Lebendige Seelsorge 4/2020. Verlag Echter
Argumentation, sondern gelebtes Leben.
Angemessener wäre ein vorsichtiger Ansatz, der den Gedanken vom Dasein eines guten Gottes eher vorschlägt als behauptet und auch den Zweifeln Raum lässt. Dies ist der klassische Weg der christlichen Nacht-Mystik. Denn das Fehlen greifbarer Gotteserfahrung behindert die mystisch begabten Frauen und Männer nicht. Der Zweifel scheint geradezu zur Voraussetzung für die wirkliche Begegnung mit Gott zu werden.
Die Antwort der Mystik auf die Gottvergessenheit der Gegenwart ist nicht philosophischtheologische Argumentation, sondern gelebtes Leben. Nicht die Frage nach dem Ursprung des Leidens, sondern der Umgang mit konkreter körperlicher und seelischer Leiderfahrung steht im Fokus der Mystikerinnen und Mystiker. Es gelingt ihnen, ihr eigenes Leiden anzunehmen, indem sie das Negative und die Gottferne in ihre Beziehung zu Gott integrieren. Nicht das bloße Zustimmen zu einer dogmatischen Wahrheit, nicht die unhinterfragte Glaubensgewissheit, sondern das Ernst- und Annehmen der eigenen Begrenztheit, der eigenen Unsicherheit im Glauben und das Ringen um eine lebendige Beziehung zu Gott sind entscheidende Faktoren eines überzeugend und erfüllt gelebten Christentums.
Das ist ein Weg, der nicht intellektuell erklärt, sondern nur existentiell gegangen und solidarisch mitgegangen werden kann. Angesichts aktueller innergesellschaftlicher und globaler Krisen und Konflikte sind Christinnen und Christen herausgefordert, sich nicht in das Schneckenhaus innerkirchlicher Diskurse zurückzuziehen oder über die Entchristlichung der Gesellschaft zu lamentieren. Der Versuch, Gott vor dem Leid in der Welt zu rechtfertigen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aufgabe der Glaubenden ist vielmehr, solidarisch zu sein mit den Leidenden und die Begrenztheiten des eigenen Lebens anzunehmen und zu gestalten.
NÄCHTLICHE SPRACHFORM
Bei dieser geistlichen Gestaltung von Nacht-Erfahrungen kommt der Sensibilität für die sprachliche Form eine besondere Bedeutung zu. Die Uneindeutigkeit metaphorischer Sprache erweist sich hier als Stärke. Indem Sinnzusammenhänge eines Textes aufgebrochen werden, erschließt sich eine tiefere Wirklichkeitsebene. Die Ambivalenz der Nacht-Metapher ermöglicht es, die bedrohliche Seite der belastenden Erfahrung ernst zu nehmen und gleichzeitig die Möglichkeit einer positiven Deutung schon in der Beschreibung dieser Erfahrung anklingen und durchscheinen zu lassen.
Eine im Sinne der Nacht-Mystik geschulte theologische und pastorale Sprache zeichnet sich durch den Verzicht auf terminologische und methodische Engführungen und durch die Rückbesinnung auf elementare Inhalte und Strukturen der Offenbarung aus. Schöpferischer Umgang mit der biblischen und kirchlichen Überlieferung sowie der lebendige Austausch mit poetischen und anderen künstlerischen Ausdrucksformen bieten den Raum, sich zaghaft der dunklen Gegenwart Gottes zu vergewissern. Dabei zeigt die Frömmigkeitsgeschichte des Christentums, dass sprachliche Kraft keine Infragestellung der existentiellen Betroffenheit durch die individuellen Nacht-Erfahrungen bedeuten muss. Gerade die Verunsicherung und Verwirrung von Leben und Denken durch Angst und Schwermut, Enttäuschung und Leid, Trauer und Verlassenheit, Trost- und Hoffnungslosigkeit kann zum Fundament außergewöhnlicher sprachlich-gestalterischer Tiefe werden.
Die Erfahrung von Nacht-Erfahrungen sind kein Zeichen für die Abwesenheit Gottes. Im Gegenteil. „Gott will im Dunkel wohnen“ – es lohnt sich, die Nacht auszuhalten, um Gott in den Abgründen des eigenen Lebens zu entdecken und so die Fülle der Wirklichkeit auszuschöpfen, die sich nicht an der lichten Oberfläche finden lässt. Der Leipziger Dichtertheologe Christian Lehnert fasst die Dynamik dieses geistlichen Weges, der unserer Zeit in besonderer Weise aufgegeben zu sein scheint, so zusammen: „Die gläubige Existenz tritt heute in einem unvorhersehbaren, erst in der Bewegung erfahrenen Sinn ‚hinaus‘ in eine ‚dunkle Nacht‘. […] Der Gläubige muß hinaus, für sich und gefährdet, auf eine Begegnung zu, die völlig offen ist und unkalkulierbar in ihren Folgen. Auf den ‚Gott‘ zu und nicht einmal dieses Wort hilft mehr zu verstehen, was da ,draußen‘ wartet. […] Doch der Gläubige sagt: Draußen, in der ‚dunklen Nacht‘ liege das unverstandene Geheimnis der Liebe verborgen. Wie kommt er dazu? Weil er es glaubt“ (Lehnert, 91).
