt und warm für eigenartige Temperaturen sorgen, wenn sich Grau vor den Bildbetrachtern geradezu feuchtheiß oder feurig glühend gebärdet.

      Seit der Antike hat aber auch die monochrom angewandte Grau-in-Grau-Kunst, im Französischen mit Grisaille oder Camaïeu bezeichnet, immer wieder fasziniert, indem sie Steinskulpturen zu imitieren vermag, die Figurenkonturen von Mosaikdarstellungen besser herausarbeitet, speziell ornamentale und figurale Lichtwirkungen mit Fensterglas in Kirchenräumen erzielt oder verblüffend authentische Effekte der Materialität vom emaillierten Silber bis hin zu den Hell-Dunkel-Kontrasten von Handzeichnungen und Druckgrafiken vortäuscht. Damit lassen sich nicht nur Licht und Schatten markanter festhalten, sondern auch die entsprechenden Übergänge zwischen ihnen für eine malerische Wirkung im Sinne des Chiaroscuro – wie bei Caravaggio, Rembrandt und ihren Nachfolgern – oder dem sanfteren und nebulösen Sfumato der Neuzeit, wie es Leonardo da Vinci einsetzte, gezielter ausloten. Grau saugt nicht einfach alle Farbigkeit in die Bedeutungslosigkeit, sondern erhöht vielmehr die einfarbigen Zwischentöne, also Helligkeits- und Dunkelheitswerte, womit die Dreidimensionalität der abgemalten Gegenstände, ihre materiellen Bestandteile, genauso wie ihre Wirkung nachhaltiger wiedergegeben werden können.

      Dafür braucht es eine fein differenzierte Farbpalette, die jeweils richtig gemischt werden muss. So lassen sich aus Ruß, Kohle, Zinkstaub, Glasmehl, ja sogar aus Zigarrenasche mit Mohnöl ganz spezifische graue Töne gewinnen, um damit etwa Farben für eine extreme Kontrastwirkung regelrecht zu entflammen oder auch absolut distanziert zurückzunehmen, bis hin zur beruhigenden, wenn auch »monströsen Gewöhnlichkeit« (Gertrude Stein). Derart gelingt es ebenfalls schwierigste Grau-Tonlagen in der Malerei festzuhalten, egal ob feinste Abstufungen der Wolken wie bei Tizian und Poussin, die Fleischtöne eines Rubens oder die wie Kohlen und Asche glühenden Schatten eines Rembrandt.

      Ob schonend, sachlich oder anspruchsvoll eingesetzt, die leichtfertig unterschätzte Farbe spricht von wahrhaftiger Objektivität, und sie besitzt die Tendenz, für ein eigentümliches Farbgleichgewicht zu sorgen. Zahlreiche angesehene Künstler der Moderne haben den Ruf, regelrechte Virtuosen in Sachen Grau zu sein, wie etwa James McNeill Whistler, Eugène Carrière oder Gerhard Richter. Schließlich eignet es sich mangels Farbigkeit und mittels Neutralität besonders ideal für schwierige, abstrakte und intellektuelle Fragestellungen. So heißt es in Gottfried Kellers Roman »Grüner Heinrich« von 1854 etwa von der malerischen und alles anderen als müßiggängerischen Beschäftigung seiner Hauptfigur Heinrich Lee mit Bäumen: »Je geistreicher und gebildeter diese wurden, desto mehr wurden sie grau oder bräunlich, statt grün; je künstlicher und beziehungsreicher seine Steingruppierungen und Steinchen sich darstellten, seine Stämme und Wurzeln, desto blasser waren sie, ohne Glanz und Tau, und am Ende wurden alle diese Dinge zu bloßen schattenhaften Symbolen, zu gespenstigen Schemen, welche er mit wahrer Behändigkeit regierte und in immer neuen Entwürfen verwandte. Er malte überhaupt nur wenig und machte selten etwas ganz fertig; desto eifriger war er dahinter her, in Schwarz oder Grau große Kartons und Skizzen auszuführen, welche immer einen bestimmten, sehr gelehrten oder poetischen Gedanken enthielten und sehr ehrwürdig aussahen.« Doch bei allem ernsthaften Bemühen um graue Bäume, Heinrich Lee wird als Maler im Keller’schen Roman grün hinter den Ohren bleiben und ernüchtert den Künstlerberuf an den Nagel hängen. Wie sagt doch der vollendete Graumaler der Moderne, Paul Cézanne: »Es ist das Grau, das man finden muss.« Denn »solange man nicht ein Grau gemalt hat, ist man nicht Maler«.

      Nur beunruhigt viele in ernsthafter Kunst Ergraute in der Tat noch mehr, dass derart zahlreiche malerische Anstriche sich je nach ihrer Qualität auch mit der Zeit in neue, unbeabsichtigte Grautöne verändern können. Schlechte Malfarben verflüchtigen sich und Komplementäres, impressionistisch hingetupftes Konfetti, vergraut in seinem Nebeneinander. Aber auch aufgetragener Firnis, um die Malerei zu schützen, lässt vollendete Bilder eigenartig aussehen, wenn sie Jahrzehnte wie vergessene, ausgebleichte Wäschestücke an den Wänden der Kunsthäuser hängen. Wie hat sich doch schon Cézanne im Pariser Louvre, diesem für ihn so großartig musealen »Buch, in dem wir lesen lernen«, vor den einst so farbigen Schattenabstufungen eines Eugène Delacroix aufgeregt: »Wir sehen es nicht mehr. Ich selbst habe dieses Bild sterben, verblassen, vergehen sehen. Es ist zum Weinen. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt vergeht es. – – Es wird eines Tages nichts mehr davon übrig sein […] Aber diese verflixten Romantiker mit ihrer Geringschätzung der Technik brauchten schauerliche Materialien. Die Drogisten haben sie bestohlen wie Straßenräuber […] Jetzt bleibt nur ein schwacher Abklatsch […] Das ist, als wenn man eine Tragödie von Racine in Prosa übersetzte.« Die begeisternden Farbklänge drohen sich, gänzlich neutralisiert, in der schattigen Unterwelt des Graus zu verlieren. Und so richten wir uns, aus dem farbigen Paradies vertrieben, eben in diesem grauen Farbreiz wieder ein, von dem der antike Arzt Galen wenigstens wusste, dass er die Augen schone. »Unsere Maler«, resümiert der Kunstkritiker Théodore de Wyzewa schon 1895 ganz kulturpessimistisch, »haben die Farbe verlernt: In der Provence und auf Korsika malen sie grau, so als ob sie den Nebel Bremens in ihren Augen hätten.«

      Aber vielleicht ist das auch nur ein allgemein verbreitetes Phänomen der nebulös sich gebärdenden Modernen, deren Schaulustige in den Museen – darunter auch ich, dem die düsteren Pandemie-Erinnerungen noch den Kopf verkeilen – mittels Grau erst all die vorhandenen Leerstellen unserer Welt richtig zu spüren beginnen. Wir stehen wie ganz allein davor, staunend, überfordert oder leicht verwirrt. Speziell wenn wir,


Скачать книгу