Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga. Pete Hackett
zackig, der Kommandant forderte ihn auf, sich zu setzen, und als sich Whitlock niedergelassen hatte, sagte Randall grollend: »Schlechte Nachricht, Lieutenant.«
»Was gibt es, Sir?«
»Victorio soll aus einem fadenscheinigen Grund verhaftet werden. Man hat eine alte Anklage wegen Pferdediebstahls gegen ihn ausgegraben. Das Distriktgericht in Albuquerque hat Sheriff Baker angewiesen, Victorio festzunehmen und nach Albuquerque zu schaffen.«
»Das darf nicht wahr sein!«, entfuhr es Whitlock. »Will man einen neuen Indianeraufstand riskieren?«
»Victorio soll ganz offensichtlich aus dem Verkehr gezogen werden«, antwortete der Colonel mit grollender Stimme. »Man fürchtet ihn als Unruhefaktor. Vielleicht nicht einmal völlig unbegründet. Der Häuptling ist schwer einzuschätzen. Er hat bereits einmal bewiesen, dass er sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Wenn man ihn festsetzt, hofft man, auch die anderen Apachen bei der Stange bleiben.«
»Das Gegenteil wird der Fall sein. Und der Aufschrei der Entrüstung wird nicht nur durchs Mescalero-Reservat gehen. Er wird sich bis nach San Carlos und in all die anderen Reservate fortpflanzen. Wieder einmal soll ein gegebenes Wort gebrochen werden. Wieder einmal will man von den Versprechen, die gegeben wurden, nichts mehr wissen. Was für eine gottverdammte Niedertracht.«
Whitlock hatte sich in Rage geredet. Sein Gesicht hatte sich gerötet. Seine Hände öffneten und schlossen sich wie in hilfloser Ohnmacht.
»Wir können nichts tun«, erklärte Colonel Randall. »Es handelt sich um eine zivile Anklage. Wohlweislich hält man die Armee heraus. Sie haben Recht, Lieutenant. Es ist ein schäbiges Spiel, das man aufzuziehen gedenkt.«
»Ein Spiel mit dem Feuer«, ergänzte Whitlock. »Man sollte Victorio warnen.«
Randall prallte regelrecht zurück. »Das dürfen wir nicht, Lieutenant. Wir können uns nicht gegen das Gesetz stellen.«
»Aber wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie alles zunichte gemacht wird, was mit Blut und Tränen aufgebaut wurde. Wir haben erreicht, dass im Land Friede herrscht.«
»Wie es aussieht, will man gar keinen Frieden. Der Sheriff wird morgen früh ins Reservat reiten, um Victorio zu verhaften. Es ist nicht aufzuhalten. Wir können nur versuchen, den Schaden zu begrenzen, indem wir auf die Getreuen des Häuptlings einwirken und sie dazu bringen, still zu halten.«
»Diese Mühe werden wir uns sparen können, Sir. So ganz haben die Mimbres uns nie getraut. Und jetzt liefert man ihnen den Beweis, wie wenig ernst gemeint die Versprechungen und Zusagen waren, die man ihnen gemacht hat. Ich denke, wir gehen düsteren Zeiten entgegen.«
»Sie malen den Teufel an die Wand, Lieutenant«, presste der Colonel hervor. »Aber es ist wohl so. Sollten die Apachen den Aufstand proben, werden wir gefordert sein, ihn niederzuschlagen. Wenn es sein muss, auch unter Einsatz von Gewalt.«
Es klang wie eine düstere Prophezeiung.
*
Der Sheriff verhielt sein Pferd und ließ den Blick über die Baustelle gleiten. Hier entstand ein kleines Farmhaus. Zwei Schuppen waren schon fertig. Der Gesetzeshüter sah die Pferche mit den Ziegen und Schafen, die Milchkuh, den Corral mit dem Pferd. Bretter und Balken stapelten sich.
Josh Baker war ein Mann um die fünfzig. Er trug einen dicken Schnurrbart unter der geröteten Nase, der seinen Mund fast gänzlich verbarg. Bekleidet war er mit einem grauen Anzug und einem weißen Hemd. Über seinen Bauch spannte sich eine Uhrkette aus silbernen Dollarstücken. An der rechten Seite des Sheriffs steckte der schwere, langläufige Coltrevolver im Holster. An seiner linken Brustseite glänzte der Stern. Sheriff, Otero County, war eingestanzt.
Einige Apachen waren bei der Arbeit. Hammerschläge waren zu hören. Einige Stimmen klangen durcheinander. Jemand sah den Sheriff und machte die anderen auf ihn aufmerksam. Die Apachen stellten die Arbeit ein und schoben sich in einem Pulk auf den Gesetzeshüter zu. Düstere Blicke trafen ihn.
