Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten. Alfred Bekker
Situation hätte herbeiführen können. Seiner Glaubwürdigkeit erwies das natürlich keinen guten Dienst.
„Erzählen Sie mehr über Roswitha Delgado“, mischte ich mich nun in das Gespräch ein.
„Das können Sie haben“, lächelte Titow.
42
Wir fuhren zu der konspirativen Wohnung, in der Roswitha Delgado untergebracht war.
„Wir können Ihnen eine gute Nachricht überbringen“, sagte ich.
Ihre Augen waren rot. Offenbar hatte sie wenig geschlafen. Roswitha unterdrückte ein Gähnen.
„Haben Sie den Auftraggeber des Mordes an meinem Bruder?“
„Wir haben seine rechte Hand – Artur Titow. Aber ich fürchte Vladi Gruschenko wird davonkommen...“
Sie sah mich verwundert an. „Das ist nicht Ihr Ernst!“, sagte sie. Aber sie war nicht wirklich empört. Im Grunde genommen war sie noch nicht einmal eine gute Schauspielerin.
„Frau Delgado, wir nehmen Sie fest unter dem Verdacht der Beihilfe des Mordes“, erklärte nun Rudi. „Alles was Sie von nun an sagen...“
„Das können Sie sich sparen!“, fauchte Roswitha Delgado, während sie sich widerwillig Handschellen anlegen ließ. „Wie können Sie es wagen, mich festzunehmen und so einen unbegründeten Verdacht vorzubringen?“
„Wir haben die Aussage von Artur Titow. Und es gibt Zahlungen, die wir auf Vladi Gruschenko zurückführen können, die direkt an Sie gingen – und zwar unmittelbar vor dem Tod Ihres Bruders.“
„Sie glauben ja wohl nicht, dass ich mich zu diesem Unsinn äußern werde. Dass ich Kontakt zu meinem Bruder gehabt habe, habe ich ja schon zugegeben...“
„Sie stehen finanziell am Abgrund. Wenn sich Ihr Bruder mit der Justiz geeinigt hätte, wäre der Strom an Schweigegeld nicht mehr geflossen. Ihr Bruder hat vielleicht genug auf die Seite gelegt – Sie aber nicht. Darum haben Sie immer wieder verhindert, dass Ihr Bruder Kontakt zu den richtigen Leuten bei der Justiz bekommt. Er hat Ihnen vertraut. Er muss ziemlich sauer gewesen sein, als er gemerkt hat, dass Sie ihn so hintergangen haben.“
„Was Sie nicht sagen.“
„Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte auch Ihr Verhältnis nicht mehr das Beste gewesen sein – und Jochen hat sich dann selbst um die Sache gekümmert.“
„Und was bitteschön soll ich mit seinem Tod zu tun haben?“, fauchte sie.
„Sie haben ihn an Gruschenko verraten und dafür eine große Summe bekommen, mit der Sie sich finanziell sanierten. Von Ihrem Bruder konnten Sie ja nichts mehr erwarten... Ich habe mich von Anfang an gewundert, wie Gruschenkos Killer herausbekommen konnte, wo sich Ihr Bruder aufhielt. Er war doch so vorsichtig und auch ganz gewiss kein Anfänger...“
„Sagt dieser Titow das? So ein Quatsch! Denken Sie wirklich, dass irgendwelche Geschworenen einem solchen Gangster glauben?“
„Wir glauben ihm jedenfalls“, ergänzte Rudi. „Weil die Bewegungen auf Ihren getarnten Konten dafür sprechen.“
„Aber wenn es so war, wie Sie sagen, weshalb hätten diese Leute dann versuchen sollen, mich umzubringen, wenn ich ihnen doch geholfen habe?“
„Weil Sie nicht genug bekommen konnten. Ihr Bruder hat irgendwo Beweismaterial gesammelt, mit dem er Gruschenko und dessen Clan in der Hand hatte. Sie haben Titow und Gruschenko glaubhaft gemacht, dass Sie jetzt im Besitz dieses Materials seien.“
„Und wenn das nur eine Lüge ist?“
Ich lächelte kühl. „Das wäre schlecht für Sie, Frau Delgado. Denn die einzige Möglichkeit, wie Sie beim Staatsanwalt punkten und einen Deal herausholen können, ist, dass Sie dieses Material der Justiz zur Verfügung stellen.“
„Ansonsten wird Gruschenko vielleicht mit einem blauen Auge davonkommen“, sagte Rudi. „Schließlich hatten Sie nur Kontakt zu Titow, wenn ich das richtig sehe. Gruschenko hat auch nicht selbst den Auftrag gegen, Ihren Bruder zu töten. Er wird sich fein heraushalten und man wird ihm nur schwer beweisen können, dass er direkt an einem Verbrechen beteiligt war. Seine Untergebenen wie Titow werden die Zeche allein zahlen müssen – und Sie. Wollen Sie das?“
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
„Das Beweismaterial über Gruschenkos alte Geschäfte lagert in einem Schließfach bei eine Wiener Bank“, sagte sie dann. „Mein Bruder hat mich einmal dorthin mitgenommen und mir gesagt, was ich zu tun habe, wenn ihm mal etwas zustoßen sollte. Das war noch in der Zeit, als alles in Ordnung zwischen uns war.“ Sie atmete tief durch. „Die Schließfachnummer kann ich Ihnen aufschreiben, die Adresse der Bank auch.“
„Wie haben Sie es geschafft, den Gruschenko-Clan damit unter Druck zu setzen, ohne dafür nach Wien zu fahren?“
„In meinem Haus befand sich eine Liste der Dokumente, die sich im Schließfach befinden. Die hatte ich an Vladi Gruschenko geschickt.“
Anscheinend hatte das ausgereicht, um bei Gruschenko und seinen Leuten Panik zu erzeugen.
„Frau Delgado, da ist noch etwas“, eröffnete ich.
„Ach, ja?“
„Die Untersuchungen, die den Verkehrsunfall Ihres Mannes Gerald Wirtz betreffen, werden vielleicht noch einmal neu aufgerollt...“
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