LITERATUR
Bäumer, Regina/Plattig, Michael (Hg.), „Dunkle Nacht“ und Depression. Geistliche und psychologische Krisen verstehen und unterscheiden, Ostfildern 2010.
Guardini, Romano, Vom Sinn der Schwermut, in: Ders., Unterscheidung des Christlichen. Gesammelte Studien 1923-1963 [Bd. 3: Gestalten], Mainz-Paderborn 31995, 59-93.
Lehnert, Christian, Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet, Berlin 22017.
Lüttich, Stephan, Nacht-Erfahrung. Theologische Dimensionen einer Metapher, Würzburg 2004.
Przywara, Erich, Analogia entis. Metaphysik. (Schriften III: Ur-Struktur und All-Rhythmus), Einsiedeln 1962.
Rahner, Karl, Heilige Nacht, in: Geist und Leben 24 (1951), 401-403.
Schlögl, manuel, Mystik – Atheismus – Dunkle Nacht. Johannes vom Kreuz und Therese von Lisieux im Gespräch mit dem neuzeitlichen Atheismus, Regensburg 2013.
Die Abwesenheit des Auferstandenen und der Körper des Verschwundenen
Spuren einer kenotischen Ostertheologie im Neuen Testament
Kennt das Neue Testament die Erfahrung der Abwesenheit Gottes, gar der Gottesnacht? Mit dem Schrei der Gottverlassenheit beendet Jesus nach dem ältesten Evangelisten sein Leben. Damit ist das Thema im Zentrum der christlichen Heilsbotschaft verankert. Bedeutet die Auferstehung des Gekreuzigten die Umkehr der sich entäußernden Bewegung Gottes, wie man es aus Phil 2,9-11 lesen könnte? Die Abwesenheit des Auferstandenen in den Osterzeugnissen weisen eine andere Spur: Das Neue Testament kennt eine kenotische Ostertheologie, eine Theologie des Sich-Entäußerns des Auferstandenen in die Welt. Margareta Gruber OSF
Die Auferstehung Jesu von den Toten ist wie ein Meteorit, der in die Geschichte gestürzt und einen Krater hinterlassen hat. Der Sog, den der Sturz ausgelöst hat, war so stark, dass viele am Anfang glaubten, alles werde im Nu hineingezogen und das Ende der Welt stünde unmittelbar bevor. Doch das geschah nicht. Was stattdessen geschah, war eine Erfahrung, die im Neuen Testament mit dem aramäischen Urwort „maranatha“ verbunden ist (1 Kor 16,2; Offb 22,20b sowie die urchristliche Schrift Didache 10,6). Dieser Ausdruck kann entweder als Gebetsruf um das Kommen des Herrn („unser Herr, komm!“) oder als Akklamation seines Gekommenseins („unser Herr ist gekommen!“) verstanden werden. Vielleicht lässt sich die Doppeldeutigkeit des aramäischen Gebetswortes deuten als Hinweis für die beiden Seiten der umstürzenden Erfahrung der „Auferstehung“ des Herrn: seine neue, unfassbare Präsenz in Abwesenheit, seine Gegenwart in der Weise des Sich-Entziehens.
AUFERSTEHUNG GESCHIEHT IM ENTSCHWINDEN
Es ist die Begegnung mit dem avantgardistischen Komponisten Mark Andre, dem ich eine neue Imagination der Osterereignisse verdanke (vgl. Gruber 2018). Der Auferstandene verschwindet vor den Augen der Maria Magdalena. So hat es Andre gesehen – bereits als Kind, wie er sagt – und so ist es für ihn. Erschreckt hat er mich angeschaut als ich ihm sagte, dass das im Johannesevangelium so nicht dasteht. „Habe ich mich geirrt?“ „Nein, du hast etwas gehört und entdeckt!“ Der Auferstandene kommt, aber es wird nicht erzählt, dass er wieder geht.
Margareta Gruber OSF
Dr. theol., Prof.in für Neues Testament an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar; Franziskanerin von Sießen; Schwerpunkte: Johannesevangelium, Johannesoffenbarung, Hermeneutik, Biblische Spiritualität, Bibel im interreligiösen Dialog, Theologie des Ordenslebens.
Auferstehen geschieht im Entschwinden
Dennoch ist er „nicht mehr da“, also muss er „verschwunden“ sein. Dieses Verschwinden ist für Mark Andre das zentrale Thema seiner Musik: Entschwinden als eine besondere Art der Anwesenheit. „Wie wäre das Verschwinden Christi erklungen?“, fragt er. Ich frage mich, daran anknüpfend, was ist das für eine Präsenz, die sich gibt, indem sie sich entzieht – noli me tangere: halte mich nicht fest. Ich denke über