Bakers Miene verkniff sich. Er bereute es plötzlich, ohne Aufgebot geritten zu sein. Aber er zwang sich zur Ruhe, legte beide Hände übereinander auf den Sattelknauf und rief: »Ich suche Victorio. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl vor. Es ist eine alte Anklage wegen Pferdediebstahls.«
Victorio kam hinter einem der fertigen Schuppen hervor. Breitbeinig blieb er stehen. Ruhig verschränkte er die Arme vor der Brust. »Willst du mich verhaften, Mann des Gesetzes?«
Der Sheriff senkte den Kopf. »Ich muss dich nach Albuquerque bringen. Dort wird man dich vor Gericht stellen. Was dann aus dir wird, weiß ich nicht. Ich rate dir, dich der Verhaftung nicht zu widersetzen. Zwinge mich nicht, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.«
Die Apachen, die Victorio beim Aufbau seiner Farm halfen, nahmen eine drohende Haltung ein. Der Sheriff fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
Sekunden des Schweigens verstrichen, Sekunden, in denen sich die Atmosphäre unheilvoll schwängerte und regelrecht vor Spannung knisterte. Dann ließ Victorio seine Stimme erklingen: »Soviel also zu den Versprechungen, die mir gemacht wurden. Man hat mir Straffreiheit zugesichert. Und jetzt ...«
»Straffreiheit hat dir die Armee zugesichert, Victorio. Aber es liegt die Anzeige eines Ranchers vor, dem du vor vielen Monaten ein Dutzend Pferde gestohlen hast. Eine zivilrechtliche Sache, für die du zur Verantwortung zu ziehen bist wie jeder andere Pferdedieb auch.« Der Sheriff zog seinen Revolver und spannte den Hahn. Klickend bewegte sich die Trommel um eine Kammer weiter. Matt schimmerten die Bleiköpfe der Patronen in der Trommel. Kreisrund und schwarzgähnend, wie das Auge in einem Totenschädel, starrte die Mündung auf Victorio.
»Ich werde nicht mit dir gehen, Mann des Gesetzes«, kam es ruhig, fast gelassen von dem Häuptling. »Man hat mich hierher gebracht mit dem Versprechen, dass ich hier eine Farm gründen und in Ruhe leben kann. Auf dieses Versprechen berufe ich mich. Sag das den Leuten, die mich im Gefängnis sehen wollen.«
»Ich werde wiederkommen und viele Männer mitbringen«, versicherte Baker. Seine Augen flackerten. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Die Apachen nahmen eine gefährliche Haltung ein. Von ihnen ging etwas aus, das ihn eindringlich warnte. Sie erinnerten ihn an ein Rudel Wölfe.
Victorio schwieg.
Sekundenlang starrten sich die beiden Männer an. Ein stummes Duell. Dann irrte der Blick des Sheriffs ab und er sagte mit belegter Stimme: »Ich will das selbst nicht, Victorio. Aber ich bin nun einmal Vollzugsbeamter des Distriktgerichts, und so muss ich diesen Haftbefehl vollziehen. Ich komme mit einem Aufgebot zurück.«
Er versenkte den Revolver im Holster, zog das Pferd um die linke Hand, setzte die Sporen ein und gab dem Tier den Kopf frei. Es verfiel aus dem Stand in einen raumgreifenden Trab.
»Ich werde das Reservat verlassen«, stieß Victorio mit bebender Stimme hervor. »Die Bleichgesichter haben wieder einmal ihr Wort gebrochen. Es geht ihnen nicht um Ruhe und Frieden, es geht ihnen darum, uns zu unterjochen und zu entrechten. Die Weißen sprechen mit gespaltener Zunge. Nie wieder werde ich mich in einem Reservat niederlassen. Wer mit mir kommt, mag alles, was er mitnehmen kann, zusammenpacken. Wir treffen uns am Abend hier und ziehen nach Süden, über die Grenze, nach Mexiko. Dort leben schon viele unserer Brüder und Vettern. Zu ihnen gehen wir.«
Die Apachen warfen ihre Werkzeuge fort. Die Würfel waren wieder einmal gefallen. Victorio hatte sich entschieden.
Als am folgenden Morgen Sheriff Baker mit einem Aufgebot aus Tularosa erschien, fand er nur noch Brandschutt vor. Die Pferche und Corrals waren leer, Victorio und seine Familie waren weg. Die Spur der Apachen führte nach Süden. Das Aufgebot folgte ihr. Als sich der Tag seinem Ende zuneigte, zog das Aufgebot in eine Enge Schlucht. Längst war klar geworden, dass sich Victorio viele Krieger und deren Familien angeschlossen hatten. Bis Mexiko waren es nur hundert Meilen. In wenigen Tagen konnten die Apachen die rettende Grenze erreicht haben.
An einer Stelle, an der